Bad Tölz:Pflege-Experte erhebt schwere Vorwürfe gegen Real-Seniorenheim

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Wie jetzt bekannt wird, hatte der Sozialarbeiter Claus Fussek seine Teilnahme am Fachtag des Tollhaus-Festivals zurückgezogen - unter Protest. Damit wollte der Tölzer Verbund sein 20-jähriges Jubiläum begehen. Der Kritiker fragt: "Wie kann man eine Einrichtung feiern, wenn in ihr Grund- und Menschenrechte missachtet werden?"

Von Stephanie Schwaderer, Bad Tölz

Was gibt es zu feiern, wenn Hilfsbedürftige hungern und verwahrlosen? "Nichts", sagt Claus Fussek. Deshalb hat der Münchner Sozialarbeiter und bekannte Pflegekritiker seine Teilnahme am Tölzer "Pflegefachtag" abgesagt. Zu diesem hatte der Real-Verbund Isarwinkel vergangene Woche im Rahmen des Tollhaus-Festivals eingeladen. In den Heimen des Verbunds, der heuer sein 20-jähriges Bestehen feiert, hatten der Medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) und die Heimaufsicht im Landratsamt immer wieder gravierende Mängel moniert.

Die Absage sei ihm nicht leicht gefallen, sagt Fussek. Er halte Arnold Torhorst, den Gründer und Leiter des Real-Verbunds, für einen "sehr engagierten, couragierten und kompetenten Menschen". Deshalb habe er ihm gegenüber eine "gewisse Beißhemmung". In dieser Sache jedoch, so Fussek, habe Torhorst ihn "persönlich schwer enttäuscht". Die Einladung zum Tollhaus-Festival, das ein Kultur- und Vergnügungsprogramm mit Fachtagungen kombinierte, hatte Fussek im April zunächst angenommen - unter der Maßgabe, "die Dinge in Tölz beim Namen nennen zu dürfen", wie er sagt. Torhorst sei damit einverstanden gewesen. Zugleich habe er, Fussek, aber auch erwartet, dass Torhorst sich umgehend daran machen würde, die Mängel im Pflegeheim des Reha-Zentrums Isarwinkel zu lindern - eine Erwartung, die in den vergangenen Monaten enttäuscht worden sei. "Es gibt leider keinen Grund zu feiern", bilanziert Fussek. "Wie kann man eine Einrichtung feiern, wenn in ihr Grund- und Menschenrechte missachtet werden?"

Nach der jüngsten Prüfung hatte das Landratsamt den Pflegebetrieb in Tölz stark eingeschränkt. Statt 43 Menschen dürfen im Reha-Zentrum Isarwinkel künftig nur noch 17 betreut werden. Bei einer Frau waren Maden in einer offenen Wunde entdeckt worden. Zudem hatten die Prüfer erneut die üblichen Mängel beanstandet: unzureichende Hygiene, schlechte Ernährung, Fehler in der Wundversorgung, zu wenige Fachkräfte.

Diese Probleme gebe es überall, sagt Fussek, der seit Jahrzehnten für eine bessere Altenpflege kämpft. Und Torhorst könne natürlich nicht zaubern. "Aber ich glaube, er hätte genügend Zeit gehabt, etwas an den massiven Missständen zu ändern. Ich bin enttäuscht und überrascht, dass er so lange gewartet hat, bis wieder eine Kontrolle von außen kam." Die letzte Prüfung des MDK sei "mehr als beschämend ausgefallen". Zugleich sieht Fussek aber auch den Landkreis, die Angehörigen und die gesetzlichen Betreuer, die Ärzte und Pflegekräfte in der Verantwortung. "Die Einrichtung ist ja nicht in der Ukraine, sondern in Tölz. Wo ist das Frühwarnsystem?"

Zum Tollhaus-Festival habe er unter diesen Bedingungen jedenfalls nicht fahren wollen, erklärt der gebürtige Lenggrieser: "Da hätte ich ein massives Glaubwürdigkeitsproblem." Am 19. August hatte er seine Zusage mit einer ausführlichen Begründung zurückgezogen. Auch Ottilie Randzio, stellvertretende Geschäftsführerin des MDK Bayern, hatte ihre Teilnahme zu diesem Zeitpunkt bereits abgesagt. Der Flyer mit ihren Namen, der noch immer auf der Tollhaus-Homepage zu finden ist, war zu diesem Zeitpunkt schon verteilt.

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(Foto: Angelika Bardehle)

Pflegeexperte Claus Fussek wirft dem Real-Verbund massive Versäumnisse vor.

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(Foto: Manfred Neubauer)

Arnold Torhorst, Real-Geschäftsführer, gelobt Besserung.

Torhorst sieht sich zu unrecht angefeindet. "Wir sind öffentlich vorgeführt worden, seit vor eineinhalb Jahren Mitarbeiter an die Presse gegangen sind", sagt er. Dabei wisse jeder, wie schwierig die Lage in der Pflege sei. Der Fachtag wäre eine Gelegenheit gewesen, offen über die Nöte zu sprechen, die alle Heime hätten. "Ich stehe ja zu der Kritik und übernehme die Verantwortung." Mit Fussek habe die Veranstaltung das Zugpferd verloren. Nur 15 Teilnehmer seien gekommen. Nun will Torhorst nach vorn schauen: "Wir konzentrieren uns auf das, was wir zu tun haben, nämlich Qualität im Bereich der Leistungsvereinbarung zu erbringen." Er sei zuversichtlich, dass dies im Demenzneubau des Reha-Zentrums auch gelinge.

© SZ vom 23.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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