Süddeutsche Zeitung

Tölzer Leonhardifahrt:Ein Fest für den Heiligen

Beim Anschirren auf einem Bauernhof wird ein Fuhrmann verletzt, ein Pferd muss eingeschläfert werden. Bei der Leonhardifahrt selbst geht es ruhig und gesittet zu.

Von Pia Ratzesberger, Bad Tölz

In Zylinder und Gehrock schreitet Peter Stockner am Morgen durch die noch leere Marktstraße. Später werden ihm hier Tausende Menschen zusehen, wie er zu Pferde den Zug der Leonhardi-Wagen anführt. In der rechten Hand trägt er schon die Standarte mit dem Wappen des heiligen Leonhard, der Himmel ist bewölkt und die Luft kalt, nur das Glockengeläut der ankommenden Gespanne ist zu hören. Aus allen Richtungen ist das Läuten zu vernehmen, denn von überall aus der Region fahren sie an diesem Morgen zum Tölzer Badeteil. Mit Tannenzweigen verzierte, mit Heiligenbildern bemalte Wagen, Pferde mit goldenem Geschirr und in den Schweif geflochtenen Blumen, Reiter in Tracht, deren Abzeichen von den Leonhardifahrten der vergangenen Jahre zeugen. Wäre man Tourist, an diesem Tag würde Tölz einem genau das Bild von Bayern bieten, das man sich immer erhofft hatte.

Zu diesem Bild gehört auch Peter Stockner, der eigentlich stets mit zwei anderen Kollegen die Spitze des Zuges anführt, in diesem Jahr aber sind sie nur zu zweit, ein Pferd ist krank geworden. "Wir reiten als Einzige bei der Wallfahrt Warmblutpferde", sagt Stockner ein wenig stolz. Ein Festwagen aus Fischbach kann an diesem Tag genau wie der dritte Vorreiter ebenfalls nicht mitfahren, weil die Pferde Zuhause beim Anschirren vor den Wagen durchgingen. Der Wagen kippte, der Fahrer brach sich vier Rippen. Eines der Pferde verletzte sich so schwer, dass es eingeschläfert werden musste.

Auch beim Aufstellen im Badeteil sind die Tiere der anderen 80 Wagen angespannt, schnauben laut durch die Nüstern, stampfen mit den Hufen. Eine Gruppe junger Frauen in Festtracht verlässt gerade die Metzgerei, einen großen Eimer Würste haben sie für die Fahrt im Wagen gekauft - um später, oben am Kalvarienberg, genügend Brotzeit für sich und die Bekannten dabeizuhaben. Auch Hochprozentiges haben sie selbstverständlich mit in den Korb gepackt, sagt Maria Bacher vom Trachtenverein Hartpenning, ihre Schultern ziert ein rotes Fuchsfell. Dass manche die Leonhardifahrt in den vergangenen Jahren immer wieder als reine Saufveranstaltung bezeichnet haben, ärgert die 25-Jährige. "Wir sitzen oben im Wagen, da können wir uns nicht völlig betrinken", sagt Bacher. Die Betrunkenen, das sind ihr zufolge diejenigen, die schon auf dem Hinweg in der Bahn vorglühten, nicht die Trachtler. Wenig später werden drei Burschen, etwa 16 Jahre alt, die Buchener Straße entlang laufen, die Gesäßtaschen voller kleiner Schnapsflaschen, angereist mit der BOB aus München.

Als die Wagen sich in Bewegung setzen, die Vierer-Gespanne im Sonnenlicht die Marktstraße hinauf in Richtung Kapelle fahren, versteht man, was Bacher gemeint hat. Die Frauen sitzen mit gefalteten Händen in den Truhen- und Tafelwagen, viele der Älteren wispern andächtig Gebete, manche der Jüngeren lächeln verlegen und schweigen. Im Gegensatz zu anderen Volksfesten ist es bei der Leonhardifahrt relativ ruhig, zumindest am Anfang. Kein Geschrei, kein Gejubel, am Rande unterhält man sich, die Blaskapellen in den Wagen spielen immer wieder einmal auf.

Tumult gibt es erst oben am Berg, wenn der Zug bereits den Pfarrer an der Kapelle passiert hat, die Männer im Ritt ihre Hüte gezogen haben. Dann, während der Predigt, die über große Lautsprecher die gesamte Wiese beschallt, wird es plötzlich laut. Die Männer drücken sich an die Wagenseiten, halten ihre Schnapsgläser nach oben, die Frauen in den Wagen blicken hinab und schenken aus. "Magst einen Süßen, ich hab auch Baileys?", fragt ein junge Frau mit hochgesteckten Haaren einen Jungen um die 14 Jahre, der mit seinen Freunden erwartungsvoll vor dem Wagen steht. Ein anderer schüttelt den Kopf, will lieber nur ein Plätzchen. Zwei, drei Stunden später werden manche mit leicht glasigem Blick durch die Marktstraße schlendern. Nicht nur die ganz Jungen, auch die Älteren, die bei kostenlosem Schnaps überschätzt haben, wie viel sie vertragen.

Während der Pfarrer Gott um Schutz für das Vieh der Bauern bittet, interessieren sich die meisten der Zuschauer vor allem für die Wurststände. Zum ersten Mal seit vielen Jahren sind an einem der Stände schon um halb zwölf alle Weißwürste und Wiener weg, die gesamten 200 Kilo verarbeitetes Fleisch. Dabei will die Leonhardifahrt doch mehr sein als nur ein großes Volksfest, als ein Anlass für Schnaps und Wurst - wenn sie das ist, dann wohl, weil es Leute gibt wie Ignaz Otto. Der 60-Jährige hat in seiner rechten Jankertasche einen Packen Papier eingesteckt, darauf gedruckt ein selbstgeschriebenes Gedicht zu Ehren des Heiligen Leonhard. Diese Blätter verteilt er unter dem Publikum, damit "die Tradition nicht in Vergessenheit gerät". Vielleicht muss er sich aber auch gar keine großen Sorgen machen. Denn egal, wen man hier in Tölz an diesem Tag fragt, ob Zuschauer oder Mitwirkende, ob Tölzer oder Münchner - auf die Frage, warum sie heute hergekommen sind, erhält man stets die immer gleiche Antwort: Tradition.

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Quelle:
SZ vom 07.11.2015
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