An einem langen Tisch schneiden Schulkinder zusammen mit einer Betreuerin einige Kürbishälften für eine Suppe klein, während andere auf dem Rasen nahe der Klostermauer lärmend Ball spielen. In der klaren Luft hängt der Geruch nach Rauch, weil Laub und Äste verbrannt werden. Es ist Herbst im "Tölza Garten" neben dem Franziskuszentrum. Der ehemalige Klostergarten ist seit knapp fünf Jahren ein grünes Klassenzimmer für Tölzer Grundschüler. Aber nicht nur das. Auch psychisch Erkrankte des Reha-Zentrums Isarwinkel, Langzeitarbeitslose oder Asylbewerber kommen hierher, werkeln und erholen sich in der Natur. Der seit 2014 vom Bund Naturschutz betriebene "Tölza Garten" hat jetzt die Auszeichnung "UN Dekade - biologische Vielfalt" der Vereinten Nationen bekommen.
"Es ist schon etwas Besonderes, wenn eine Stadt in ihrem Zentrum so etwas anbieten kann", sagt Zweiter Bürgermeister Andreas Wiedemann (FWG), der den Preis in Form einer Baumskulptur aus Holz zusammen mit dem Rektor der Tölzer Südschule, Christian Müller, am Donnerstag überreicht. Ausgezeichnet wird damit zum einen die große Vielfalt an Pflanzen und Tieren auf dem circa 3000 Quadratmeter großen Areal neben dem Franziskuszentrum. Rose-Marie Beyer deutet auf eine Strauchreihe an der südlichen Klostermauer. "Das ist eine Vogelnähr-Hecke mit Weißdorn, Felsenbirne und Holunder", sagt die Initiatorin des Gartenprojekts vom Bund Naturschutz. Der Rasen werde nicht so häufig gemäht, damit Blühpflanzen für Insekten wie Bienen und Hummeln blieben, auch Brennnessel lasse man wild wachsen. "Es sieht nicht immer so ordentlich aus", räumt Beyer ein. Der zweite Grund für den Preis ist der soziale Aspekt. Den "Tölza Garten" können alle Generationen von Grundschülern bis zu Senioren nutzen, ebenso Menschen aller Nationen.
Vor allem aber lernen Schulklassen hier die Natur kennen. Beyer zufolge bekommen sieben Klassen der Jahrgangsstufen eins bis vier aus der Jahnschule und sechs von der Südschule Unterricht zwischen Gartenhaus, Beeten, Büschen und Bäumen. Jede Klasse komme vier bis fünf Mal pro Jahr, das seien insgesamt um die 60 Besuche zwischen März und November, wenn der Garten geöffnet ist. Der Nachwuchs lernt dort nicht bloß Grundlagen des Gärtnerns, manchmal geht es auch um künstlerische Gestaltung. So haben Kinder das Bodenmosaik am Eingang zum Gartenhaus kreiert.
"Das ist praktischer Unterricht, wie man ihn sich vorstellt", sagt Schulleiter Müller. Im Lehrplan stehe sonst ja allerlei Theoretisches, was einfach nur abgehakt werde, aber in dem grünen Klassenzimmer bekämen die Kinder mit, dass es noch etwas anderes gebe als Smartphones. "Das ist die wirkliche Welt", sagt Müller. An diese Stunden erinnerten sie sich auch später noch, wenn sie vielleicht mal einen eigenen Garten haben. So wie er selbst an seine Großeltern zurückdenkt, die von Bohnen bis hin zum Obst fast alles selbst gezogen hätten.
Die ruhige, von Klostermauern umgebene Oase ist Klassenzimmer, Begegnungsstätte und Bewegungsraum in einem. Die Stadt, der das Grundstück gehört, gibt einen jährlichen Zuschuss von 2500 Euro, womit unter anderem ökologisches Saatgut gekauft wird. "Ein Samentütchen kostet drei Euro", sagt Beyer. Ein Teil der Fördermittel fließt außerdem in die Aufwandsentschädigung für die ehrenamtlichen Mitarbeiter. Derzeit habe man fünf Referentinnen, so Beyer.
Das Werden, Wachsen und Vergehen ist ein wesentlicher Aspekt im Freiluftunterricht. Die Mädchen und Buben, die in ihren Anoraks an dem langen Tisch stehen und fleißig Kürbis für eine Suppe schneiden, haben die Pflanzen im Frühjahr selbst gesät und den Sommer über gepflegt. Im Herbst kam nun die Ernte. "Vom Saatgut bis zum Verzehr bekommen sie alles mit", sagt Schulleiter Müller. "Das handelnde Tun ist was ganz Tolles." Zweiter Bürgermeister Wiedemann äußert nur einen Wunsch an den Nachwuchs und seine Betreuer: "Ich hoffe, dass es bei euch so weitergeht."