Szenische Lesung in Bad Tölz:"Das Wichtigste ist, dass man mit dem Herzen spielt"

Szenische Lesung in Bad Tölz: Amelie Kruse und Wolfgang Czeczor proben derzeit für eine Aufführung im Oktober in Bad Tölz.

Amelie Kruse und Wolfgang Czeczor proben derzeit für eine Aufführung im Oktober in Bad Tölz.

(Foto: privat/oh)

In Bichl daheim, auf den Bühnen der Welt zu Hause: Das Schauspieler-Paar Amelie Kruse und Wolfgang Czeczor inszenieren Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" im Tölzer evangelischen Gemeindezentrum.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Die hölzerne, begrünte Wand kann das Rauschen des Verkehrs nicht aufhalten. Doch allen Störgeräuschen zum Trotz verwandelt sich der kleine Außenbereich eines Bistros zu einer Bühne, sobald Wolfgang Czeczor und seine Ehefrau Amelie Kruse Platz genommen haben. Dabei sind es nicht die großen Gesten, der laute Duktus, das Überbordende, das beide pflegen, im Gegenteil. Nuancen, aber höchst präzise ausgeführte Bewegungen von Gesicht und Händen, dazu ein intensiver Blick, ein mal forderndes, dann wieder zurückgenommenes Betonen von Silben machen das Gespräch zu einer fesselnden Angelegenheit. Czeczor und Kruse sind - wie könnte es anders sein - Schauspieler und Schauspielerin. Den hageren Mann mit dem markanten Gesicht und den ungebändigten Haaren konnte man zwar bereits in zahlreichen nationalen und internationalen Rollen sehen - zuhause aber ist er wie seine Frau Amelie Kruse in Bichl. Er unterstützte Stars wie Ralph Fiennes, Jude Law, Jeff Goldblum oder Willem Dafoe, gerade erst hat er wieder einen Tatort abgedreht und in Fatih Akins "Rheingold" mitgewirkt, der im Herbst Premiere feiert. Der Anlass für das Treffen aber ist ein Herzensprojekt nah am Wohnort: Aktuell proben die beiden nämlich für eine besondere Aufführung in Bad Tölz. Am Donnerstag, 13. Oktober, bringen sie eine szenische Lesung nach der tragischen Komödie Friedrich Dürrenmatts "Der Besuch der alten Dame" auf die Bühne des evangelischen Gemeindezentrums.

Szenische Lesung in Bad Tölz: Schauspielerin Amelie Kruse.

Schauspielerin Amelie Kruse.

(Foto: Harry Wolfsbauer)
Szenische Lesung in Bad Tölz: Schauspieler Wolfgang Czeczor.

Schauspieler Wolfgang Czeczor.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Kruse und Czeczor sind wiederholt gefragt worden, warum es ausgerechnet dieses Stück von 1956 sein sollte. Ihr Antwort kommt dabei gesprudelt: "Weil es trotz seines Alters hochaktuell ist", sagt Czeczor. Dahinter stecke nämlich Kritik am Geld und die Auslotung, was der schnöde Mammon bewirken kann, wenn es nur noch darum geht. Kurz zum Inhalt: Alfred Ill schwängert die hübsche, blutjunge, aber arme Klara Wäscher, leugnet jedoch die Vaterschaft. Er heiratet stattdessen die wohlhabende Tochter des Ladenbesitzers, Klara wird des Dorfes verstoßen und muss im Bordell arbeiten, um über die Runden zu kommen. Doch ihr gelingt, was vielen anderen in solchen Situationen versagt bleibt, nämlich der soziale Aufstieg. Die einst verstoßene Klara Wäscher kehrt als reiche Milliardärin Claire Zachanassian zurück in ein Dorf, das mittlerweile in wirtschaftlichen Schwierigkeiten steckt. An ihr wollen sich nun viele gesundstoßen, doch die Gabe einer Milliarde knüpft sie an eine Bedingung: Dass Ill getötet wird. "Die erste Reaktion ist Entsetzen: Nein, wir machen uns doch nicht unsere Finger blutig. Moral! Humanität!", beschreibt Czeczor. "Aber, mit der Zeit verändert es sich", setzt er fort, lässt aber die Entwicklung der Geschichte bewusst hier stehen.

