Ausstellung:Liebe, Krieg und Tod

Starnberg,  Bahnhof See, nah-fern

Ela Bauer arbeitet in ihrer Rauminstallation "Ubi Caritas" mit Begriffen aus dem christlichen Wertekanon.

(Foto: Georgine Treybal)

Drei Künstler zeigen im alten Starnberger Bahnhof die Raum- und Hörinstallation "Sein und Schein"

Von Katja Sebald, Starnberg

Diese Ausstellung ist sozusagen ein Prüfstand. Unter dem Titel "Sein und Schein" zeigen drei Künstler derzeit in der ehemaligen Schalterhalle des historischen Bahnhofs am See eine Raum- und Hörinstallation, in der Besucher notgedrungen ihre Überzeugungen, ihre vorgefertigten Meinungen über Täter und Opfer, ihr Geschichtswissen und zuletzt vielleicht auch ihren Glauben an das Menschliche im Menschen hinterfragen müssen. Ela Bauer, Inge Kurtz und Jürgen Geers stellen in der Reihe "Nah-fern" aus, die als Zwischennutzung im Erdgeschoss des maroden Bahnhofsgebäudes von Katharina Kreye, Ulrike Prusseit und Ursula Steglich-Schaupp seit mittlerweile sechs Jahren im Auftrag der Stadt Starnberg organisiert wird.

Die Herrschinger Künstlerin Ela Bauer hat zwischen dem stadtseitigen Eingang und dem längst geschlossenen, gleisseitigen Ausgang der Schalterhalle einen roten Teppich ausgelegt. Auf diesem durchschreitet der Ausstellungsbesucher die Installation "Ubi Caritas". Das ist zunächst eine luftige Zelle aus weißen Papierbahnen, die mit Begriffen aus dem christlichen Wertekanon beschriftet sind: Neben der Barmherzigkeit und der Nächstenliebe finden sich dort auch Verantwortung, Aufrichtigkeit, Friedfertigkeit, Herzensgüte und Gewissenstreue.

So an Ideale erinnert, nähert sich der Betrachter einer Art Schrein am rückwärtigen Ausgang: Ein halb geschlossenes, innen beleuchtetes und vollständig mit Goldfolie ausgekleidetes Kabinett, in dem nun verschiedene Zeugnisse der katholischen Glaubenspraxis und Volksfrömmigkeit präsentiert werden: Kruzifixe und Marienfiguren, Engelsbildchen und Rosenkränze, Votivgaben und Kerzen. Auf dem kurzen Weg zwischen der Schriftinstallation und diesem prächtigen Goldkämmerchen hängt links an der Wand das Foto des ertrunkenen dreijährigen syrischen Jungen, das 2015 um die Welt ging. "Ubi Caritas", das könnte auch eine Frage sein: Wo ist die Nächstenliebe?

Wie sieht es aus damit, mehr fragt diese Installation nicht. Aber es ist mehr als genug. Die Idee zu dieser Arbeit hatte Ela Bauer während des Landtagswahlkampfs im Herbst, als sie sich über das Gebaren jener bayerischen Volkspartei wunderte, die das "C" für "christlich" in ihrem Namen trägt.

Die österreichisch-deutsche Künstlerin und Feature-Autorin Inge Kurtz und ihr Mann, der Hörspiel-Autor Jürgen Geers, lernten sich Mitte der Siebzigerjahre kennen, als sie beide für den Bayerischen Rundfunk arbeiteten. In Starnberg zeigen sie eine Installation aus verschiedenen Hörstationen. Diese Arbeit geht auf ein Projekt zurück, das in den Jahren 1994 bis 1999 für den Hessischen Rundfunk entstand: Eine 16-stündige Collage aus O-Tönen von Zeitzeugen des gesamten 20. Jahrhunderts. Kurtz und Geers sprachen mit mehr als hundert Menschen, die damals schon Großmütter und Großväter waren. Und sie hörten Geschichten, die wie schweres, unendlich schweres Erinnerungsgepäck endlich abgeladen werden durften: von Krieg und Hunger, Inflation, Arbeitslosigkeit und wieder von Krieg. Von Vertreibung, Verschleppung, Vergewaltigungen, Verlusten. Von Neuanfängen in einem neuen Deutschland. Im Osten oder im Westen.

Die frühesten Erinnerungen reichen bis in die Kaiserzeit zurück, die jüngsten bis zum Mauerfall. Aber es werden eben nicht die historischen Zusammenhänge und die großen gesellschaftlichen Umwälzungen umrissen, sondern es sind viele individuelle Erinnerungen aus unterschiedlichen, zum Teil gegensätzlichen Perspektiven, die sich wie ein Mosaik zu einem höchst facettenreichen Jahrhundert deutscher Geschichte fügen. Als Zuhörer wandert man wie in einer Zeitreise von Station zu Station, setzt den Kopfhörer auf, hört als erstes Wort "Unter den Linden" oder "Theresienstadt" - und ist sofort mitten im Geschehen. Es sind Erzählungen, die tief unter die Haut gehen, gerade weil man keine Bilder dazu geliefert bekommt, sondern eben nur diese greisen Stimmen.

Kulturbahnhof Starnberg, Bahnhofplatz 5, bis 24. Februar, donnerstags und freitags 16 bis 18 Uhr und samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: