Es war Christof Botzenhart, Dritter Bürgermeister von Bad Tölz, der zur Halbzeit des "Tölzer Preisträgergipfels" eine launige Ansprache im Kurhaus hielt: "Natürlich gab es Bedenken, sechs Konzerte in 14 Tagen könnten das Publikum überfordern", sagte er, bevor das Isidore String Quartet auf die Bühne trat . "Stattdessen fragen wir uns jetzt nach der Hälfte, was wir nach dem 29. Januar eigentlich abends tun, wenn es nicht mehr jede Woche drei Streichquartette gibt." Dass diese gewagte Gipfeltour für die Besucher eben kein Stress war, sondern sich als spannendes Vergnügen auf höchstem Niveau erwies, lässt sich nach dem Abschlussabend bestätigen.
Dies lag nicht nur an der durchweg überragenden Qualität der internationalen Ensembles - alle haben in den vergangenen Monaten Wettbewerbe gewonnen. Zudem hatten sie völlig Unterschiedliches zu bieten. Die musikalische Bandbreite umfasste vier Jahrhunderte, von der "Kunst der Fuge" von Johann Sebastian Bach als Zugabe bis zur Uraufführung einer Hommage an Schubert von Cosimo Carovani, dem Cellisten des italienischen Quartetto Indaco. Und wann erlebt man schon musikalisch und auch szenisch umwerfend gespielt den Raub der Mona Lisa aus dem Louvre auf der Bühne - ein ungewöhnliches Auftragswerk und ein großer Spaß, mit dem das Isidore Quartett glänzte.
Am Montag also beendete das Chaos String Quartet aus Wien - Susanne Schäffer und Eszter Kruchió (Violinen), Sara Marzadori (Viola) und Bas Jongen (Cello) - den Reigen der Streichquartette bei diesem Festival. Sie kennen Bad Tölz und freuten sich, "dass wir hier immer so freundliche Gesichter im Saal sehen". Nach ihrem Einstand dort im Februar 2023 gewannen sie zwei Monate später den Streichquartett-Wettbewerb Bad Tölz und durften nun zum "Gipfel" wiederkommen.
Das Programm schloss mit dem anspruchsvollsten, dichtesten Werk des Abends, der "Lyrischen Suite" von Alban Berg - was immer hier "lyrisch" bedeutet. Berg legt die eigentlich akademisch strengen Zwölfton-Regeln nicht pedantisch aus, sondern entfernt sich so weit von dogmatischen Kompositions-Vorschriften, dass es schon mal tonal klingt, fast wie ein harmonischer Akkord, dann auch wieder ruppig-aggressiv. Dieses Werk ist eine codierte Nachricht an seine heimliche Geliebte Hanna Fuchs. Darauf deuten schon Satztitel wie "Andante amoroso" oder "Presto delirando" hin. Natürlich schreibt Berg die zugrunde liegenden Tonfolgen als Zwölfton- beziehungsweise zwei sich ergänzende Sechstonreihen, wie es sich gehört. Doch seine und ihre Initialen, A B H F, baut er geradezu obsessiv in mehreren Sätzen ein. Selbst wenn man dies weiß, kann das ein Zuhörer unmöglich ohne den mit Spielanweisungen gespickten Notentext hören. Auch Bergs eingeflochtene Zahlenmystik lässt sich nur schwer entschlüsseln.
Sehr wohl aber übertrug sich aus dem mal sehr robusten, mal irisierend-flirrenden Klang durch Ponticello-Spiel (am Steg gestrichen) die glühende Emotionalität des gut halbstündigen Stücks auf das Publikum. So vielschichtig, transparent und farbenreich vom Quartett gespielt, wurde die Suite trotz ihrer Komplexität und, ja, auch Sperrigkeit zum beeindruckenden Höhepunkt des Abends. Die wunderschöne Bearbeitung (durch den Cellisten) des Schubert-Lieds "Du bist die Ruh" war trotzdem genau die richtige Zugabe, um die Zuhörer zum Schluss wieder zu erden.
Bei Mozart darf das Cello glänzen
Davor stand mit Musik von Mozart und Fanny Hensel leichter fassbare Kost auf dem Programm. Der Tonfall von Fanny Hensels Es-Dur-Streichquartett, ihrem einzigen, hat viel mit dem ihres Bruders Felix Mendelssohn gemeinsam. Die Stimmung der ersten drei Sätze ist trotz der Dur-Grundtonart des Werks überraschend verhangen, fast klagend, selbst in der Romanze oder bei den wilden Tremoli des zweiten Satzes nur selten etwas aufgeheitert. Erst im Finale, einem leidenschaftlichen, wirbelnden Rondo, lösen sich die meisten trüben Wolken auf.
Im B-Dur-Quartett KV 589 von Wolfgang Amadeus Mozart glänzt das Cello in einer Sonderrolle. Er schrieb es 1790, zusammen mit zwei weiteren, dem preußischen König Friedrich Wilhelm II. sozusagen ins Instrument, denn der war ein sehr guter Cellist. Mit der erhofften Anstellung bei Hofe wurde es trotzdem nichts. Wie souverän Mozart im Jahr vor seinem Tod das Genre beherrscht, beweist jeder der vier Sätze. Das Cello findet in der ersten Geige immer wieder einen gleichwertigen Dialogpartner. Wunderbar intim geriet dem Chaos-Quartett das kantable Larghetto, die rhythmischen Raffinessen blitzten im witzigen Finale.
Die Veranstalter - Christoph und Susanne Kessler und der Verein Klangerlebnis e.V. im Verbund mit der Stadt Bad Tölz - waren jeden Abend stolz und auch erleichtert wegen der unerwartet hohen Besucherzahl im Kurhaus. Das Wagnis "Preisträger-Gipfel" ist geglückt. Dabei trifft es der Titel nicht ganz: Es war eher eine Bergkette mit sechs völlig unterschiedlichen Gipfeln, auf die 24 Musiker das Publikum geführt haben. Da es kein Wettbewerb war, muss auch niemand beurteilen, ob womöglich ein Gipfel minimal höher als ein anderer war. Sämtliche Künstler lobten unisono die hohe Konzentration sowie die Begeisterung des Publikums. Fazit: 14 Tage uneingeschränkter Genuss, der allerdings süchtig macht.