Ausgezeichnet:Ein Riesending

Alzheimer-Forscher Christian Haass, Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen, Feodor-Lynen Straße 17

Der Ickinger Christian Haas forscht im DZNE in München zu Demenzerkrankungen. Sein Spezialgebiet: die Alzheimer-Forschung.

(Foto: Florian Peljak)

Der Ickinger Wissenschaftler Christian Haass ist eine Koryphäe in der Hirnforschung. Jetzt erhält er in Kopenhagen einen international bedeutenden Preis für seine Leistungen auf dem Gebiet der Molekularbiologe.

Von Katharina Schmid

Christian Haass sei ein Wunderknabe. Ein extrem begabter noch dazu. Das sagt ein langjähriger Weggefährte des Ickinger Biochemikers über den Mann, der im Mai in Kopenhagen die weltweit bedeutendste Auszeichnung für Hirnforschung verliehen bekommt, den Brain Prize 2018. Geehrt wird der 57-jährige Haass für seine bahnbrechende Forschung zur Alzheimer-Krankheit. Der Mann mit dem interessierten Blick und dem freundlichen Lachen sitzt unprätentiös im blauen Pullover und in Jeans im Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München und sagt über die Auszeichnung: "Das ist schon ein Riesending."

Denkt Haass, Standortsprecher des DZNE der Helmholtz-Gesellschaft und Lehrstuhlinhaber für Stoffwechselbiochemie an der Ludwig-Maximilians-Universität, über seine Karriere als Wissenschaftler nach, führt er vieles auf glückliche Zufälle zurück. Etwa diesen einen, der sich vor rund 30 Jahren an der Heidelberger Universität zutrug. Haass schrieb damals noch an seiner Doktorarbeit. Über die Fruchtfliege. Im Labor nebenan forschte Konrad Beyreuther. Zur Alzheimer-Krankheit. Die beiden kamen in Kontakt und Beyreuther, selbst wegbereitend für die Erforschung der Demenzerkrankung, erinnert sich: "Christian steckte damals noch mitten in seiner Doktorarbeit, aber das Thema Alzheimer hatte ihn fasziniert." Der Kontakt zwischen den Wissenschaftlern wurde enger und Beyreuther förderte den jungen Kollegen und "Wunderknaben mit dem Talent, die wichtigen Dinge zu erkennen", wie er Haass beschreibt.

Mit einem Rundflugticket in der Tasche zog es den damals 30-jährigen Haass nach dem Abschluss seines Doktorats in die USA. Acht Labore, die sich mit der Erforschung neurodegenerativer Erkrankungen beschäftigten, besuchte der junge Wissenschaftler. Eines hatte es ihm besonders angetan: Harvard. Und prompt wurde ihm dort, an der Harvard Medical School, eine PostDoc-Stelle angeboten. Haass nahm an und sagt darüber nun: "Das war eine Entscheidung, die mein Leben bis heute beeinflusst. Wenn ich das damals nicht gemacht hätte, wäre ich jetzt nicht hier. Da bin ich mir ganz sicher."

Heute arbeitet er am DZNE mit einem eng vernetzten Team aus etwa 120 internationalen Wissenschaftlern zusammen. In mehreren Abteilungen werden dort Nervenzellen zerstörende Krankheiten erforscht, ihre Ursachen entschlüsselt und Therapien entwickelt. Haass lobt besonders die vernetzte und familiäre Arbeitsweise im DZNE, die sich auch positiv auf die Forschung auswirke. "Ich lebe hier in einer Welt, die sonst wenige Leute sehen. Meine Umgebung besteht aus den smartesten Leuten, aus fantastischen Doktoranden aus aller Herren Länder. Es macht wirklich Freude, hier zu arbeiten", schwärmt Haass. Und: "Man ist in meinem Beruf praktisch jeden Tag gezwungen, etwas Neues zu machen." Deshalb werde ihm in der Wissenschaft nie langweilig.

Alzheimer Christian Haas

Die Alzheimer-Krankheit wird im Gehirn bereits 20 bis 30 Jahre bevor der Arzt sie diagnostiziert angelegt. Bei Patienten, die schon Alzheimer haben, ist damit die Behandlung zu spät.

