Tölzer baut Kulturzentrum in Adama:Kinder von der Straße holen

Lesezeit: 3 Min.

Solomon Solgit hat mit seiner Frau den Förderverein "SunEko" in Bad Tölz gegründet. Die Organisation will jungen Menschen in Äthiopien eine Perspektive geben - sie sollen ihre Talente entdecken.

Von Claudia Koestler, Bad Tölz

Für viele kommt erst die Frage nach dem wirtschaftlichen Erfolg, und dann die nach der Kunst. Solomon Solgit aber will das Prinzip umdrehen - und mit der Kunst eine Möglichkeit schaffen, dass Straßenkinder in Äthiopien mehr Erfolg im Leben haben können. Zusammen mit seiner Frau Johanna Gebretsadik hat er 2016 in Bad Tölz den gemeinnützigen Förderverein "SunEko" gegründet - der wiederum in Äthiopien das Projekt "SunEko Art for Social Development" unterstützt.

In dem Kulturzentrum in der äthiopischen Stadt Adama, etwa 90 Kilometer von der Hauptstadt Addis Abeba entfernt, können Kinder und Jugendliche ihre Talente entdecken, spielerisch Akrobatik lernen und damit ihren Ehrgeiz, ihre Koordination und Talente wecken. Sie können zudem eine reguläre Schule besuchen und erhalten Schulmaterialien, bei Bedarf Nachhilfe und einmal pro Woche auch eine Mahlzeit.

"Die Idee dazu hatten wir bereits vor etwa fünf Jahren, seit zwei Jahren läuft das Projekt", erklären Solgit und Gebretsadik. Etwa 35 Kinder werden derzeit in dem Zentrum in Adama betreut und gefördert, als langfristiges Ziel hoffen die beiden auf über 150 Kinder, die sie überwiegend aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder auch direkt von der Straße holen.

Bewogen hat Solgit zu dem sozialen Engagement sein eigener Lebensweg. Der 31-Jährige wurde in Addis Abeba geboren, kam aber bereits als Kleinkind nach Adama, wo er aufwuchs. Dass er heute international als Akrobatikkünstler und Choreograf gefragt ist, "verdanke ich nur der Tatsache, dass ich die Möglichkeit hatte, mit neun Jahren in einem Kulturzentrum anzufangen." Dort konnte er sich ausprobieren, seine Talente wurden gefördert, und die Arbeit zahlte sich aus: Solgit gewann 2005 die äthiopische Meisterschaft in Gymnastik und damit ein Stipendium in China, wo er unter anderem Choreografie studierte. Im Anschluss konnte er internationale Engagements verbuchen, inzwischen ist er in 37 Ländern aufgetreten und ein weiterer Höhepunkt wartet 2019 auf ihn: Solgit wird eine Hauptrolle im neuen Programm des weltbekannten Cirque du Soleil übernehmen. In der kommenden Woche fliegt er zu den Proben nach Kanada.

Chancen, die der gebürtige Äthiopier, der inzwischen mit seiner Tölzer Ehefrau in der Kurstadt lebt, auch gerne der nächsten Generation ermöglichen will. "Mein Lebensweg zeigt, es gibt mehr Möglichkeiten, etwas zu schaffen, als nur der akademische Weg. Es gibt nicht nur schwarz und weiß, nur Doktor, Jurist oder Straßenkind, es gibt ganz viel dazwischen". Das müsse auch nicht zwangsläufig die Karriere als Künstler sein - "jeder hat ein Talent, man muss es nur finden. Und dazu gehört eine Perspektive, eine soziale Entwicklung, der Wille, sich mit etwas zu beschäftigen, Disziplin zu haben, Ehrgeiz zu entwickeln, sich zu bewegen und sich von Drogen fernzuhalten", fasst Solgit zusammen. Dinge, die das Kunst- und Kulturzentrum den jungen Menschen bietet und sie stark macht. "Es geht nicht immer um den großen Auftritt. Es geht dabei auch um das Lernen von Geduld, etwas zu erreichen", sagt Solgit. Und wenn die Kinder daraus selbst Perspektiven für sich erkennen, helfe dies auch, Fluchtursachen zu bekämpfen und das afrikanische Land zu stärken, erklärt er.

