Wie macht man eine Idee sichtbar, ohne sie zu realisieren? Eine Idee, die sich gar nicht mehr verwirklichen lässt, weil die Zeit über sie hinweggegangen ist. Dem Penzberger Campendonk-Museum gelingt dies ganz wunderbar. „Kataklump“ - so sollte eine Künstlergruppe heißen, die zeitlich wie schöpferisch dem „Blauen Reiter“ gefolgt wäre. Ihre Basis war die Freundschaft dreier avantgardistischer Künstler in den Nachkriegsjahren von 1919 bis 1921: Heinrich Campendonk, Fritz Stuckenberg und Paul van Ostaijen.
Kataklump - flämisch lautmalerisch für galoppierende Pferde - ist als Künstlergruppe nie zustande gekommen. Die Werke der bildenden Künstler Campendonk und Stuckenberg und des Dichters Ostaijen aber sind greifbar. Das Penzberger Museum präsentiert auf drei Etagen eine Reihe davon, ergänzt um Arbeiten der Künstlerkollegen Georg Muche und Arnold Topp, die der Gruppe ebenfalls angehören sollten, sowie um Ausschnitte aus intensiven Briefwechseln. Es eröffnet damit das Panorama einer faszinierenden, an künstlerischen Aufbrüchen und Experimenten reichen Zeit.
Die ursprüngliche Ausstellung „Kataklump“ wurde von Matilda Felix, der Leiterin der Städtischen Galerie Delmenhorst, konzipiert und dort vor einem Jahr gezeigt. Anne Götzelmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin des Campendonk-Museums, hat sie nun als Ko-Kuratorin für Penzberg eingerichtet. Dabei hat sie den Fokus auf Campendonk und Seeshaupt gelenkt. Denn an diesem zeitweiligen Wohn- und Schaffensort Campendonks hat sich in den frühen Zwanzigerjahren die künstlerische Avantgarde jener Zeit getroffen und intensiv miteinander ausgetauscht. Sogar die amerikanische Mäzenin Katherine Sophie Dreier, Künstlerfreundin und Kooperationspartnerin von Man Ray und Marcel Duchamps, war hier. Ihr verdankte Campendonk Ausstellungen in New York, wohin er selbst nie kam.
„Dreh- und Angelpunkt ist die Achse zwischen dem ländlichen Seeshaupt und der Kunstmetropole Berlin in den Jahren zwischen 1919 und 1921“, heißt es im Flyer zur Ausstellung. Denn von Berlin, genauer von der Sturm-Galerie des berühmten Publizisten, Musikers und Künstler-Förderers Herwarth Walden, ging alles aus. „Aus diesem Umkreis stammen die Arbeiten von Wassily Kandinsky, Paul Klee, Kurt Schwitters sowie von William Wauer und runden das Bild dieser künstlerisch und politisch turbulenten Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ab.“ Eine Reverenz an den Berliner Galeristen ist in der Penzberger Ausstellung der imposante Walden-Bronzekopf aus der Hand von William Wauer.

Die Kunstwerke, die in „Kataklump“ zu sehen sind, verweisen aber nicht auf die Roaring Twenties, die man mit dem Berlin jener Jahre assoziieren mag, darauf macht die Penzberger Museumsleiterin Annette Vogel aufmerksam. „Sondern sie zeigen, wie Künstler direkt nach dem Krieg versuchen, eine neue Formensprache zu finden.“ Sehr anschaulich wird dies an einer Wand im ersten Raum der Schau, im Erdgeschoss, wo verschiedene Abstraktionsversuche Stuckenbergs nebeneinander zu sehen sind, mal gestisch, mal geometrisch, wie Vogel sagt: „Er ist ein Suchender, und das mit großem Erfolg. Er hat experimentiert, und er saugt die Avantgarde geradezu auf.“

Wie tief und nachhaltig wirksam die Freundschaft zwischen Campendonk und Ostaijen war, macht ein anderes Exponat in diesem Raum deutlich. Der Maler hat zwanzig Jahre nach dem Tod der Schriftstellers ein Hinterglasbild zu dessen Gedicht „Melopee“ geschaffen: ein poetisches Gemälde in Schwarz-Weiß zu einem malerischen Poem, das mit den Worten beginnt: „Unter dem Mond zieht der lange Fluss/Über dem langen Fluss zieht müde der Mond/Unter dem Mond auf dem langen Fluss zieht das Kanu zur See...“ Die beiden Werke nebeneinander haben eine große Anziehungskraft.


Auf ganz andere Weise attraktiv wirken die Arbeiten in den beiden Räumen des ersten Stocks. Dort erschließt sich ein eigenes Kapitel der Kunst, das Götzelmann mit den Stichworten „Körperlichkeit, Erotik, Ekstase“ beschreibt. Es wird dabei ein Kontrast deutlich zwischen der „unschuldigen Nacktheit“ in Darstellungen Campendonks und der lustbetonten Geschlechtlichkeit in Werken Stuckenbergs. Ein farbstarkes Gemälde trägt nicht zufällig den Titel „Hitze“. Die grafischen Arbeiten aber, die auf den ersten Blick rein abstrakt wirken, muss man länger, genauer, intensiver betrachten, ehe die darin verborgene Körperlichkeit vor das Auge kommt. Dann freilich wird man nur noch Brüste, Schenkel und mehr erkennen.
Die Wege trennen sich
Auf der dritten Etage schließlich lösen sich alle künstlerischen Bande auf. Die Sturm-Galerie ist geschlossen. Seeshaupt wird doch keine Künstlerkolonie. Die Wege der Künstler trennen sich. Das Zentrum der Avantgarde zeichnet sich im von Walter Gropius gegründeten Bauhaus ab - die Penzberger Ausstellung verweist darauf. Was bleibt? „Sowohl für Campendonk als auch für Stuckenberg waren die Jahre in Seeshaupt äußerst ereignisreich und geprägt von künstlerischer Selbstfindung und Weiterentwicklung“, erklären die Ausstellungskuratorinnen.
Doch es bleibt auch dies: eine gescheiterte Idee, die immerhin so stark war, dass sie heute noch die Phantasie kunstinteressierter Menschen beflügeln kann. In einem Museum, dem es bei aller räumlichen Enge immer wieder gelingt, kreative Welten zu öffnen.
Am Museum 1, Penzberg, Telefon Museumskasse 08856/813480; bis 22. Juni.