Bad Tölz:Dunkles Kapitel auf elf Stelen

Hindenburgstraße Stelen

Die meisten Stelen des Informationswegs Hindenburgstraße sind bereits aufgestellt. Die Gymnasiasten lesen die Texte auf dem Weg zur Schule.

(Foto: Manfred Neubauer)

Ein Expertengremium erläutert im Stadtmuseum das Konzept für den "Informationsweg Hindenburgstraße", der am Freitag eröffnet wird.

Von Klaus Schieder, Bad Tölz

Im Umgang mit Paul von Hindenburg geht die Stadt Bad Tölz einen eigenen Weg. Sie tauft die nach dem ehemaligen Reichpräsidenten benannte Straße am oberen Ende der Fußgängerzone nicht um, andererseits lässt sie die Straßenschilder auch nicht unkommentiert stehen. Elf Stelen mit Texten und Fotografien bilden den "Informationsweg Hindenburgstraße", der am Freitag, 24. April, 15 Uhr, eröffnet wird. Weil diese Feier nur für geladene Gäste gedacht ist, lud der Historische Verein die Bevölkerung am Dienstagabend in das Stadtmuseum ein. Knapp 50 Zuhörer ließen sich das Konzept von dem siebenköpfigen Expertengremium, das für die inhaltliche Gestaltung verantwortlich zeichnet, und von Designerin Julia Stelz erklären. Die Moderation hatte Klaus Pelikan, Leiter der Bürgermeisterbüros und Koordinator der Fachgruppe. Für Bürgermeister Josef Janker (CSU) wird mit dem Info-Weg "etwas geschaffen, für das man uns - davon bin ich überzeugt - beneiden wird".

Bad Tölz und Hindenburg

1925 beschloss der Tölzer Stadtrat, die alte Bahnhofstraße nach Hindenburg zu benennen. Im Jahr zuvor war der neue Bahnhof an seinem heutigen Platz entstanden. Der Neubau wurde notwendig, weil nach der Errichtung des Walchenseekraftwerks und der Ableitung von Wasser aus der Isar die Flößerei in Lenggries stark beeinträchtigt war. Zum Ausgleich versprach man der Gemeinde den Anschluss ans Bahnnetz. Der alte Bahnhof im Tölzer Norden hatte damit ausgedient, und die Straße, die dorthin führte, brauchte einen neuen Namen. Da kam es den Tölzern gelegen, dass Hindenburg nach seiner Wahl zum Reichspräsidenten mal wieder in Dietramszell im Urlaub weilte und auch ihrer Stadt einen Besuch abstattete. "Das brachte die Tölzer so in freudige Wallung, dass sie gesagt haben: Mensch, das wird unsere neue Straße", erzählte Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr. Ansonsten hatten Bad Tölz und Hindenburg kaum etwas miteinander zu tun. "Er hat nichts für Tölz gemacht, er ist von Dietramszell auf die Jagd gefahren und wieder zurück", sagte Lindmeyr.

Stelen statt Blumenstraße

Peter Probst, Schriftsteller und Drehbuchautor, hielt zunächst nicht viel von einem "begehbaren Mahnmal", das Janker anfangs statt einer Straßenumbenennung vorschlug. Er warnte den Bürgermeister, dass ein solches Projekt "je nach mutwilliger Interpretation sehr angreifbar" sei. Der Tölzer Rathauschef luf Probst daraufhin zu einer Art Schnuppermitgliedschaft in die Expertenrunde ein - in der stillen Hoffnung, die anderen Fachleute würden den Autor schon überzeugen. Das geschah auch, wie Probst einräumte. Ein anderer Straßenname wäre in Tölz vermutlich nicht durchzusetzen gewesen, außerdem "behält man damit eine politisch-moralisch weiße Weste". Die Arbeitsgruppe habe um "präziseste Formulierungen" und "genaueste Darstellungen" des Sachverhalts gerungen, sagte Probst. Von dem Ergebnis sei er "richtig begeistert". Auch Stefanie Regus, Geschichtslehrerin am Tölzer Gymnasium, ließ sich überzeugen. Einer ihrer Schüler habe gefragt, "was bringt uns noch eine Blumenstraße?", erzählte sie. Werde der Name Hindenburg getilgt, dann rede doch niemand mehr über Geschichte. Für den Unterricht kann sie den Informationsweg gut gebrauchen. "Ich kann den Schülern sagen: Geht hin, schaut es euch an und fällt selbst ein Urteil", sagte Regus.

Der Fall Dietramszell

Wie sich eine Kommune im Umgang mit dem Erbe Hindenburg bis auf die Knochen blamieren kann, hat Dietramszell vorexerziert. Vermutlich habe man dort geglaubt, man könne die unliebsame Angelegenheit mit der Hindenburg-Büste am Kloster aussitzen, meinte Probst. Dabei hätte es seiner Ansicht nach eine einfache Lösung gegeben: "Die Büste bedarf der Kommentierung, wenn jeden Tag Hunderte von Schülern daran vorbeigehen." Damit hätte die Gemeinde den imageschädigenden Schlamassel verhindern können, in dem sie nun feststecke. Das geht aber nicht mehr. Aktionskünstler Wolfram Kastner schraubte den Hindenburg-Kopf in einer aufsehenerregenden Aktion ab, der sich für Probst nicht wieder am Kloster wieder anbringen lässt, denn "das wäre die erste Wiederaufhängung einer Nazi-Büste seit 1945." Er könne nur hoffen, dass das Tölzer Beispiel die Dietramszeller ermutige, "mit Geschichte auf konstruktive Weise umzugehen und die Gräben, die aufgerissen sind, wieder zuzumachen".

Künstlerische Gestaltung

Sechs Entwürfe gab es für die optische Gestaltung des Informationswegs, zwei davon wählte das Expertengremium aus und legte sie dem Stadtrat zur Entscheidung vor. Den Zuschlag erhielt die Tölzer Designerin Julia Stelz, die elf Stelen in zunehmend geknickter Form kreierte. "Mir war klar, es muss etwas Klares sein, aber es muss sich auf eine gewisse Art und Weise seriös zurücknehmen", sagte sie. Die Bilder einer TV-Doku über Hindenburg und die Stelen des Holocaust-Mahnmals in Berlin vor Augen, entwickelte sie Begriffe wie Gewicht, Druck, Schieflage und Last, die in den Stelen mit ihren Sollbruchstellen zum Ausdruck kommen sollen. Schon aus dem ersten Objekt am "Street Café" in der Hindenburgstraße ist ein Stück herausgebrochen, die weiteren Info-Träger knicken immer mehr in sich zusammen, die letzte Stele "sieht ein bisschen wie ein Grabstein aus", sagte Stelz. "In dem Sinne, wir sind ganz unten angekommen."

Vorbild oder nicht?

Für Christof Botzenhart war es nicht zuletzt "intellektuelle Rauflust", die ihn dazu bewog, sich an der Expertenrunde zu beteiligen. Im manchen Leserbriefen zur Hindenburgstraße hätten die Verfasser "so furchtbaren Blödsinn geschrieben, dass man ihnen das Feld nicht überlassen sollte", sagte der Dritte Bürgermeister und Geschichtslehrer am Geretsrieder Gymnasium. Mit dem Informationsweg habe Bad Tölz eine Lösung gefunden, die "wirklich vorbildhaft" und eine "intellektuell-ästhetische Bereicherung" sei. Durch die Installation werde die Hindenburgstraße deutlich aufgewertet - und "wenn das Projekt überregional rezipiert wird, verändert die Außensicht auf Bad Tölz". Hermann Rumschöttel, ehemaliger Direktor der Bayerischen Staatsarchive, dämpfte solch "kommunalpolitische Begeisterung" ein wenig. Er rate zu Bescheidenheit, sagte er. "Ein Tölzer Problem ist für Tölz gelöst worden."

Nach der Eröffnung

Wenn der Informationsweg eröffnet ist, wird sich das Stadtmuseum um ihn kümmern. Leiterin Elisabeth Hinterstocker kündigte Führungen an, über andere Aktionen denkt sie noch nach. Wichtig ist ihr, geschichtliche Objekte nicht nur zu konservieren, sondern ihren Sinn in die Gegenwart zu transformieren. Das gelte auch für den Fall Hindenburg: "Wir sollten heute hinterfragen, ob noch alles so von der Demokratie geschützt ist, oder ob wir uns in dem einen oder anderen schon auf gefährlichem Boden bewegen".

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