Die Kinder im Kulturzentrum im äthiopischen Adama dürfen sich künstlerisch ausleben, wie hier bei einem Auftritt (Foto: Privat)

Der Name SunEko setzt sich aus zwei Begriffen zusammen: "Sun steht für Sonne, denn eine Welt ohne Sonne geht nicht", sagt Solgit. Eko wiederum geht auf Echo zurück: "Wir wollen positive Energie verbreiten wie ein Echo", sagt der Künstler.

In einem äthiopischen Fernsehsender hatte Solgit 2015 einen Aufruf für sein Projekt gestartet und anschließend eine Auswahl getroffen. "Das Team sollte aus Menschen mit unterschiedlichen Berufen und Hintergründen bestehen", erklärt er - was gelang: Heute engagieren sich dort ein Theaterintendant, Musiker, Journalisten und Buchhalter, um ein paar Beispiele zu nennen. Es sind ausschließlich Freiwillige, die die Angebote des Zentrums in Adama stemmen, geleitet von dem Psychologen Ephrem Bekele. Der Förderverein mit Sitz in Tölz wiederum versucht über Mitgliederbeiträge und Aktionen Geld- und Sachspenden für den laufenden Betrieb beizusteuern. Bislang seien etwa 6000 Euro zusammengekommen, dazu diverse Sachspenden wie Schulhefte, Lehrmaterial und Computer. Die meisten Gegenstände aber fertigen sich die Jugendlichen selbst, etwa die Jonglierbälle, und auch die Halle, in der sie ihre Künste trainieren, haben sie erst kürzlich mit eigenen Händen gestrichen und verschönert. Auch wenn Solgit durch seinen Beruf und seinen Wohnsitz in Tölz nicht ständig anwesend sein kann, ist er in dem äthiopischen Kulturzentrum äußerst präsent: Über Internet ist er über jede Entwicklung, jeden Schritt informiert, vergewissert sich aber auch regelmäßig mit Besuchen vom Fortschritt. Auch Mitglieder des Vereins begleiten das Projekt mit persönlichen Besuchen.

Man sehe den Kindern durchaus an, "dass sie alle ihr Päckchen zu tragen haben", berichtet Johanna Gebretsadik. Doch die Workshops und die Trainingsmöglichkeiten in der Gemeinschaft hinterließen positive Spuren: "Die Kinder wirken sehr glücklich, sie wachsen. Und sie lernen mehr und mehr, das Leben in den Griff zu kriegen und etwas daraus zu machen", sagt sie.

Der Dank ist groß all jenen gegenüber, die sich bereits bei SunEko engagieren. Doch sie wollen weiter wachsen: "Wir wünschen uns, dass wir noch mehr Kinder aufnehmen können, und dass diejenigen, die jetzt dabei sind, dann einen Beruf gefunden haben." Gebretsadik fügt zudem an, einen Container mit Sachmitteln schicken zu wollen. "Und für Ideen und Impulse sind wir immer dankbar", erklären beide. Für ihre Sache werben werden sie demnächst auch: Geplant ist ein Stand auf dem Tölzer Christkindlmarkt - natürlich mit der einen oder anderen akrobatischen Einlage von Solgit selbst.

Die kinder können auch eine reguläre Schule besuchen, erhalten Schulmaterialien, bei Bedarf Nachhilfe und zudem einmal pro Woche eine Mahlzeit. (Foto: Privat)

Nähere Informationen unter www.suneko.org, Spenden möglich unter IBAN: DE18 7005 4306 0011 5618 83; BIC: BYLADEM1WOR

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: