Kühn sind diese Häuser. Und kühn ist auch die Idee, der sich Kaija Voss und Jean Molitor verschrieben haben: Die Geretsrieder Architekturhistorikerin und der Berliner Fotograf wollen die Gebäude der klassischen Moderne erfassen, sie in ihrer Schönheit würdigen und sie zumindest in Bild und Wort für die Nachwelt erhalten. Ihre Begeisterung für das "Neue Bauen" zwischen den beiden Weltkriegen kennt dabei keine Grenzen. Von Weimar, wo 1919 die legendäre Kunstschule "Bauhaus" gegründet wurde, über ganz Europa bis nach Afrika, Amerika und Asien erstreckt sich ihr Recherchegebiet. "Es ist schon ein bisschen verrückt", räumt Kaija Voss ein. "Aber es macht Spaß."
Einen Einblick in das Projekt gewährt derzeit eine sehenswerte Ausstellung im Waldramer Badehaus. Die erste Sonderschau im Untergeschoss des Erinnerungsortes steht unter dem Motto "Jüdische Architekten der Moderne und ihr Wirken in der Welt". Sie beleuchtet die Arbeiten kreativer Planer wie Erich Mendelsohn, Fritz Landauer, Erwin Gutkind oder Bruno Ahrends, die nach ihrer Emigration auch im Ausland tätig waren. Dass dies ein spannender, aber doch nur kleiner Ausschnitt aus einer Fülle von Material ist, mit dem Voss und Molitor seit gut zweieinhalb Jahren gemeinsam jonglieren, zeigt ihr Buch "Bauhaus. Eine fotografische Weltreise", das vom bebra-Verlag bereits als "Bestseller im Bauhaus-Jahr" gehandelt wird.
Einzigartiges Projekt
Tatsächlich ist der Titel etwas irreführend. Voss und Molitor dokumentieren zwar die Geschichte des "Bauhaus" in Weimar, Dessau und Berlin; darüber hinaus beleuchten sie jedoch die klassische Moderne, wie sie sich unter vielfältigen Namen und Bedingungen auf der ganzen Welt manifestiert hat: in Casablanca und in Tripolis, in Sankt Petersburg, Miami, Havanna und Phnom Penh. Eben dies macht ihr Projekt einzigartig - und, ja, auch ein bisschen verrückt.
Im Blickpunkt stehen Molitors Fotografien. In ihrer Ruhe und Kraft sind sie geradezu spektakulär. "Als ich diese Bilder bei einer Ausstellung in Gera sah, dachte ich: Wow! Du musst diesen Mann kennenlernen", erzählt Voss. Das war im Frühjahr 2016. Molitor hatte sich da schon seit sieben Jahren seiner uferlosen Mission verschrieben und war mit der Kamera kreuz und quer durch die Welt gereist. Voss schickte ihm eine Mail, sie trafen sich und erkannten sich sofort als Geistesverwandte. "Liebe auf den ersten Blick", sagt Voss mit einem Augenzwinkern. Sie gehe systematischer und wissenschaftlicher an die Sache heran als Molitor; er habe eine "wahnsinnige Energie". Gemeinsam haben sie in vergleichsweise kurzer Zeit die Ausstellung in Waldram und das Bauhaus-Buch auf den Weg gebracht.
Was ist das Geheimnis dieser Bilder? Geduld spiele eine wichtige Rolle, sagt Voss. Molitor fotografiere bevorzugt am frühen Sonntagmorgen, wenn wenig Menschen unterwegs seien. "Aber auch dann steht er oft stundenlang und wartet auf den richtigen Moment." In Breslau, wohin sie ihn einmal zum Fotografieren begleitete, sei er dreimal zum selben Haus gefahren. "Ich war eigentlich nach dem zweiten Mal schon ganz zufrieden."
Dieser hingebungsvolle Perfektionismus trägt das Buch. Es ist ein Vergnügen, die mehr als 130 seitenfüllenden Schwarz-Weiß-Fotografien zu betrachten, in denen sich Kunst und Dokumentation verbinden. Ob es sich um eine Fabrik in Frankreich handelt oder um eine Kirche in Kongo, Molitor gelingt es, alles Nebensächliche auszublenden und das Idealbild eines Gebäudes einzufangen, es so zu zeigen, wie es womöglich einst der Architekt vor Augen hatte. Auch prominente Bauten, die dem Betrachter scheinbar vertraut sind, wirken überraschend fremd und bestechen durch eine würdevolle Entrücktheit, die nicht zuletzt einer Nachbearbeitung am Computer zu verdanken sein dürfte. In diesem Fall tun solche Manipulationen der Wahrheit keinen Abbruch.
Neben den Proportionen ist es vor allem die fantasievolle Formensprache, für die Voss sich seit ihrem Studium in Weimar begeistert. "Moderne Architektur muss nicht hässlich sein", sagt die promovierte Historikerin. Eine Erkenntnis, die vielen Bauherren leider abhandengekommen sei.
"Kennen Sie das schon?"
Für den zweisprachigen Textteil (Deutsch, Englisch) hat sie eine Fülle von Informationen, Namen und Daten zusammengetragen. Neben Wissen, geschultem Spürsinn und Denkmalkatastern kommen ihr Google Maps und Kontakte zu Hilfe, um in Vergessenheit geratene Bauwerke ausfindig zu machen. Ein Beispiel dafür - ein von Fritz Landauer entworfenes Landhaus in Fürth - findet sich auch in der Ausstellung in Waldram.
Mittlerweile habe sich das Projekt verselbständigt, erzählt sie. "Ich bekomme ständig Fotos zugeschickt. Nach jedem Vortrag bleibt mindestens ein Haus übrig." Zuletzt hatte sie eine Nachricht aus Thessaloniki auf dem Handy: "Kennen Sie das schon?" Sie kannte es nicht.
Während Molitor von der Vision getrieben ist, ein weltweites Fotoarchiv anzulegen, konzipiert Voss im Kopf bereits weitere Ausstellungen zum Thema. "Nur Frauen, zum Beispiel", sagt sie, "das wird nicht leicht." Zunächst einmal wird sie sich in diesem Jahr verstärkt München und dem Umland zuwenden, Vorträge im Gasteig hat sie bereits in Vorbereitung. Neben der eigentlichen Recherche koste vor allem das Ringen um Fördermittel Kraft und Zeit. In Waldram habe sie dankenswerter Weise der Verein Bürger fürs Badehaus unterstützt.
Einige der Häuser, die ins Buch Eingang gefunden haben, liegen mittlerweile in Schutt und Asche. Andere sind vom Einsturz bedroht. Das Projekt ist auch ein Wettlauf gegen die Zeit. Das Material dürfte den beiden dennoch nicht so schnell ausgehen. Molitor habe grob überschlagen, wie viele Bauten der klassischen Moderne es noch zu entdecken und dokumentieren gebe, sagt Voss. "Er schätzt, wir sind bei einem Prozent."
"Bauhaus. Eine fotografische Weltreise", bebra-Verlag, 2018, 46 Euro; begleitend zur Ausstellung "Jüdische Architekten der Moderne und ihr Wirken in der Welt" ist das Buch auch im Badehaus Waldram erhältlich (bis 28. Februar), ein Teil des Erlöses kommt dem Erinnerungsort zu Gute; Infos unter www.badehauswaldram.de