Süddeutsche Zeitung

Bad Tölz:Simba und die Vorleser

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Ein Therapiehund hört in Klasse 7a der Südschule einfach zu, wenn die Kinder Texte vortragen. Statt Kritik erleben sie Vertrauen - und lernen besser.

Von Suse Bucher-Pinell

Der Dienstag ist für die Klasse 7a an der Tölzer Südschule ein besonderer Tag. Dienstags kommt Besuch. Gegen Ende des Vormittags, wenn das Fach Deutsch auf dem Stundenplan steht, rücken die Buben und Mädchen ihre Stühle im Klassenzimmer zu einem Kreis, denn dann wird vorgelesen. Ehe jedoch der erste Satz zu hören ist, wird erst einmal Simba überschwänglich begrüßt.

Simba ist eine gutmütige Golden-Retriever-Hündin, sie ist ausgebildet als Therapiehündin und wird begleitet von ihrer "Chefin" Ute Schulz. Sie wird, so sich alle beruhigt haben und auf ihren Stühlen sitzen, geduldig zuhören. Sie wird sich hinlegen und die Vorderpfoten weit von sich strecken, mal zum Fenster hinausschauen, vielleicht auch mal rundgehen und den einen oder anderen freundschaftlich mit der Schnauze stupsen. Eines wird sie nie tun: irgendetwas kritisieren. Die Schüler können sich ganz aufs Lesen konzentrieren. Lese- und Textverständnis werden dadurch besser, sagen Wissenschaftler und Christa Wörle.

Sie ist Lehrerin an der Südschule und Klassenlehrerin der 7a. Sie hat, was eher selten ist im Schulalltag, diese Klasse im dritten Jahr und vor kurzem das Projekt "Lesen mit Hund" in den Unterricht eingebunden. Christa Wörle ist eine große Hundefreundin, das weiß jeder an der Südschule. Schon früher hatte sie Vierbeiner von Kollegen ganze Vormittage lang im Klassenzimmer dabei.

Fasziniert beobachtete sie, welche beruhigende Wirkung die Tiere auf die Kinder hatten, wie sensibel sie Spannungen oder Nervosität spürten. Wie zielsicher sie zu einem Kind hintrotteten, das neu in der Klasse war und sich unsicher fühlte. Oder sich genau jenes aussuchte, das soziale Schwierigkeiten in der Gruppe hatte. "Es ist ein Phänomen, dass Hunde erkennen, wer etwas nötig hat", sagt Christa Wörle.

Auch in der 7a bleibt Simba nicht ohne Wirkung. Wie sich die Hündin zwischen den Schülern bewegt, immer bereit für eine sanfte Streicheleinheit, zeugt von einem vertrauten Miteinander. "Wenn der Hund im Unterricht ist, ist es ruhiger", erzählt Eray. Man könne sich besser konzentrieren, sagt der Zwölfjährige, bekomme mehr Selbstvertrauen. Was gelesen wird, ist dabei recht egal.

Die Texte wählt Wörle dem Lehrplan gemäß aus, beim eigentlichen Vorlesen aber ist sie nicht dabei. Sie eröffnet die Stunde und beschließt sie wieder, dazwischen übergibt sie an Ute Schulz und Simba, verlässt den Raum und kommt erst dann wieder ins Spiel, wenn Inhalte besprochen werden und es ums Textverständnis geht. Das sei eine besonders wichtige Aufgabe in einer Klasse mit vielen Kindern mit Migrationshintergrund, sagt sie. Das Projekt "Lesen mit Hund" hilft dabei.

An diesem Dienstag beginnt Enbiya einen Sachtext über das Gehör von Hunden laut vorzutragen. Simba liegt vor ihm auf dem Boden, als gingen sie die laut und klar gesprochenen Sätze überhaupt nichts an. Die Mitschüler schauen konzentriert auf ihre Blätter. Wenn Simba zuhört, müssen die Schüler weder Noten noch Nachbesserung fürchten. Der Hund verzeiht offenbar alles. Und dennoch können sich Leistungen im Lese- und Textverständnis steigern, das ist Wörles Erfahrung.

Simba scheint wie geschaffen für den Job. Ute Schulz hat sie ausbilden lassen, weil sie "sehr menschenbezogen" sei und am liebsten jeden begrüßen würde. Zu dem zehnmonatigen Training in Theorie und Praxis, das beide bei der Gaißacher Tierpsychologin Stefanie Lang von Langen absolvierten, gehörten auch Besuche in psychiatrischen Einrichtungen und Altenheimen.Aber nirgendwo habe Simba sich so wohlgefühlt wie bei Schülern.

Denen hilft sie nun nicht nur beim Lesenlernen, sie nimmt ihnen auch Angst. Emirhan erzählt, wie er anfangs mit dem Stuhl von Simba weggerutscht sei. "Jetzt geht's", sagt er und streichelt mit seiner Hand über das weiche Hundefell. Simba lässt sich das gerne gefallen. "Man gewöhnt sich an den Hund", sagt der 14-Jährige.

Auch Turkay erschreckt sich nun nicht mehr, wenn sie außerhalb des Klassenzimmers einem Hund begegnet. Christa Wörle hört das alles mit einem zufriedenen Lächeln. "Die Schüler lernen, dem Hund mit Respekt zu begegnen, ihn gut zu behandeln und sein Vertrauen zu gewinnen", sagt sie. Sie begriffen, dass er kein Spielzeug sei und bauten Ängste ab. Lesen mit Hund und Lernen fürs Leben.

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Quelle:
SZ vom 26.11.2013
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