Ausgebucht mit langer Warteliste:"Paradise Lost" in Nantesbuch

Das vierte Moosbrand Literatur- und Musikfest spürt der Beziehung zwischen Mensch und Landschaft nach. Zu den hochkarätigen Gästen zählen Ulrich Noethen und Martin Wuttke

Von Stephanie Schwaderer, Bad Heilbrunn

Die matscherprobten Gummistiefel, die im Langen Haus für Gäste bereitstehen, haben sensible Nachbarn bekommen: Einhundert schwarze Kopfhörer warten derzeit auf Literaturfans, die keine reguläre Karte für das Moosbrand-Festival bekommen haben. Das hochkarätig besetze Literatur- und Musikfest, das vom 18. bis 20. September auf Gut Karpfsee gefeiert wird, ist seit Monaten ausverkauft, die Wartelisten sind übervoll. Deshalb haben sich die Organisatoren der Kulturstiftung Nantesbuch das "Landschaftsradio" einfallen lassen.

Die Idee klingt charmant: Gäste sollen es sich rund ums Lange Haus gemütlich machen - in der Wiese oder auf der Westterrasse mit Blick übers Moor. Via Live-Übertragung können sie Musik und Literatur genießen. Mit dabei sind Ulrich Noethen und Martin Wuttke, Christoph Luser, Thomas M. Peters, Juliane Köhler und Norbert Scheuer, das Boulanger-Trio und das Duo Aliada. Wie alle anderen Besucher haben die "Landschaftsradio"-Hörer Zugang zum gastronomischen Angebot sowie zu den Begleitveranstaltungen und können sich in den Pausen mit Gleichgesinnten und Künstlern unterhalten.

Ausgebucht mit langer Warteliste: Romantischer Auftakt: Das Moosbrand-Fest beginnt mit Gedichten von Théophil Gautier, die unter freiem Himmel gelesen werden.

Romantischer Auftakt: Das Moosbrand-Fest beginnt mit Gedichten von Théophil Gautier, die unter freiem Himmel gelesen werden.

(Foto: Thomas Dashuber)

Idealerweise tauchen alle Gäste am Freitag, 18. September, zum Auftakt gemeinsam in die Natur rund ums Lange Haus ein, denn die Landschaft wird heuer bewusst ins Programm einbezogen. Hans von Trotha, der neue Moosbrand-Kurator, hat das Jahresthema der Stiftung - "Bestimmung" - aufgegriffen. "Landschaft bestimmt uns, und wir bestimmen die Landschaft", sagt der Historiker, der ein anerkannter Spezialist für die Geschichte der europäischen Gärten ist. "Ich habe nach unterschiedlichen Formen gesucht, dieses Wechselverhältnis in Text und Musik erlebbar zu machen."

Zu Beginn will er seinen Gästen eine zutiefst romantische Erfahrung ermöglichen. "Unser heutiges Naturverständnis wurzelt im 19. Jahrhundert, in einer Zeit, in der die Natur von draußen nach drinnen gebracht wird, in der Konzerthäuser entstehen und Naturerlebnis in Musik übersetzt wird", sagt er. "Ich möchte zeigen, wie das passiert ist."

Unter freiem Himmel lesen die deutsch-französische Schauspielerin Marie-Lou Sellem und der bekannte Charakterdarsteller Ulrich Noethen sechs Gedichte aus der Sammlung "La Comédie de la mort" (Die Komödie des Todes) des französischen Schriftstellers Théophil Gautier. Sie entstanden 1838 und drehen sich aus verschiedenen Blickwinkeln um die Natur und die Liebe. Der Komponist Hector Berlioz hat diese Gedichte zu dem Liederzyklus "Les Nuits d'été" vertont - ein romantischer Sommernachtstraum, der im Anschluss im Langen Haus erklingt. Die Sopranistin Vera Ivanović und der Pianist Fedele Antonicelli präsentieren die Klavierfassung aus dem Jahr 1841.

Ausgebucht mit langer Warteliste: Der Historiker und Garten-Experte Hans von Trotha hat das vierte Moosbrand-Fest konzipiert.

Der Historiker und Garten-Experte Hans von Trotha hat das vierte Moosbrand-Fest konzipiert.

(Foto: Thomas Dashuber/oh)

Das Gegenprogramm verpasst Martin Wuttke am Samstagabend seinen Gästen. Der renommierte Bühnen- und Film-Schauspieler, der einem Millionenpublikum als Tatort-Kommissar Keppler in Erinnerung sein dürfte, präsentiert Passagen aus Thomas Bernhards monumentalem Epos "Auslöschung" - "ein wüster wütender Text", so Hans von Trotha, der unter anderem beleuchte, wie die Protagonisten durch die alpine Landschaft geprägt würden. Für den Nachmittag hat er drei Texte ausgewählt, die den Garten in den Mittelpunkt rücken - jenes experimentelle Feld, "in dem Menschen seit je ihr Verhältnis zur Natur inszenieren". Vom Japan des 12. Jahrhunderts mit Didier Decoins "Das Ministerium der Gärten und Teiche" geht es ins Preußen des frühen 19. Jahrhunderts mit Thomas Hettches "Pfaueninsel" und von dort in das Deutschland der Romantik mit Annette von Droste Hülshoff und Karen Duves großartigem Roman "Fräulein Nettes kurzer Sommer".

Als Rausschmeißer am Sonntagmorgen erweckt Ulrich Noethen den abendländischen Urmythos von der Vertreibung aus dem Paradies zum Leben. Er liest Szenen aus "Paradise Lost" von John Milton (1667), die laut Hans von Trotha locker mit Schlachten aus Herr der Ringe oder Harry Potter mithalten können. Spielt das Wetter mit, findet diese Lesung stilecht bei einem Picknick unterm Apfelbaum statt.

Bei Regen werden die Freiluftveranstaltungen ins Lange Haus verlegt. Das "Landschaftsradio" dürfte dann deutlich an Reiz verlieren, auch wenn es einige überdachte Sitzplätze gibt. Als Variante drei bietet die Stiftung die Möglichkeit an, sich einen Link aufs Handy schicken zu lassen und das Programm zu Hause auf dem Sofa zu verfolgen (Kosten 5 Euro). Variante vier könnte für ausgewiesene Naturliebhaber darin bestehen, sich einfach Kopfhörer und Gummistiefel zusammen auszuleihen.

Karten und Infos zum Literatur- und Musikfest Moosbrand unter stiftung-nantesbuch.de

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