Aufgenommene Asylbewerber:Fast eine Familie

In Peretshofen sind Flüchtlinge aus Afghanistan und Pakistan in einem Bauernhaus untergekommen. Darunter vier Kinder, eine Schwangere und ein Vater, der seit 14 Monaten nach seiner vermissten Frau sucht.

Von Petra Schneider

Asylanten Asylbewerber

Zivilcourage zeigte das Ehepaar Burger, als es die Flüchtlinge in ihrem Bauernhaus einquartierte. Die Nachbarn verstehen sich gut: Walter Burger (von links), Abdul Raufi, Mohamdi Sona, Sohn Quaium und Elvira Burger.

(Foto: Manfred Neubauer)

Mehr als ein Jahr ist es her, seit Abdul Raufi mit seiner Frau und vier Kindern aus Kabul geflohen ist. Der 29-Jährige arbeitete beim Sicherheitsdienst für die ISAF-Truppen - aus Sicht der radikalen Taliban ein Verrat. Nachdem der Abzug der deutschen Truppen aus Afghanistan beschlossen worden war, erhielt Raufi Morddrohungen von den eigenen Landsleuten und floh mit seiner Familie. Zuerst in den Iran, wo sein fünftes Kind geboren wurde. Dann von Izmir aus über das Meer nach Griechenland.

Drei Schlauchboote hatten die Schlepper organisiert, sie waren heillos überfüllt, die Familie wurde auseinandergerissen. Raufis Boot strandete in Lesbos, von den anderen fehlte jede Spur. Nur auf den Verbleib von Bilal, seinem siebenjährigen Sohn, gab es einen Hinweis: Ein Schleuser sagte ihm, das Kind sei in ein Auffanglager nach Ungarn gebracht worden. Drei Monate war der Junge allein in einem fremden Land, dann fand ihn der Vater. Die beiden flohen nach Deutschland. Vom zentralen Asylbewerberheim in München wurden sie Mitte September nach Peretshofen weitergeschickt.

Von seiner Frau und den anderen Kindern hat Raufi seit 14 Monaten nichts mehr gehört. Das Meer ist rau gewesen an jenem Tag, aber Raufi gibt die Hoffnung nicht auf. Über den Suchdienst des Roten Kreuzes hofft er, etwas über seine Familie zu erfahren.

Wenn Walter Burger vom Schicksal des Afghanen erzählt, wird spürbar, wie nah es ihm geht. Er und seine Frau Elvira haben die Flüchtlinge in ihrem Bauernhaus in Peretshofen aufgenommen. Auch vier Menschen aus Pakistan und eine junge Frau aus Afghanistan mit ihrem Sohn leben zurzeit dort. Etwa zweieinhalb Jahre sei der Bub alt, genau wisse man das nicht, sagt Burger. Auch nicht, wie und warum er und seine Mutter Sona nach Deutschland geflüchtet sind. Offenbar sitze ihr Mann noch in Griechenland fest. Verständigen kann sich Sona, die im vierten Monat schwanger ist, nur mit ihrem Landsmann Raufi. Aber sich als verheiratete Frau einem anderen Mann anzuvertrauen, gilt in ihrer Heimat als unschicklich. Über Sona wisse man deshalb nicht viel, sagt Burger.

Das Obergeschoss ihres Hauses, das zuvor an Wanderarbeiter vermietet war, haben die Burgers nach einem Aufruf des Landratsamts den Flüchtlingen zur Verfügung gestellt. "Meine Frau ist 1945 mit ihrer Mutter aus dem Sudetenland geflohen. Sie weiß, was es heißt, die Heimat verlassen zu müssen", erzählt ihr Mann. Zehn Menschen kann er in seinem Haus aufnehmen. Es gibt ein Bad, einen Gemeinschaftsraum mit Küche und vier Zimmer für die Familien. Die Miete überweist das Landratsamt. An manchen Gegenständen hängen Zettel, damit die Bewohner die deutschen Bezeichnungen lernen. "Kühlschrank" klebt da etwa, oder "Fenster". Die Verständigung ist schwierig, einige der Bewohner sprechen etwas Englisch. Alltägliches wie Mülltrennung sei den Flüchtlingen anfangs fremd gewesen, sagt Burger.

An diesem Vormittag ist es ruhig in der Wohnung. Die drei größeren Kinder, zwei Pakistaner und der afghanische Junge Bilal, sind in der Schule in Dietramszell. Sie seien sehr wissbegierig und lernten schnell Deutsch. Der 13-jährige Pakistani spreche perfekt Englisch und habe sich über das Internet Spanisch beigebracht. Auch Bilal sei ein aufgeweckter Bub und ein guter Rechner.

Wenn Walter Burger über die Flüchtlingskinder spricht, dann klingt das fast ein bisschen stolz. Die Kinder steckten die Umstände ihrer Flucht und den Verlust von Heimat und Verwandten erstaunlich gut weg. "Die verdrängen das", glaubt der 72-jährige frühere Hausmeister der Dietramszeller Schule. Sieben Enkel haben die Burgers, und auch von den Flüchtlingen werden sie Oma und Opa genannt. Raufi hat Tee gekocht und stellt Teller mit selbst gebackenem Käsekuchen auf den Tisch. Immer wolle er etwas machen, erzählen die Burgers: Putzen oder im Garten helfen. Wird ihm eine Frage gestellt, versucht er, auf Deutsch zu antworten. Ein stiller Mann, dessen Hände zittern. Zurück nach Afghanistan kann er nicht mehr. Er will in Deutschland bleiben, wenn sein Asylantrag anerkannt wird. Das kann noch Monate dauern. Solange bleibt er mit Bilal in Peretshofen und fahndet nach seiner vermissten Familie.

Etwa 130 Einwohner leben in dem idyllischen Bauerndorf auf einem Höhenrücken oberhalb der Bundesstraße 11. Los ist hier nicht viel. Die Flüchtlinge gehen spazieren, lernen Deutsch, halten die Wohnung in Ordnung. Beschäftigung ist wichtig, damit das Erlebte sie nicht erdrückt. Viel Zeit investieren die Burgers und der Dietramszeller Verein "Miteinander-Füreinander" in die Betreuung: Dreimal in der Woche gibt Helgard Ophoff Deutschunterricht, der Verein hat Fahrräder, Kleidung und Spielzeug organisiert, kürzlich waren alle zusammen in Bad Tölz. "Das hat ihnen sehr gut gefallen", sagt die Vereinsvorsitzende Waltraud Bauhof.

Demnächst will sie einen Ausflug zur Penzberger Moschee organisieren. Dass von kommender Woche an nicht mehr Essenspakete geliefert werden, sondern den Flüchtlingen Geld ausbezahlt wird, findet Bauhof gut. Ein Schritt hin zu mehr Selbstbestimmung sei das. Auch wenn das für die Burgers und den Verein einen Mehraufwand bedeutet. Weil es in Peretshofen keinen Laden gibt und die Busverbindung schlecht ist, werde man Einkaufsfahrten organisieren, sagt Burger. Der Verein sei eine große Hilfe. "Ohne Wenn und Aber wird da zusammengeholfen."

Bereut haben es die Burgers nicht, dass sie Flüchtlinge aufgenommen haben. Raufi, Bilal, Sona und die anderen gehören fast zur Familie. "Es würde mir sehr leid tun, wenn sie abgeschoben würden."

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