Ausstellung im Rathaus Königsdorf:Im Spiegelkabinett

Günter Fürst hat in den vergangenen Monaten zwanzig Informel-Arbeiten geschaffen, die er nun zeigt. Für den 79-Jährigen sind sie nicht weniger als der Versuch, der Wahrheit ins Auge zu schauen

Von Stephanie Schwaderer, Königsdorf

In Günter Fürsts Farbensprache taucht derzeit viel Gelb auf ("Damit es nicht zu dunkel wird"), viel Grau, und Braun und Blau - und mit viel Glück dieses Rosa. Entdeckt hat er es, ganz profan, in einer Metzgerei, als der Verkäufer hinter dem Tresen die gewünschten Wurstwaren darin einwickelte. "Ich bin dann noch einmal hingegangen und habe gefragt, ob ich zehn Bögen von diesem Papier haben könnte", erzählt er. Rosa. Die Farbe des Fleisches? Er stutzt. Schweigt. Schüttelt den Kopf. "Nein, daran habe ich noch nie gedacht", sagt er. "Rosa hat für mich eine ganz andere Bedeutung."

Wer den Künstler durch das Königsdorfer Rathaus begleitet, wo er derzeit etwa zwanzig großformatige Informel-Arbeiten präsentiert, bekommt nicht nur Anregendes fürs Auge geboten. "Es geht um Malerei, um Dichte bis hin zur Ehrlichkeit", sagt Fürst über seine Werke, die er "geklebte Bilder" nennt. Worte wie "Technik" oder "Komposition" sind ihm zu hochgegriffen. "Ich mach's halt." In seiner Bescheidenheit fordert er jedoch die ganze Aufmerksamkeit seines Gegenübers ein. Er will gehört, verstanden werden. Zwischen Metzgerei und Louvre liegt kaum ein Pinselstrich.

Ausstellung im Rathaus Königsdorf: Günter Fürst.

Günter Fürst.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Das Bild mit den rosafarbenen und grauen Papieren, das im - leider nur sporadisch beleuchteten - Dienstbereich im Erdgeschoss hängt, sei ein "ziemlicher Liebling", verrät Fürst. "Grau und Rosa, es gibt im Grunde nichts Schöneres." Die Klebearbeit ist eine Art Hommage an den französischen Maler Antoine Watteau und seinen berühmten melancholischen Pierrot, den "Gilles" aus dem Jahr 1719. Wie viele Stunden er schon vor diesem Bild gesessen hat, kann Fürst nicht sagen. Unzählige Male sei er mit seiner Frau nach Paris gefahren. Und gemeinsam hätten sie immer und immer wieder den Gilles besucht. "Diese unglaubliche Eleganz, aber auch diese Morbidität", sagt Fürst. "Da zieht es dir den Boden unter den Füßen weg."

Fürst, Jahrgang 1939, ist in Franken aufgewachsen und als junger Mann "den Gässchen und der Spießigkeit" entflohen. Das Studium an den Kunstakademien in Stuttgart und München erlebte er in einem Freiheits- und Schaffensrausch. Danach die Ernüchterung: Sein Geld als freischaffender Künstler zu verdienen, dazu fehlte ihm der Mut. Also zurück in einen geregelten Alltag mit Zensuren und Stundenplänen. "Aber ich war gerne Lehrer in Icking", sagt er.

Ausstellung im Rathaus Königsdorf: Günter Fürsts "geklebte Bilder"bestehen aus unzähligen Schichten Papier.

Günter Fürsts "geklebte Bilder"bestehen aus unzähligen Schichten Papier.

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Seit seiner Pensionierung im Jahr 2003 verbringt er den Großteil seiner Zeit in seinem Atelier. Vor knapp 30 Jahren entdeckten er uns seine Frau in Königsdorf einen alten Bauernhof, den sie nach ihren Bedürfnissen umgestalteten: Kunst im Kuhstall. Eine Welt für sich. "Wir hatten nie viele Kontakte", sagt Fürst. "Wir waren uns selbst genug." Im Sommer 2017 ist seine Frau gestorben.

Was also bedeutet ihm dieses Rosa? "Madame de Pompadour", antwortet er prompt. "Das Höfische, Aristokratische, das Dekadente und Differenzierte." Und das Grau? "Basso continuo." So sachlich Fürst in seinen Bildern ist, so assoziativ und plastisch ist er in seiner Sprache. Das Grau bedeute für ihn, am Boden zu bleiben. "Und darüber spielt sich das Zarte ab. Das Rosa wird durch das Grau erst schön."

Alle Bilder, die er im Rathaus zeigt, sind nicht älter als eineinhalb Jahre. Fürst hat auf die Ausstellung hingearbeitet, ein Kraftakt. Seit einigen Jahren greift er beim Malen nicht mehr zum Pinsel, sondern zu Papier, Schere und Kleister. Die geklebten Bilder seien keine Collagen, wie sie kunsthistorisch dem Kubismus zugeschrieben werden, betont er. Die Gegenständlichkeit des Ausschnitts aus einer Zeitung etwa habe keinerlei Bedeutung für ihn. "Für mich geht es nur um das farbige Papier, um das Material."

Ausstellung im Rathaus Königsdorf: Bei dem Bild mit den pinken Flächen sei er der Versuchung erlegen, sagt er: "Es sieht gut aus, aber es stimmt nicht!"

Bei dem Bild mit den pinken Flächen sei er der Versuchung erlegen, sagt er: "Es sieht gut aus, aber es stimmt nicht!"

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Ideale Werkstoffe findet er beim Metzger oder Bäcker: Tüten, die beim Reißen Widerstand leisten. Auch Packpapier, das faltig und furchig wird, nimmt er gerne in die Hand. Dann beginnt das Reißen, Schneiden und Kleistern. Schicht für Schicht. Das Formfinden und Verwerfen. "Wenn es nicht passt, dann wird es überklebt", sagt er. "Und das passiert oft." Das Alte vernichten, auslöschen, ungesehen machen, das komme ihm entgegen. Zugleich sei da dieser starke innere Antrieb, ein wahrhaftiges Bild zu schaffen. "Ich will, ich verwerfe, begreife, verdichte - und wenn es gelingt, kommt eine solche Erlösung." Die letzte Ebene bilden oft Farbtupfer, die sich mal wie ein Gitter, mal wie ein Schleier über die Seelenlandschaften legen. "Sie geben dem Ganzen Halt", erklärt Fürst. "Damit nichts herausfällt oder zu deutlich wird."

Im lichtdurchfluteten Sitzungssaal im ersten Stock des Rathauses entfalten diese Bilder ihre ganze Kraft. Dazwischen steht Fürst: Ein Maler in einem Spiegelkabinett. Mit einigen Arbeiten ist er nicht ganz zufrieden, jener mit den pinken Flächen etwa ("Da bin ich wieder der Versuchung erlegen: Es sieht gut aus, aber es stimmt nicht!"). Ein schweres, von Braun und dunklem Violett dominiertes Bild, das von schwarzen Strichen wie von Pfeilen durchbohrt wird, erinnert ein bisschen an Tizians "Heiligen Sebastian". "Das schmerzt", sagt Fürst, "aber es hat auch seinen Reiz."

Und dann sind da Arbeiten, die wie der Blick in einen Sommerhimmel sind, frei, klar, licht. Nah an der Wahrheit womöglich.

Bis 31. Dezember, Montag bis Mittwoch, 8 bis 12 Uhr, Donnerstag, 8 bis 12 und 14 bis 18 Uhr, Rathaus, Hauptstraße 54, Königsdorf

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: