Ausstellung in Lenggries:Kraftwerke der Kreativität

Die Künstlervereinigung hat einen neuen Ausstellungsort für ihre Kunstwoche. Sie verwandelt die frühere Prinz-Heinrich-Kaserne in einen Ort des Sehens und Staunens.

Von Petra Schneider

Seit fast 20 Jahren steht die ehemalige Prinz-Heinrich-Kaserne leer, ein weißer Fleck in der sonst so lebendigen Gemeinde. Das riesige Areal, das weitgehend ungenutzt ist, ist normalerweise abgeschlossen, höchstens ein paar Schafe grasen zwischen den Gebäuden. Mit der Entscheidung der Lenggrieser Künstlervereinigung, die Kunstwoche in diesem Jahr vom Pfarrheim in die ehemalige Kasernenkantine zu verlegen, hat sich das geändert - zumindest zeitweise.

Kunstwoche Lenggries

18 Künstler, darunter neun Gäste, konnten sich auf den großzügigen Ausstellungsflächen in der Lenggrieser Kaserne ausleben. Das Foto zeigt "Fische" aus Kalk, Flysch und Gneis von Franz Schwarzenberger.

(Foto: Manfred Neubauer)

"Kraftwerk(e)" lautet das Thema dieser bemerkenswerten Schau. Denn in den denkmalgeschützten Nazi-Bauten von 1935/36, welche die Gemeinde im Jahr 2015 gekauft hat und für die sie seither mit einer Nachnutzung ringt, kann die Kunst Impulse und einen Kontrapunkt setzen: In die weiß gekachelten, kühlen und sterilen Räume sind Farben, Formen, bewegte Bilder und Töne eingezogen.

Und so streift man durch dieses rund 1500 Quadratmeter große Areal wie durch einen unbekannten Kontinent. Jeder Raum ist eine neue Entdeckung. Links neben dem Speisesaal zum Beispiel zeigt die Videokünstlerin Veronika Partenhauser ihre Kraftwerke. In Videos hat sie Makrofotografien verschiedener Objekte, Zeitungsausschnitte oder textile Strukturen, digital verfremdet. So entstehen fließende Wabenstrukturen, Wellen und Linien in starken Farben. Psychedelische Bilder, "Kraft durch Veränderung", erklärt Veronika Partenhauser.

Kunstwoche Lenggries

Die Künstlerin Veronika Partenhauser vor ihrer Videoinstallation. Sie hat Makrofotografien von Zeitungsausschnitten und Teppichen digital verfremdet.

(Foto: Manfred Neubauer)

Rätselhaft ist die Installation von Daniel McCharen: drei Gitarren, die mittels Distanzsensoren von Besuchern gemeinsam "gespielt" werden können und so eine stetig wandelnde Komposition erzeugen. Sehenswert sind die Fotografien von Günter Unbescheid. 40 Jahre alte Bilder, die er auf seinen Forschungsreisen in Nepal aufgenommen hat. Sie zeigen Schamanen, die sich "in Umkehrung zur bewussten Kreativität als Gefäß für die göttliche Kraft sehen", sagt Unbescheid, der die Wände eigens mit Lehmputz gestrichen hat. Lichteffekte und Bearbeitungen geben den Fotografien teilweise eine haptische Struktur und lassen sie wie aus der Zeit gefallen wirken. Im Nebenraum sind in einem Videostream die Trommelrhythmen der schamanischen Tänzer zu hören. Eindrucksvoll sind auch die großformatigen Kinderporträts von Gabi Pöhlmann: Fotorealistische Acrylbilder in Schwarz-Weiß, denn Kinder sind nach Ansicht der Künstlerin "Kraftwerke voller Energie".

Kunstwoche Lenggries

Eindrucksvoll: Die großformatigen Kinderporträts von Gabi Pöhlmann in Schwarz-Weiß.

(Foto: Manfred Neubauer)

In der Ausstellung gibt es auch Spielerisches. So kann man sich mit Stirnlampen durch einen dämmrigen Wörterwald von Paul Schwarzenberger lesen oder über dessen skurrile Collagen schmunzeln. Sophie Frey interpretiert das Thema als "Kraftwerk Baum" in unterschiedlichen Techniken - Aquarelle, Hinterglasmalerei, Zeichnungen, Fotografien, Drahtobjekte. Ein Raum gehört den kraftvollen, figurativen Männerkörpern von Heinz Stoewer.

Wunderbar auch die Arbeit von Bildhauerin Antonia Leitner, die sich die große, ehemalige Küche als Ausstellungsraum ausgesucht hat. Ihre hochpolierten Bronzeduos wirken wie geschmeidige, fischähnliche Körper, die sich annähern, berühren und verschmelzen. Die glänzenden Objekte spiegeln, je nach Lichteinfall, die Farben des wandfüllenden Ölbilds von Kerstin Skringer, das mit den Plastiken in Dialog tritt: eine dunkelgrüne, semitransparente Fläche mit waagrechtem roten Farbverlauf, der wie eine Markierung wirkt.

Kunstwoche Lenggries

Drahtnester und Fotografien ("Nest und Schatten") von Gabriele Pöhlmann.

(Foto: Manfred Neubauer)

In einem Nebenraum ist eine Kraftquelle ganz anderer Art zu sehen: eine große Filzkugel aus ungewaschener Schafwolle von Barbara Urban, die von der Fotografin Birgit Haberl in verschiedenen Szenerien abgelichtet wurde - als Nester in einem üppig-grünen Baum, an einem Bachlauf, in der Kaserne. Die Filzkugel wirkt warm, weich, archaisch und bildet den größtmöglichen Kontrast zu den kühlen, funktionalen Kasernenräumen. Viele verschiedene Herangehensweisen an das Thema finden sich; man muss sich Zeit nehmen für diese inspirierende Ausstellung, die eine gute Gelegenheit ist, sich dem fremd gewordenen Ort wieder anzunähern.

Die Organisation der Ausstellung war ein Kraftakt, weil Wasser- und Stromversorgung erst reaktiviert werden mussten. "Ohne die Unterstützung von Gemeinde und Bauhof wäre das unmöglich gewesen", sagt Günter Unbescheid, der auch Vorsitzender der Künstlervereinigung ist. Natürlich sei die schiere Größe der Ausstellungsflächen ein Grund für die Verlegung gewesen. Man habe neun Gastkünstler aus dem Großraum München einladen können, insgesamt 18 Künstler konnten sich in den Räumen ausleben. Aber die Ausstellung will auch Impulse geben. Wenn die Resonanz gut sei, könnte sich Unbescheid vorstellen, die Kunstwoche wieder in der Kaserne zu machen, vielleicht im Wechsel mit dem Pfarrheim oder als Biennale. Und warum das Areal nicht dauerhaft als Kulturort etablieren? "Kunst ist der erste Same, der aufgeht, wenn etwas am Zerfallen ist", sagt dazu Paul Schwarzenberger.

Kunstwoche "Kraftwerk(e)" noch bis 3. Oktober, Kantine der Prinz-Heinrich-Kaserne, Gebirgsjägerstraße 15, Lenggries. Geöffnet Montag bis Freitag 14 bis 19 Uhr, Samstag/Sonntag 10 bis 19 Uhr. Donnerstag, 25. September, "Lange Nacht der Kunst" von 19 Uhr an mit den Künstlern. Sonntags 14 bis 17 Uhr Malen für Kinder mit Heidi Gilgenreiner

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