(Foto: Alzheimer Forschung Initiative e.V./oh)

Den Grundstein für seine steile wissenschaftliche Karriere legte Haass an einem anderen Ort. In Harvard feierte er 1992 seinen Durchbruch als international anerkannter Neurowissenschaftler. Diesen Erfolg verdankt er auch seinem Mut, unpopulären Ideen eine Chance zu geben: "Es braucht in der Wissenschaft Visionen, um einen großen Schritt weiter zu kommen", ist er überzeugt. "Die kleinen Schritte brauchen wir auch, aber die machen wir ständig. Der großes Wurf ist das Kunststück." Sein persönlich größter Wurf gelang Haass, indem er bewies, dass der molekulare Mechanismus der Alzheimer-Erkrankung in jedem Menschen stattfindet und nicht, wie bis dahin angenommen, nur im erkrankten Organismus. Schon beim Entwickeln des im Experiment angefertigten Röntgenfilms in der Dunkelkammer habe er sofort gewusst, dass er eine große Sache gelandet hatte. Wie groß, das wurde ihm er bewusst, als er seinem Chef die Ergebnisse präsentierte. "Ich habe den Film meinem Chef gezeigt. Der schaute ihn an, ist erbleicht und meinte: das ändert alles. Dann hat er quasi über Nacht sein ganzes Labor umgebaut und wir haben alles auf eine Karte gesetzt", erzählt Haass. "Das hat wie eine Bombe eingeschlagen und das ganze Forschungsfeld befruchtet", sagt Beyreuther. Aus dem in der Demenz-Forschung völlig unbekannten jungen Mann war über Nacht jener Molekularbiologe geworden, der die Alzheimer-Forschung mit seiner Entdeckung revolutionierte.

Danach überschlugen sich die Ereignisse. "Egal, was ich angefasst habe, es war eine Goldmine", sagt Haass rückblickend auf die Zeit Anfang der 1990er Jahre. Er bekam die Titelgeschichte in der renommierten naturwissenschaftlichen Fachzeitschrift "Nature": "Für einen Post-Doktoranden unvorstellbar." Obwohl frisch verheiratet, habe er damals Tag und Nacht gearbeitet. Seine Tochter kam just an dem Tag zur Welt, als seine erste Veröffentlichung in der "Nature" erschien. Seinen Erfolg als Wissenschaftler verdanke er deshalb auch seiner Frau, die ihm den Rücken frei gehalten habe. "Ich wusste bis zum letzten Tag nicht, wo der nächste Lebensmittelladen war, wo die Bank. Ich wusste, wie man zum Labor kommt und zurück. Das war alles."

Obwohl der Flug in die USA ein One-Way-Ticket war, kehrten Haass und seine Frau mit Tochter und Sohn 1995 nach Deutschland zurück. Im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit der Uni Heidelberg hatte der damals 35-Jährige, obwohl nicht habilitiert, zu seiner eigenen Überraschung eine Professur als Molekularbiologie erhalten. Der Schritt sei nicht leicht gewesen. Das Paar fühlte sich wohl in Boston. "Wir waren dort zuhause."

Seit 1999 ist das neue Zuhause der Familie Icking. Schon als Haass an das Adolf-Butenandt-Institut der LMU berufen wurde, sei für ihn klar gewesen, dass er nicht in München leben werde. "Ich brauche meine Ruhe abends. Ich möchte draußen in der Natur sein." Seine Freizeit verbringt er besonders gerne damit, Vögel zu beobachten. Jetzt im Frühling etwa am Ammersee oder im Murnauer Moos. "Ich mache seit über 40 Jahren jedes Wochenende Ornithologie. Jedes, ohne Ausnahme." Seine Eltern hätten ihm mal erzählt, er habe Laufen gelernt, um zu Vögeln zu kommen und Lesen, um Bestimmungsbücher zu lesen. "Das war schon immer mein großes Interesse." Daneben sammelt er Kunst, fertigt Holzschnitte an, fotografiert für Ornithologie-Zeitschriften. "Mir würde sonst langweilig werden", rechtfertigt er seinen unermüdlichen Drang, Neues zu entdecken. Im Beruf und in der Freizeit.

Von halb sieben Uhr morgens bis sieben Uhr abends arbeitet der Neurowissenschaftler an normalen Tagen im DZNE. Und das gerne. "Ich habe nun mal ein großes Interesse und das ist die Forschung", sagt er. Der Druck, den er verspüre, Demenz nicht nur zu verstehen, sondern auch zu heilen, sei "gewaltig". Auch von politischer Seite. Haass ist zuversichtlich. Es gehe "wahnsinnig voran", die Mechanismen der Alzheimer-Krankheit seien sehr gut verstanden. Die große Schwierigkeit: die Krankheit wird im Gehirn bereits 20 bis 30 Jahre bevor der Arzt sie diagnostiziert angelegt. Bei Patienten, die schon Alzheimer haben, ist damit die Behandlung schon zu spät. Vor der Herausforderung, dieses Dilemma zu lösen, stehen Haass und seine Kollegen aktuell. Und so schnell wird der Ickinger des Forschens nicht müde werden. Sonst würde ihm ja langweilig.

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