Inklusion:Papiervögel und ein Netz aus Wolle

Inklusion: Auftakt zu einem Theaterprojekt: Leiterin Ulla Haehn (stehend, links) mit Teilnehmern in Geretsried.

Auftakt zu einem Theaterprojekt: Leiterin Ulla Haehn (stehend, links) mit Teilnehmern in Geretsried.

(Foto: Hartmut Pöstges)

In Geretsried proben Menschen mit Behinderung für ein Theaterstück.

Von Anja Brandstäter, Bad Tölz

Zehn Frauen und Männer zwischen 20 und 50 Jahren sitzen um einen Tisch und falten nach Anleitung Vögel aus buntem Tonpapier. Einige sind ganz schnell fertig, andere benötigen mehr Zeit und Hilfe. Aber alle sind vergnügt bei der Sache. "Jetzt nehmen wir diese Spitze und führen sie an die untere Kante", erklärt Ulla Haehn von der Komischen Gesellschaft aus Bad Tölz. Sie hat gemeinsam mit dem Wolfratshauser Diakon Michael Baindl und Regine Köhl vom Arbeitskreis für Menschen mit Behinderung ein Projekt ins Leben gerufen, in dem Menschen mit und ohne Behinderung gemeinsam ein Theaterstück erarbeiten und zur Aufführung bringen sollen. Proben dürfen sie im Geretsrieder Seniorenheim Sankt Hedwig der Caritas.

"Der Inklusionsansatz ließ sich leider nicht verwirklichen, obwohl wir bei sämtlichen Schulen angefragt haben", erklärt Regine Köhl. Inklusion, also die Zusammenarbeit mit nicht Behinderten, stoße immer noch auf Ablehnung. "Schade, denn jeder hat Qualitäten. Die Vielfalt ist doch eine Bereicherung", fügt sie hinzu. Jetzt nehmen ausschließlich Menschen mit Behinderung an dem Projekt teil. Die Initiative, ein Inklusionsprojekt anzubieten, kam vom Arbeitskreis für Menschen mit Behinderung. Finanziell unterstützt hat das Projekt der "Verein zur Förderung der gemeinsamen Erziehung behinderter und nichtbehinderter Kinder". Während Regine Köhl erzählt, schreiten die Bastelarbeiten voran. "Rosi, wie sieht es aus, der Vogel braucht noch einen Schnabel" ruft Baindl, und Rosi erledigt noch den letzten Arbeitsschritt. "Jetzt hat jeder einen Vogel. Ihr habt das spitzenmäßig gemacht", lobt Ulla Haehn.

Bisher ist von Theaterspielen noch keine Spur zu erkennen, bis Regisseurin Haehn fragt: "Wie fühlt sich grantig sein an?". Die Teilnehmer verziehen die Gesichter, einer streckt die Zunge heraus. "Genau so fühlt es sich an, wenn es draußen immer so finster ist", entgegnet Haehn.

Zum Abschluss des ersten Treffens bilden alle einen Kreis. Ulla Haehn hat ein rotes Wollknäuel dabei. "Ich schmeiße das Wollknäuel zu Martin, Martin fang es, halte den Wollfaden fest und wirf das Knäuel zu Florian." So geht es weiter, bis zum Schluss alle durch den Wollfaden vernetzt sind. "Jetzt schauen wir uns das mal an, wie sieht das aus?", fragt Haehn. "Wie ein Netz", antworten die Teilnehmer. "Jetzt sind wir ein super Team, und nächste Woche geht es weiter" verabschiedet sich die Regisseurin von der Gruppe.

Am Nachmittag wurde den Teilnehmern schon die Geschichte "Wie die Sonne ins Land Malon kam" vorgelesen. Beim nächsten Treffen darf sich jeder eine Rolle aussuchen, die er spielen möchte. Dabei ist der Fantasie keine Grenze gesetzt. Ziel ist es, bis zum Sommer ein bühnenreifes Stück zu erarbeiten, das in der "Alten Madlschule" in Bad Tölz, in Altenheimen und bei Pfarrfesten zur Aufführung kommen soll. Einige der Teilnehmer haben schon im vergangenen Jahr an einem Theaterprojekt teilgenommen. "Es macht sie stolz, vor Publikum aufzutreten", sagt Baindl. "Das stärkt ihren Selbstwert, und die Anerkennung durch den Applaus tut ihnen sehr gut." Und Haehn erzählt: "Wenn sie sehen, dass sie auf einer richtigen Bühne mit Bühnentechnik spielen dürfen, sind sie überglücklich." Ein Teilnehmer arbeite in einem Supermarkt, berichtet Baindl. Sein Arbeitgeber habe ihm für die Proben extra frei gegeben.

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