Süddeutsche Zeitung

Bad Tölz:Geliebte Riesen

Wenn sich im Herbst das Laub verfärbt, fallen sie besonders auf: Bäume, die das Ortsbild prägen. In Bad Tölz gibt es davon fast 4000. Eine Abordnung der Stadt achtet darauf, dass sie nicht einfach umgesägt werden - unterwegs mit der Baumschutzkommission

Von Sandra Freundenberg, Bad Tölz

Im Kurpark der Stadt Bad Tölz feiern die Bäume ihren Abschied vom Sommer: Ahorn, Buche und Kastanie lassen ihr Laubkleid in diesen Tagen zwischen Kirchweih und Allerheiligen wie Flammen emporlodern. Ihre Kronen schimmern wie Gold, während zu ihren Füßen sich die Eichhörnchen unvorsichtig und emsig um nichts als ihre Vorratskammern scheren. Bald werden die Herbststürme - schroff wie sie sind - die Prachtmäntel aus Laub wegreißen und die Eichhörnchen in ihre Bauten jagen. Die Tölzer Stadtverwaltung steht jetzt vor der Aufgabe, das Laub dort zu entfernen, wo es zur Gefahr werden könnte. Außerdem ist das jetzt die Jahreszeit, in der die sogenannte Baumschutzkommission ihre Schützlinge besucht, um den Zustand der Bäume zu klären.

Mitglied dieser freiwilligen Kommission sind Stadträte aller Fraktionen, dazu der Stadtbaumeister, Mitarbeiter des Betriebshofs sowie der Biologen Achim Rücker vom Bund Naturschutz.

Außerhalb des Stadtwalds gibt es in Tölz derzeit 3985 kartierte Bäume. Nach Abschluss der Baumkartierung, die derzeit läuft, werden es um die 5000 sein. Aufgabe der Baumschutzkommission ist es dabei, die von Bäumen ausgehenden Gefahren zu erkennen, etwa wenn brüchige Äste am Baum hängen. Die Kommission trägt aber auch dafür Sorge, dass Bäume gesund bleiben und das Kulturgut Baum zur Freude der Bürger erhalten bleibt.

Besorgt riecht Richard Hoch (Grüne) am Harz einer verwundeten Plantane vor der Tourist-Information. Auch Michael Lindmair (Freie Wähler) untersucht den Baum mit besorgter Miene. Zwischen zwei Fingern hält er eine Flechte in die Sonne, als ob es sich hierbei um einen Brillanten handelte. "Flechten", so Hoch, "geben sehr viel Auskunft über das Klima - sie sind sehr empfindlich und ziehen sich bei ungünstigem Klima zurück."

Der Stadtrat der Grünen ist Mitglied der Baumschutzkommission, Lindmair war es einmal. Hinter den beiden liegen Zeiten, in denen sie 30 Eschen fällen lassen mussten, bei denen ein Pilz das sogenannte Eschentriebsterben ausgelöst hat. Umweltschützer Richard Hoch musste auch miterleben, wie eine 100 Jahre alte Linde an der Kohlstattstraße gegen sein Veto gefällt wurde. "In einer Nacht- und Nebelaktion haben sie den Baum, der so viel zu bieten hatte, der Insekten- und Vogelheimat war, Kohlendioxid austauschte und ein herrschaftliches Lebensgefühl vermittelte, einfach gefällt", erinnert er sich. Damals ging es um einen Autostellplatz, der für ein Wohnbauprojekt benötigt wurde. Auch nach mehr als vier Jahren wurde mit dem Bau dort noch nicht begonnen, die Fläche liegt brach - ohne Linde

Vor einigen Jahren wurden die Linden in der Hindenburgstraße durch einen radikalen Zuschnitt schwer beschädigt. Offenbar aus diesen Erfahrungen heraus resultiert eine ambossfeste Entschlossenheit bei den Baumschützern: Sie wollen so viele Bäume wie möglich erhalten. Am Bürgergarten geht man laut Lindmair zurzeit besonders behutsam bei der Umgestaltung der Grünfläche vor. "Um das Wurzelwerk und die Partner der Bäume, die im Boden leben, nicht zu beschädigen, wird hier mit Maschinen gearbeitet, die möglichst wenig Gewicht und Druck auf den Boden bringen", erklärt Lindmair, der selbst einen Baum im Namen trägt. Der Bürgergarten, oberhalb des weitgehend unkultivierten, reich bewaldeten Rehgrabens, wo einst die Adeligen zur Jagd gingen, war früher ein Idyll von Biergarten: Unter den Baumkronen waren runde Tische platziert, mit schmucken Tischtüchern versehen. Stühle mit Lehnen und ein Musikpavillon bildeten das Ensemble, in dem sich Sommerfrischler wie Einheimische an Feierabenden und Sonntagen trafen.

Der Ausblick bot einen unverstellten Blick über die Isar auf die nahen Gipfel des Vorkarwendels. Das kultivierte Selbstverständnis eines Luftkurorts zu Füßen alpiner Wildheit manifestierte sich in diesem Blick. Das Lebensgefühl eines von Thomas Mann erdachten Hans Castorp, der es sich im Liegestuhl mit Blick in die Berge gemütlich macht, scheint hier erdacht worden zu sein. Die Stadt ist daher bemüht, diesen Ort, der zuletzt etwas verwahrlost war, aber über einen herrlichen alten Baumbestand verfügt, zu revitalisieren.

Der Ausblick ins Karwendel ist mittlerweile jedoch von einer stattlichen, kerngesunden und mächtigen Esche verstellt. Der Baum steht genau dort, wo man das Demmeljoch sehen würde, sozusagen der erweitertet Hausberg der Tölzer. "Die wird auf keine Fall gefällt werden", erläutert Lindmair vehement den Standpunkt der Stadtplanung. "Blick hin oder her!"

Lindmair hat zwar keinen direkten Lieblingsbaum, aber einen aufmerksamen Blick für besondere Exemplare. "Im Gries gab es wenig Raum für Bäume, weil die Bewohner überhaupt wenig Platz hatten, den sie dann lieber für Gemüsegärten nutzten", so Lindmair. "Aber es gibt hier einen Apfelbaum, so einen Solitär, der gefällt mir schon sehr gut", sagt er. "Der steht oberhalb der Klammergasse und unterhalb des Pfarrhofes in einem privaten Garten."

Gabriel von Seidl hat Bad Tölz nicht nur den Heimatstil gebracht, er hat sich auch um Landschafts- und Gartenarchitektur verdient gemacht. Seidls landschaftsarchitektonischem Feinsinn ist zum Beispiel die Anordnung der Bäume im Kurpark zu verdanken. Sie sind so platziert, dass der Blick Weite suggeriert und Bauten verdeckt. Auch hier werden derzeit Bauarbeiten für das neue Kneippbecken unter besonderer Rücksichtnahme auf die schönen, alten Laubbäume durchgeführt. Sicher wird es eine Herausforderung werden, das zukünftige Wasserbecken unter den Bäumen vom Laub frei zu halten.

Den Garten der Villa beim Khanturm - und damit auch die dort stehenden Bäume - ließ Seidl einst sogar per Urkunde unter Schutz stellen. Heute stehen diese Baumpatriarchen vis-à-vis des Rathauses stolz und prachtvoll wie Ritter vor ihrem Befehlshaber. Ähnlich des Kirchturms stellen sie für die Bürger der Stadt einen über die Zeit erhabenen Orientierungspunkt dar.

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Quelle:
SZ vom 27.10.2020
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