Aus dem Landgericht München II:Horrornacht im Landgasthof

Statue der Justitia - Musterfeststellungsklage

Ein 25-Jähriger muss sich unter anderem wegen versuchten Totschlags in Bad Tölz vor Gericht verantworten.

(Foto: David-Wolfgang Ebener/dpa)

In Bad Tölz jagt ein 25-Jähriger eine Gruppe mit dem Messer. Nun steht er vor Gericht

Von Susi Wimmer

Es hätte der Ausklang eines netten Abends werden sollen: Nach einer privaten Grillfeier in Bad Tölz wollten sieben Freunde vergangenen Sommer noch in einem Landgasthof einen Absacker nehmen, doch die Nacht endete wie in einem Horrorfilm. Ein Unbekannter schlug grundlos einen von ihnen zu Boden, schließlich zog der Fremde ein Messer, machte regelrecht Jagd auf Einzelne aus der Gruppe und verletzte einen von ihnen mit einem Stich in den Rücken. Jetzt sitzt der 25 Jahre alte Aryan A. vor dem Landgericht München II, wo er sich unter anderem wegen versuchten Totschlags verantworten muss, und sagt zu einem seiner Opfer: "Ich kann mich an nichts erinnern, es tut mir leid."

Üblicherweise beginnt der Vorsitzende Richter Thomas Bott die Verhandlung mit der Feststellung der Personalien. Das erweist sich allerdings beim Angeklagten als schwierig. Schon in der Anklageschrift sind diverse Alias-Namen aufgeführt, und der gebürtige Iraker Aryan A. erklärt die Unstimmigkeiten mit der Gepflogenheit in seinem Land, die Namen der männlichen Vorfahren mitanzuführen. Ob das der einzige Grund für die diversen Identitäten des Mannes ist, bleibt unklar. Bott jedenfalls lässt noch durchblicken, dass der Angeklagte keine Einträge im Bundeszentralregister hat, "aber wir wissen, dass es Verurteilungen gibt". Er rät Aryan A., von sich zu erzählen und auch vom Tatabend. Aber der Angeklagte schüttelt den Kopf, und auch sein Verteidiger Stefan Korn kann ihn nicht überreden.

Die Rekonstruktion des Tatabends mit diversen Attacken dürfte für die Staatsanwaltschaft nicht einfach gewesen sein. An jenem 21. September 2019 verabschiedeten sich die sieben Personen gegen 22.30 Uhr von der privaten Party, um im etwa zwei Kilometer entfernten Gasthof weiterzufeiern. Sie gingen in kleinen Grüppchen, mit einigem Abstand zwischendrin. Während sie gingen, kam Eugen O. (Name von der Redaktion geändert) aus der Gruppe ein Mann entgegen. Er sei stark beleidigt worden, sagt er im Zeugenstand, dann habe ihn der Fremde angegriffen und zu Boden gezerrt. Eugen O. schlug mit dem Kopf auf dem Asphalt auf. Dann setzt die Erinnerung des 34-Jährigen aus, bis zu dem Augenblick, als er sich auf der Toilette im Landgasthof das blutige Gesicht wäscht. In der Zwischenzeit soll Aryan A. auch den Bruder von Eugen O., Michail O., geschlagen und sich mit einem Messer bewaffnet haben.

Vor dem Landgasthof angekommen, tauchte schließlich der bewaffnete A. auf. Ein Teil der Gruppe flüchtete ins Innere, Aryan A. jagte nacheinander drei Männern nach und schrie schließlich Michail O. zu: "Ich töte dich, du Wichser." Der rannte die Treppe zur Gaststätte empor, stürzte und Aryan A. stach ihm das Messer in den Rücken. Der Verletzte konnte in den Gastraum fliehen, wo sich die Gruppe einsperrte. Aryan A. schlug daraufhin das Fenster des Wirtshauses ein, zog sich dabei allerdings eine heftig blutende Wunde an der Hand zu. Als die Polizei eintraf, wehrte sich A. gegen die Festnahme und konnte während seiner ärztlichen Behandlung auch noch mal kurzzeitig flüchten.

Dem forensischen Psychiater Matthias Hollweg hatte A. vorab bei der Begutachtung erzählt, dass er eine Erinnerungslücke habe. A. wuchs als eines von elf Kindern im Irak auf, beide Eltern starben früh. Ohne Berufsausbildung kam er 2015 nach Deutschland, um "neu zu beginnen". Doch ohne Arbeit und Unterricht sei es ihm noch schlechter gegangen. Er habe dreimal versucht, sich das Leben zu nehmen, war im September 2018 in der Psychiatrie in Ansbach, wo unter anderem eine paranoide Symptomatik sowie Alkohol- und Drogenmissbrauch festgestellt wurde. Er sagte Hollweg, dass er seine Abschiebung beantragen wolle.

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