Kruse und Czeczor inszenieren das Werk als Zwei-Personen-Stück, er spielt den Part von Ill, Kruse den von Zachanassian. Teile lesen sie, weitere Personen werden von ihnen mithilfe von Requisiten dargestellt. "Ilm macht eine richtige Katharsis durch", sagt Czeczor. "Am Anfang ist er wütend, er kann's nicht begreifen, dann aber setzt doch eine gewisse Läuterung ein", beschreibt er. Zachanassians Part hingegen war lange durch die Darstellung der Schauspielerin Elisabeth Flickenschild geprägt, die sie als eiskalten Racheengel anlegte. "Ooh, sie war gut", sagt Czeczor und senkt den Blick in Demut. Kruse hingegen versuche, Zachanassian etwas menschlicher zu spielen, etwas vielschichtiger. Auch, weil beide mit dem Stück zum Nachdenken anregen wollen über Hass genauso wie über Geld und Gier und die Frage, wo in einem System, das davon geprägt ist, die Menschlichkeit noch Platz hat. "Wolfgang coacht mich, lehrt mich, verschiedene Seelenregungen auszuloten", sagt Kruse über die Regiearbeit ihres Mannes.

Hierfür nutzt Czeczor die sogenannte Michael-Tschechow-Methode. 1997 schaffte er es an die gleichnamige Schule für Schauspielkunst, die er 2001 erfolgreich abschloss. Als Neffe des Schriftstellers und Dramatikers Anton Tschechow war er berühmt für sein ergreifendes Spiel und seine unnachahmlichen Charakterisierungen. Zugleich war Tchechow Schüler von Konstantin Stanislawski, der eine nach ihm benannte Schauspieltheorie ("Stanislawski System" oder auch "The Method") entwickelt hat, bei der der Schauspieler aus einem emotionalen Ereignis schöpft. Tchechows Methode hingegen beschränkt sich nicht alleine auf die subjektive Empfindung des Schauspielers, sondern schöpft aus breiteren, psycho-physischen Techniken. "Tchechow sagte, man kann viel aus sich selber schöpfen, aber es geht noch vielfältiger", erklärt Czeczor. Klar, man könne sich immer etwas abgucken. "Aber das Wichtigste ist, dass man mit dem Herzen spielt. Jeder Schauspieler weiß das". Wissen sei aber nicht gleich können: "Es dauert Jahre, ich denke sogar, Jahrzehnte, bis man einigermaßen weiß, was das wirklich bedeutet", sagt Czeczor. Bei ihm sei es jetzt an die 20 Jahre her mit der Ausbildung, jetzt erst fühle er sich angekommen. "Und dann nimmt einen das auch mit, wenn man Rollen so verkörpert. Es ist nicht nur, dass man konzentriert bei der Arbeit ist. Abends im Hotel, da ist man dann nur noch erschöpft", weiß er.

Szenische Lesung in Bad Tölz: Amelie Kruse und Wolfgang Czeczor proben für eine szenische Lesung.

Amelie Kruse und Wolfgang Czeczor proben für eine szenische Lesung.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Kruse hat zwar nach ihrem Abitur auch eine Schauspielschule besucht, diese aber nicht abgeschlossen, sondern eine Ausbildung zur Bewegungstherapeutin gemacht. Doch auch sie hat die Bühne nie losgelassen, hat viel gespielt und auch Tourneen absolviert, "eher Liebhaber-Theater, aber schon mehr als Amateur-Theater", sagt sie.

Der Tölzer evangelische Pfarrer Urs Espeel hat die beiden dann überzeugen können, in Bad Tölz aufzutreten. Auch wenn zunächst in der Region nur dieser eine Aufführungstermin für die szenische Lesung steht: "Unser Gefühl sagt auch, dass es weitere Aufführungen geben sollte", sagt Kruse.

Die Veranstaltung "Der Besuch" am 13. Oktober geht von 19.30 Uhr bis 21 Uhr, die reine Aufführung wird etwa eine Stunde dauern. Danach ist Gelegenheit, ins Gespräch zu kommen. Der Eintritt ist frei, Spenden sind allerdings willkommen. Eine Voranmeldung ist nicht nötig, Zuschauer werden gebeten, eine Maske zu tragen.

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