Klassik im Kurhaus :Painful, glühend, transparent

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Das „Escher String Quartet“, hier bei seinem Gastspiel in Bad Tölz, wurde 2005 in New York City gegründet und tritt in den USA, Europa, Australien und China auf. (Foto: Manfred Neubauer)

Das „Escher String Quartet“ überzeugt in der Reihe „quartettissimo“ mit Werken von Mendelssohn, Barber und Dvořák – und Romantik aus 150 Jahren.

Von Friedrich-Karl Bruhns, Bad Tölz

Fast jeder kennt seine Bilder voller perspektivischer Unmöglichkeiten und optischer Täuschungen: Maurits Cornelis Escher, der Namenspatron des US-amerikanischen Escher String Quartet, war ein holländischer Maler und Grafiker, der eine Zeit lang für seine frappierende Technik fast Kultstatus genoss. Obwohl er bei Wissenschaftlern und Mathematikern hochgeschätzt war, wurde er eben deshalb nicht immer als Künstler anerkannt. Dieses Schicksal bleibt den vier Musikern erspart, die nun auch in der Reihe „quartettissimo“ ihre Klasse unter Beweis stellen konnten. Veranstalter Christoph Kessler hatte sich mehr als drei Jahre lang um einen freien Termin in ihrem Kalender bemüht.

Das verbindende Thema zwischen dem eröffnenden (Felix Mendelssohn Bartholdy) und dem abschließenden Werk (Antonín Dvořák) ist glühende Romantik. Aber auch das mittlere (Samuel Barber) hat eindeutig romantischen Charakter, selbst wenn es mit dem Entstehungsjahr 1936 aus einer völlig anderen Zeit stammt. Felix Mendelssohns op. 12 in Es-Dur gilt als das unbeschwertere seiner beiden frühen Streichquartette. Die sehnsüchtige Adagio-Einleitung, ineinander verwobene lyrische Melodielinien, festigen diesen Eindruck. Bei der „Canzonetta“ haben die Musiker hörbaren Spaß daran, die Melodie und die liegenden Stimmen paarweise zwischen den zwei Violinen und den tiefen Streichern wechseln zu lassen. Vor allem zeigt das Ensemble aber auch die abgründigen Facetten des scheinbar leichten Werks auf.

So reagieren Profis, wenn ein Tablet streikt

Die verzweifelten Gesten im Schlusssatz kann das Publikum ungeplant gleich zweimal fast in voller Länge hören. Denn so reagieren Profis, wenn ein Tablet partout keine Noten mehr zeigen will: unaufgeregte Information, diskreter Neustart des Computers, und weit vorn im Satz noch einmal anfangen. Wie bei einem Saitenriss im Konzert, der allerdings deutlich öfter passiert.

Aus seiner Heimat hat das Quartett Musik von Samuel Barber mitgebracht. Das Kernstück seines op. 11 in h-Moll ist der zweite Satz, seine bekannteste Komposition. Nur wirkt sie als Teil eines Ganzen völlig anders als in den unzähligen Bearbeitungen unter dem Titel „Adagio for Strings“, erst so erlangt sie ihre wahre Bedeutung. Aus dem harmonisch und rhythmisch komplexen ersten Satz entwickelt sich organisch dieses zentrale Adagio, in der Anmoderation der Musiker als „painful“ bezeichnet, schmerzhaft. Das beklemmende, dabei trotzdem tröstliche Stück ist in den USA die meistgespielte Musik zu traurigen Anlässen – kein Zufall, dass sie hier zum Volkstrauertag auf dem Programm steht. Der kurze dritte Satz, eine Reminiszenz an den ersten, steigert sich nach ruhigem Beginn zu einem knappen tumultartigen Ausbruch – dann ist plötzlich Schluss. Besonders mit dem expansiven, dabei extrem dichten zweiten Satz ist offenbar alles gesagt.

Das Glücksgefühl, wieder daheim zu sein

Nach der Pause bei Antonín Dvořáks op. 105 in As-Dur wechselt die Stimmung völlig. Im wie immer professionell gestalteten Programmheft steht, im Allegro des ersten Satzes spiele sich ein „Wettstreit zwischen den Motiven“ ab. Die immer wieder überraschenden Wendungen kostet das Ensemble mit Spielfreude und sattem Sound aus. Der zweite Satz, ein Scherzo, beginnt beschwingt mit irritierendem Wechsel zwischen Zweier- und Dreiertakt. Hinreißend gelingt den Musikern der Zauber des Mittelteils mit seinem geistvollen, schwärmerischen Dreier-Rhythmus, himmelweit entfernt von einem robusten Walzer.

Dvořák hat in Briefen das Glücksgefühl beschrieben, nach den - wenngleich sehr erfolgreichen - drei Jahren in den USA endlich wieder daheim zu sein. Wenn so eine Musik so einfühlsam gespielt wird, ist diese Freude geradezu greifbar. Wen stören da schon gelegentliche Portamenti (gefühlvolle kleine Schleifer) der Bratsche, wo sie doch so prachtvoll sonor klingt? Gleiches gilt für den dritten Satz, etwa wenn die anderen drei Stimmen den seligen Gesang der ersten Geige mit Girlanden umspielen. Und auch im finalen Allegro findet Dvořák immer wieder zu seinem urböhmischen Tonfall zurück. Wie meistens bei ihm scheint diese schwelgende Musik echte Volkslieder zu zitieren, dabei sind es durchweg Einfälle des genialen Komponisten. Die Idiomatik seiner Heimat liegt nun mal in seiner DNA.

Mit der Zugabe dehnt das Escher String Quartet den Begriff der Romantik zeitlich bis in die Klassik. Das Menuett aus dem D-Dur-Quartett KV 575 von Wolfgang Amadeus Mozart lassen sie ganz fein und in warmen Farben leuchten. Bei aller Verschiedenheit der Stücke gibt es noch eine Gemeinsamkeit: Wegen des herrlich opulenten Ensembleklangs hat man den Eindruck, da seien doch mehr als bloß vier Musiker am Werk. Und doch bleibt alles transparent, der Hörer kann jede Stimme einzeln verfolgen.

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