Konzert in Bad Tölz:Liebe für den Meister mit der Hornbrille

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Gelungene Hommage im Kurhaus: Das "Jerusalem Quartet" beim Konzert in Bad Tölz. (Foto: Manfred Neubauer)

Krisen kennzeichnen die Biographie Dmitri Schostakowitschs, der vor fünfzig Jahren gestorben ist. Seinem faszinierenden Werk widmet das „Jerusalem String Quartet“ eine brillante Hommage im Kurhaus.

Von Paul Schäufele, Bad Tölz

Der Mann mit der Hornbrille und dem starren, ernsten Blick ist vor fünfzig Jahren gestorben: Ein Jahrhundert-Komponist, der wie kein anderer der Katastrophengeschichte seiner Zeit ein klangliches Profil gegeben hat. Dmitri Schostakowitsch gilt zurecht als einer der Großen, steht deshalb auch oft auf den Konzertprogrammen in aller Welt. Dennoch ist die Hommage der Bad Tölzer Konzertreihe „quartettissimo!“ an den Komponisten dringend notwendig. Weil dessen Kammermusik unmittelbaren Zugang zu einem der originellsten Musiker-Köpfe überhaupt ermöglicht und vor allem, weil das Jerusalem String Quartet den drei im Kurhaus aufgeführten Streichquartetten eine so sinnliche wie intellektuelle Energie verleiht, mit der man die Stücke selten gehört hat.

Das frühe F-Dur-Quartett Nummer 3 erhält oft den Anstrich eines flotten Neoklassizismus, so als hätte Schostakowitsch nur versucht, in ironisch gespiegelter Weise an die Haydn-Mozart-Beethoven-Tradition anzuknüpfen. Das aus Israel stammende Quartett beweist, dass das eine unzureichende Verkürzung wäre. Zwar begegnen die vier dem Kopfsatz mit genug federnder Eleganz, doch zeigen sie auch in der Durchführung, einer wuchernden Doppelfuge, dass das Stück den Geist der Moderne atmet. Robust lakonische, gar nicht klassizistische Kommentare des Cellos tun das Ihre. Ein gespenstischer Walzer mit behutsam getupften Staccato-Akkorden und expressiv ausgesungenen Seufzern wandelt die Atmosphäre ins Mysteriöse. Dem Jerusalem Quartet, seit drei Jahrzehnten führend in seiner Zunft, fällt das nicht schwer.

Brillanter Brillenträger: Dmitri Schostakowitsch ist vor 50 Jahren gestorben. Der russiche Komponist gilt als einer der Großen seiner Zunft. (Foto: Imago/IMAGO/Heritage Images)

Es ist eines der Markenzeichen des Ensembles, mit höchst individuellem Ausdrucksbedürfnis ein jedes Stück auf seine Charakteristiken abzuklopfen, ohne sich dabei zu verfasern. Was hält die Interpretationen auch so disparater Stücke zusammen? Mit Blick auf das israelische Quartett ist die Antwort so leicht zu formulieren wie im Ergebnis schwer zu beschreiben – es handelt sich um eine Art von Wärme, um tiefes Verständnis und Liebe für die aufgeführten Werke, die man in zeitgenössischen Quartetten selten findet.

Schlicht erschütternd wirkt deshalb nach dem bedrohlichen Allegro non troppo die Adagio-Variationenreihe. Von eminenter Klangschönheit und selbstverständlicher Homogenität ist hier der Satz, in dem sich unsentimental schmerzerfüllt ein und dasselbe Thema in immer neuen Anordnungen aussingen darf. Den tröstlichen Schluss bereitet ein Finale, das sich nach unruhigem Beginn immer weiter entspannt, um schließlich in Ensemble-Heiterkeit und schimmerndem F-Dur zu enden.

Christoph Kessler, Organisator der Konzertreihe beim Verein Klangerlebnis, trägt auch eine Brille - und führt die Besucher in den Schostakowitsch-Abend ein. (Foto: Manfred Neubauer)

Einen Moment der Sammlung braucht es, dann erreichen die ersten Bravo-Rufe die Bühne. Sie werden sich im Laufe des Abends noch intensivieren. Und das, obwohl das ebenfalls fünfsätzige neunte Schostakowitsch-Quartett nicht zu den typischen Publikumslieblingen gehört. Im Konzert ist es seltener zu hören als etwa das benachbarte achte, was sich durch die geradezu ideale Version des Jerusalem String Quartet ändern könnte.

Schon den emotional sonst eher unschlüssigen ersten Satz präsentiert das Quartett mit surrealer Klangqualität, belebt die unendlichen Achtelketten und artikuliert vital. Hier ist das Staccato echtes Staccato. Dabei lässt sich das Quartett nicht auf naheliegende Effekte ein. Der zweite Satz, dem immerhin wohl ein Opernzitat (aus Alban Bergs „Wozzeck“) zugrunde liegt, entfaltet sich so in großenteils vibratolos vorgebrachten Harmonien. Jeder Akkordwechsel wird zum Ereignis, die Melodie bezwingt mit lyrischer Kraft, was sich im ebenfalls langsamen vierten Satz wiederholen soll.

Im dritten und fünften Satz zeigen die vier Männer eine andere Art bezwingender Kraft: Sie spielen mit solchem Tanzschwung auf – dabei realistischerweise auch mal den Bogen kratzen lassend – dass man Leute hat mitwippen sehen. Eine atemraubende Stretta vor dem Schlussjubel.

Die Streicher gestalten das Opus 133 als große Erzählung

Das zwölfte Quartett wird üblicherweise biographisch eingeordnet in die von Krankheit und privaten Krisen gezeichneten späteren Lebensjahre des Komponisten. Und ja, der Ton ist düsterer als in den frühen Streichquartetten. Dennoch kann man sich des Werks mit Vitalität und Ausdruckslust annehmen und so die innewohnende Sprödigkeit, Unzugänglichkeit umwandeln. Jedenfalls das Jerusalem String Quartet kann das und gestaltet das Opus 133 als eine große, stringent angelegte Erzählung. Die vier bannen das Publikum mit der rasanten Motiv-Schau, die eine faszinierende Passage nach der anderen vorbeiziehen lässt. Auf die wie von ferne klingenden parallelen Moll-Akkorde etwa antwortet das Cello mit einem ausdruchsvollen Monolog, in den sich dann blendend hell die gezupfte Geige einmischt.

Was bliebe nach den vordergründig jubelnden Schlussakkorden noch zu sagen? Nicht viel, außer allseitigem Bravo. Eine Zugabe schenkt das Jerusalem String Quartet dem Tölzer Publikum dennoch: ein reibungslos laufendes Perpetuum-mobile-Scherzo aus Schostakowitschs erstem Quartett.

Die begeisterte Reaktion des Publikums zeigt, dass Schostakowitsch wichtig ist, weil er musikalisches Zeugnis abgelegt hat von den Schrecken des zwanzigsten Jahrhunderts, von den Qualen, die es bedeutet, in Unfreiheit leben und kreativ arbeiten zu müssen. Doch noch mehr zeigt der jubelnde Applaus, dass Schostakowitsch wichtig ist, weil sich in seinen Werken auf geniale Weise eine Seele ausgesprochen hat, so leidend und euphorisch, trotzig und schutzbedürftig wie andere. Das verlangt nach einer Vielzahl von Feiern, zumal mit solchen Interpreten wie dem Jerusalem String Quartet, das die Dimensionen dieses weltumspannenden Werks nachempfinden lässt.

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