Lehards-Abend in der Alten Madlschule:Lachen gegen die Krise

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Mit Wärmflache, Wollmütze und Schnaps gehen Ludwig Retzer und Sepp Müller die Kälte an. (Foto: Manfred Neubauer)

Einheizrezept des Tölzer Kulturvereins "Lust": Wenn das Publikum klatscht, steigt die Raumtemperatur. Und wie es klatscht!

Von Veronika Ellecosta, Bad Tölz

"Einmal alle bitte Krisee sagen", sagt Angela Merkel und hält dem Publikum eine braune Analogkamera entgegen. Sie ist auf Urlaub im Oberland - natürlich auf Selbstkosten - und weil sie eben oft beim Urlauben fotografiert wird, wird auf dem diesjährigen Lehards-Abend des Tölzer Kulturvereins "Lust" von der Bühne aus zurückfotografiert. Ende vom Lied ist, dass aus dem Foto dann doch nichts wird. Angela hat den Farbfilm vergessen. Aber die Energiekrise ist als eines der Leitthemen des traditionsreichen Kleinkunstabends an den Vorabenden der Leonhardifahrt damit schon mal ausgemacht.

Kaum eine der Nummern in der von Freitag- bis Sonntagabend ausverkauften Alten Madlschule lässt das aktuelle Weltgeschehen und die eigenen Heizhemmungen aus. Die Sorgen über den nahenden Winter werden aber heiter verpackt. Ganz nach dem Motto: Wenn nichts hilft, hilft nur noch lachen. Oder, wie es Ludwig Retzer auf der Bühne, eingemummt in einen dicken Wintermantel und mit Wollsocken an den Füßen, formuliert: Wenn das Publikum derart narrisch lacht und klatscht, steigt die Raumtemperatur um mindestens fünf Grad.

Auch der Kulturverein hat sich nämlich mit Energiepolitik befasst und das eigene Haus auf Energieeffizienz getrimmt. 2,9 Kilowatt lassen sich an einem Tag pro Gast erzielen, vorausgesetzt, die Gäste gehen leichter Tätigkeit nach. Lachen und Klatschen also. Einen höheren Wirkungsgrad erzielt man, rechnet Sepp Müller auf der Bühne aus, wenn alle Personen im Publikum nackt sind. Und wenn das nichts hilft, hat die Tölzer Lust ein altbewährtes Rezept gegen die Kälte parat - ein Stamperl Schnaps.

Auch Klatschen soll helfen, meinen die "Lust"-Leute. (Foto: Manfred Neubauer)

Am Lehards-Abend funktioniert die Strategie Lachen und Klatschen allerdings bestens, denn dem Publikum dürstet nach Leichtigkeit, Pointen werden lautstark honoriert. Zur guten Stimmung im Saal trägt auch die Band Mama-Bua aus dem Isarwinkel bei. Sie heizt mit einer stimmigen Mischung aus Blasmusik, Ska und humorvollen Texten in Mundart so gut ein, dass sie am Ende noch eine Zugabe spielen darf und bringt die Ballett-Schwäne, die über die Bühne hoppeln und den "Kini" Ludwig suchen, zum Tanzen. Auch das Publikum bleibt nicht mehr auf den Stühlen sitzen. Damit dürfte die Temperatur im Saal nochmal um zwei Grad gestiegen sein.

Als Bürgermeister Ingo Mehner (CSU) von dem Tölzer Publizisten Christoph Schnitzer zur Wallfahrt befragt wird, ist das Publikum besonders engagiert dabei. Ob es gut oder schlecht sei, dass in Bad Tölz die Frauen nur auf den Wagen sitzen dürfen, will Schnitzer wissen. Das sei nun mal so, sagt Mehner - wofür er kräftig ausgebuht wird. Dass Traditionen bekanntlich nicht statisch sind, zeigt Schnitzer anhand einer Darstellung aus dem 19. Jahrhundert, wo die Stadträte nicht zu Ross, sondern zu Fuß und mit einer Bußkerze den Kalvarienberg erklimmen. Eine weitere Frage an den Bürgermeister lautet, warum denn der diesjährige Ehrengast Ministerpräsident Markus Söder ausgerechnet am Kalvarienberg, wo Vieh und Fuhrleute gesegnet werden, seine Grußworte zu halten gedachte. Das war unbedacht, gibt Mehner zu. Aber mittlerweile wurde die Idee verworfen, erfährt man an diesem Abend.

Auch ein historischer Rückblick fehlt nicht. Dazu hat Schnitzer die traurige Geschichte des ehemaligen Parkhotels zutage gefördert. Nachdem die New York Times 1992 Bad Tölz als bayerisches Paradies mit Lederhosen, Bier und Isarstrand porträtierte, veröffentlicht sie einen Leserbrief von Alfred Gutmann, der zu dieser Idylle ein Korrektiv anbietet. Er ist Nachfahre von Julius Hellmann, einst jüdischer Besitzer des Tölzer Parkhotels. Bereits vor der Machtübernahme der Nazis sei das luxuriöse und moderne Hotel antisemitischen Angriffen ausgesetzt gewesen, zitiert Schnitzer den Leserbrief. Im August 1935 wird die Straße vor dem Hotel mit der Aufschrift "Hier wohnen Vaterlandsverräter" versehen und bewacht, einige Tage später zieht eine Menschenmenge durch das Bäderviertel und skandiert "Juden unerwünscht". Bald werden alle jüdischen Kurgäste aus der Stadt ausgewiesen, das Parkhotel geschlossen und Hellmann zum Verkauf unter Wert gezwungen. Hellmann und seine Schwester Bertha sterben in Konzentrationslagern. Bad Tölz war eines der ersten Ziele ethnischer Säuberung Hitlers, er habe das als Zwölfjähriger selbst gesehen, schreibt Gutmann in seinem Leserbrief. Auch das sei Teil der Stadtgeschichte und der Kultur von Bad Tölz, sagt Schnitzer.

Abgeschlossen wird der Kleinkunstabend traditionell mit dem Pinzgauer Wallfahrtslied, umgedichtet auf Bad Tölz. Da geht es dann, keine Überraschung, wieder um die Energiekrise. Die Rösser sollen die Regionalbahn zwischen Lenggries und München ersetzen: "Spart Energie und die Gäste kommen pünktlich an wie noch nie." Schön, dass man in diesen Zeiten so herzhaft lachen darf.

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