Bad Tölz:Ohne Prognose, ohne Plan

Bad Tölz: Thomas Bigl, Sachgebietsleiter Sozialwesen im Landratsamt.

Thomas Bigl, Sachgebietsleiter Sozialwesen im Landratsamt.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Landratsamt beleuchtet die Asylsituation im Kreis. Wie es mit der Zuwanderung weitergeht, ist offen.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Die hektischen Monate sind vorbei, als der Landkreis jede Woche 57 Flüchtlinge unterbringen musste. Seit Ostern schickt die Regierung von Oberbayern keine neuen Asylbewerber mehr vor die Pforte des Landratsamtes, in den Schulturnhallen in Icking und Bad Tölz findet wieder Sportunterricht statt, der Gemeindesaal in Münsing ist geräumt. "Wir sind wieder in Normalbetrieb, aber planlos", sagte Thomas Bigl in einem Vortrag im "Welt-Raum" am Vichyplatz. Trotz der Atempause ist dem Sachgebietsleiter Sozialwesen im Landratsamt unbehaglich zumute. Während 2015 eine Hochrechnung zu den Flüchtlingszahlen die nächste jagte, gibt es für heuer so gut wie keine Prognose. "Wir wissen nicht, sollen wir bauen, sollen wir Unterkünfte anmieten, sollen wir neues Personal einstellen."

Ein Dutzend ehrenamtlicher Asylhelfer war zu dem Vortrag gekommen, den der Arbeitskreis Senioren in Bad Tölz veranstaltete. Weil die Zuwanderung von Flüchtlingen verebbt ist, werde der Landkreis derzeit keinen neuen Vertrag mit privaten Vermietern unterschreiben, sich diese aber "halbwegs warm halten", sagt Bigl. 18 588 Asylbewerber leben im Landkreis, davon 396 in Bad Tölz. Die Gemeinschaftsunterkunft in Geretsried für 250 Personen ist so gut wie fertig, die neben der Realschule in Tölz für 150 Menschen wird gerade gebaut. In Geretsried entstehe ein Musterbau, der zeige, was eine Region aus heimischen Hölzern errichten könne, so Bigl. "Vielleicht ist er im Herbst belegt, vielleicht wird er nicht eröffnet, was ich aber nicht glaube. Dann entstehen eher kleine Wohnungen." Ähnliches gilt für das Gebäude am Tölzer Schulzentrum, das im August bezugsfertig sein soll. Die Asylunterkunft der Stadt auf der Flinthöhe bezeichnete Bigl als kluges Vorhaben. "Selbst wenn kein einziger Flüchtling kommen sollte, hat Bad Tölz etwas Tolles für Einheimische."

Der Sachgebietsleiter hält es für möglich, dass sich der Landkreis im Juli in der komfortablen Situation befindet, rund 300 leere Plätze für Asylsuchende vorzuhalten. Dann könne er sich mittelfristig von unwirtschaftlichen Objekten trennen, die er in der Not angemietet habe. Andererseits ist Bigl zufolge Vorsicht geboten: "Wenn wir jetzt zehn Wohnungen hergeben, die wir aber in drei Monaten brauchen, ist der Vermieter weg." Immerhin hat die Verschnaufpause für ihn einen Vorteil: Die neuen Mitarbeiter für das Fachgebiet Asyl im Landratsamt können momentan in Ruhe eingearbeitet werden.

Deutliche Kritik übte Bigl an den langen Wartezeiten für Flüchtlinge. Nach der Ankunft in Deutschland dauere es oft ein Jahr, bis sie überhaupt ihren Asylantrag stellen könnten, sagte er. "Das ist verlorene Zeit." Seiner Ansicht nach sollte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge sein Personal vor allem hier einsetzen. Die Ungewissheit, ob jemand bleiben dürfe, frustriere nicht nur die Betroffenen, sondern verunsichere auch Ehrenamtliche und Betriebe, die Asylsuchende einstellen wollten. "Das Warten ist das Schäbigste, was wir mit diesen Menschen anstellen."

Den Meinungsaustausch mit den freiwilligen Asylhelfern im "Welt-Raum" nutzte Bigl auch dazu, mit einigen Gerüchten über Flüchtlinge aufzuräumen. Asylbewerber bekämen anstandslos teure Operationen bezahlt: Das stimme so nicht, sagte Bigl. Ihnen werde nur eine Schmerz- und Notfallbehandlung gewährt. Halte ein Arzt eine OP für nötig, werde dies vom Gesundheitsamt geprüft. Asylbewerber erhielten viele Sozialleistungen, arme Rentner gingen leer aus: Richtig sei daran, dass Flüchtlinge über Smartphone gut informiert und untereinander vernetzt seien, so Bigl. "Das Wissen ist aber auch für andere verfügbar." Dies unterstrich Rita Knollmann, Leiterin des Tölzer Mehrgenerationenhauses: "Der kleine Grundsicherungsbezieher muss sich eben an die Fachstellen wenden." Asylbewerber seien nur junge Männer: Das sei richtig, sagte Bigl. Fast alle im Landkreis seien unter 30, "ganz selten ist mal eine Oma dabei." Das liege daran, dass Familien ihr stärkstes Mitglied auf die gefährliche Flucht nach Europa schickten. Außerdem reiche das Geld oftmals nur für eine Person.

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