Aus Wolfratshausen in die Welt:Die Frauen in Föhrenwald

Aus Wolfratshausen in die Welt: Die Kornecki-Schwestern Krischa und Bronia sind nach dem Zweiten Weltkrieg im DP-Lager in Föhrenwald aufgewachsen. Bei der Lesung wird auch ihre Lebensgeschichte vorgetragen.

Die Kornecki-Schwestern Krischa und Bronia sind nach dem Zweiten Weltkrieg im DP-Lager in Föhrenwald aufgewachsen. Bei der Lesung wird auch ihre Lebensgeschichte vorgetragen.

(Foto: Justine Bittner)

Zum Weltfrauentag präsentiert der Erinnerungsort Badehaus eine Livestream-Veranstaltung, bei der das Leben in dem DP-Lager aus weiblicher Sicht im Mittelpunkt steht.

Von Susanne Hauck

Helen Martin Block, als Hinda Matuszynski am 15. Januar 1946 geboren, ist eines der ersten Kinder, die im Lager Föhrenwald zur Welt kommen. Ihr Vater Aron und ihre Mutter Gitel entkamen dem Holocaust, weil polnische Bauern sie versteckt hielten. Vier Jahre lang vegetierten sie in Heuschobern und Kartoffelkellern dahin. Der Preis für das Überleben ist hoch: Helens ältere Geschwister können nicht gerettet werden, fast alle anderen Familienmitglieder werden entdeckt und ermordet. Als nach dem Krieg in Polen der Judenhass wieder aufflammt, fliehen sie nach Deutschland und stranden in dem Auffanglager bei Wolfratshausen, das die Alliierten für jüdische Holocaust-Überlebende eingerichtet haben. In Föhrenwald ist Vater Aron als "bester Schuhmachermeister im Lager" bekannt und sichert mit dem Handwerk das Auskommen seiner Familie. Helen hat eine glückliche Kindheit und viele Spielkameraden. 1951 emigriert die Familie in die USA. Dort lebt Helen immer noch. Sie hat über ihr Schicksal den Roman "The Shoemaker's Daughter" geschrieben.

1951 ist auch das Jahr, in dem die vierjährige Sabine Rosenblum mit ihren Eltern nach Föhrenwald kommt. Ihr Vater Josef hat als einziger von seiner Familie das KZ Auschwitz überlebt und nach dem Krieg zum zweiten Mal geheiratet. Dafür muss er seine erste Frau und die Tochter für tot erklären lassen, die in Treblinka ermordet wurden. Mutter Käte ist Protestantin, die später konvertiert. In Föhrenwald betreibt Josef Rosenblum einen Imbiss, 1954 übernimmt er einen Lebensmittelladen, in dem er Grundnahrungsmittel und selbst eingelegte Gurken verkauft. Im Sommer hat er außerdem noch einen Eiswagen. Sabine darf ihn oft an die Isar begleiten, wo er Eis am Stiel verkauft. Die Mutter arbeitet anfangs als Schneiderin, dann als Kindergärtnerin. Samstags geht sie gerne ins Café in Wolfratshausen. Sabine besucht in Föhrenwald den Kindergarten und die Schule. Die Familie möchte in die USA emigrieren, aber alle Anträge werden wegen der Lungenerkrankung des Vaters abgelehnt. Auch nach Bolivien können sie mangels Bürgen nicht auswandern. So ziehen sie 1956 nach Frankfurt, wo der Vater eine Bierbar aufmacht. Sabine Segoviano, wie sie nach ihrer Heirat heißt, hat zwei Töchter bekommen und arbeitete lange als Autorin und Verlagsredakteurin. Sie lebt heute in Stuttgart.

Neuanfänge nach 1945 im Wolfratshauser Forst
Kinderwelten in Föhrenwald und Waldram

Eine Szene direkt nach Kriegsende: Drei befreundete Mädchen auf den Straßen des DP-Lagers Föhrenwald.

(Foto: United States Holocaust Memorial/oh)

Die bemerkenswerten Lebenswege von Sabine Segoviano und Helen Martin Block sowie einer Reihe weiterer Frauen und Mädchen in Föhrenwald steht im Mittelpunkt der Veranstaltung, die der Erinnerungsort Badehaus zusammen mit dem Kulturverein Isar-Loisach am Sonntag, 7. März, präsentiert. Anlass für den Livestream, der von der Kulturbühne Hinterhalt aus auf Sendung geht, ist der Weltfrauentag, der für den 8. März global ausgerufen ist. Die Historikerin Sibylle Krafft will damit eine Lücke schließen, da die besondere Rolle der Frau im Lager bislang zu kurz gekommen sei. "Man spricht immer nur von Displaced Persons, ganz so als ob sie geschlechtslos wären", so die Badehaus-Vorsitzende. "Dabei waren es Frauen und Männer, Mädchen und Jungen." Ihr geht es darum, die weibliche Seite des Lagerlebens besser auszuleuchten. "Dass Frauen unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben könnten, war noch nie im Blick."

Auch eine ehemalige Föhrenwalderin ist als Zeitzeugin eingeladen. "Sie wird von dieser Zeit erzählen und wie sie die älteren Frauen im Lager wahrgenommen hat", so Krafft. Als im Oktober 2018 der Erinnerungsort Badehaus als Dokumentationsstätte im heutigen Waldram eingeweiht wurde, kamen viele der einstigen Bewohner zu dem Ereignis. 34 von ihnen haben sich in der Folge interviewen lassen. Die Autorinnen des Buchprojekts "LebensBilder" lesen im Rahmen der Veranstaltung aus den Biografien ehemaliger Föhrenwalderinnen. Ebenfalls zu Gast ist Justine Bittner. Von der Geretsrieder Fotografin stammen die einfühlsamen Porträts für das Buch. Musikalisch wird der Abend von der Harfenistin Susanne Weinhöppel begleitet. Die Münchnerin beleuchtet anhand jiddischer und eigener Lieder die Lebenssituationen von Frauen.

Frauenbilder - Zeitzeuginnen, Musik und Lesung; Livestream-Veranstaltung am Sonntag, 7. März, 17 Uhr. Der Link dazu ist über die Website der Kulturbühne Hinterhalt zu finden

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