Süddeutsche Zeitung

Geretsried:Polizei verschweigt Vorfall an Flüchtlingsunterkunft

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Bis zu 15 Jugendliche klopfen gegen die Scheiben einer Erstaufnahmeeinrichtung und rufen "Ausländer raus!" Für die Polizei ist das nichts Schwerwiegendes.

Von Ingrid Hügenell, Geretsried

Im Amselweg sind mehrere Thujen ausgerissen worden. In der Richard-Wagner-Straße wurden Eier an ein Haus geworfen und ein Beutel Restmüll in die Biotonne des Nachbarn gesteckt. Im Drosselweg wurde ein mobiles Toilettenhäuschen umgekippt. All das hat die Geretsrieder Polizei am 1. November berichtet, am Tag nach Halloween. Die Beamten melden auch regelmäßig, wenn Jugendliche Lippenstift oder Zigaretten klauen.

Nicht berichtet hat die Geretsrieder Polizei hingegen, was zwei Nächte später geschah. Da nämlich machten sich zehn bis 15 Jugendliche von der Mitbestimmer-Versammlung des Jugendzentrums Saftladen auf, um an die Fenster der Mittelschul-Turnhalle in der Adalbert-Stifter-Straße zu klopfen und "Ausländer raus!" zu schreien. In die Halle waren gerade erst Asylbewerber gezogen, es handelt sich um eine Erstaufnahmeeinrichtung.

So rechtfertigt sich die Polizei

Johann Brandhuber, der stellvertretende Leiter der Polizeidienststelle Geretsried, steht auch zwei Wochen später zu seiner Entscheidung, keinen Pressebericht heraus zu geben. "Ich wollte keinen Nachahmer-Effekt", sagt er. Zu diesem Zeitpunkt sei der Zaun, der genau solche Aktionen verhindern soll, noch nicht komplett um die Turnhalle aufgestellt gewesen. Brandhuber sagt, er habe vor allem erreichen wollen, "dass die Flüchtlinge ihre Ruhe haben, weil deren Leben total aus den Fugen ist."

Auch Rudi Mühlhans, Geschäftsführer des Trägervereins Jugendarbeit Geretsried, kennt das Geschehen. Stefan Heinle, der Vorsitzende des TUS Geretsried, habe den Vorfall mitbekommen und die Polizei gerufen. Die Pädagogen des Saftladen hätten anschließend mit den Jugendlichen gesprochen und "ihnen gesagt, was sie machen können und was nicht", sagt Mühlhans. "Wir müssen das Thema, die Jugendlichen und auch ihre Ängste ernst nehmen", erklärt der Sozialpädagoge weiter, und dann gehe es um "Begegnung, Begegnung, Begegnung. Wer keine Begegnung hat, hat Angst." Mittlerweile leben rund 150 Menschen in der Turnhalle - darunter 50 Kinder und Jugendliche.

Der Sozialpädagoge versteht die Entscheidung nicht

Die Jugendlichen aus dem Saftladen und die aus der Flüchtlingsunterkunft hätten sich inzwischen viel auf dem Sportplatz der Schule getroffen, und es kämen auch junge Flüchtlinge in den Saftladen. "Wir gehen das Thema total offensiv an", versichert Mühlhans. Bei der Mitgliederversammlung des Trägervereins kommende Woche werde darüber gesprochen.

Mühlhans versteht aber auch nicht, warum die Polizei den Vorfall nicht gemeldet hat. Brandhuber erklärt das auch damit, dass es im "sehr niederschwelligen Bereich" liege, was dort passiert sei. Hätten Erwachsene dasselbe getan, hätte er das sehr wohl der Presse gemeldet. Im Übrigen handle es sich beispielsweise bei den Eiern an der Hauswand um Sachbeschädigung, während im Fall der Jugendlichen kein Straftatbestand vorliege. Deshalb melde man das eine, das andere eher nicht.

Der Sprecher des Präsidiums kritisiert die Inspektion

Wie man mit solchen Vorfällen umgeht, dazu gebe es keine genauen Anweisungen, sagt Stefan Sonntag, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd in Rosenheim. Grundsätzlich solle sich die Polizei in der Berichterstattung über Asylbewerber aber sehr neutral verhalten - "weder stigmatisieren noch etwas unter den Teppich kehren". Hinter dieser Vorgabe stehe er auch, sagt Brandhuber.

Sonntag zeigt Verständnis für die Geretsrieder Kollegen: Die Dienststellen hätten freie Hand, was sie berichten, es habe sich wohl um einen Dumme-Jungen-Streich gehandelt und Jugendliche stünden unter einem besonderen Persönlichkeitsschutz. Doch er sagt auch: "Wenn es um fremdenfeindliche Tatbestände geht, wollen wir sehr wohl, dass berichtet wird. Ich hätte es berichtet als Leiter der Polizeiinspektion." Das nicht zu tun, passe nicht zu der Vorgehensweise, sonst jede Bagatelle mitzuteilen.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2015
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