Auf drei Stockwerken durch die Geschichte:Vom Mädchenskelett bis zum Spielaltar

Stadtmuseum Bad Tölz

Eine Apotheke aus dem 18. Jahrhundert gehört zu den Schätzen des Tölzer Stadtmuseums.

Das Tölzer Stadtmuseum hat seine umfassende Neukonzeption fast abgeschlossen. Leiterin Elisabeth Hinterstocker führt durch die Räume

Von Klaus Schieder

Im dritten Stock des Tölzer Stadtmuseums zeigt Leiterin Elisabeth Hinterstocker auf den Dielenboden. Zwischen den Latten öffnen sich schmale Ritze, darunter könnten sich Käfer oder andere Insekten einnisten und das Holz beschädigen. Um dies zu verhindern, kam es jüngst zu einem ungewöhnlichen Einsatz, den die Corona-Krise ermöglicht hat: Mitarbeiterinnen der Tourist-Information, die wegen der Pandemie geschlossen war, krochen in den Fluren umher und säuberten den Boden in mühseliger Kleinarbeit. Dieser Form der Kollegialität zollt die Museumschefin tiefen Respekt. Die Helferinnen seien immerhin Fachkräfte, die auf Marketing spezialisiert seien, sagt sie.

Auch Hinterstocker musste oftmals Fieselarbeit leisten, seit sie 2012 die Leitung und damit die Umgestaltung des Stadtmuseums übernahm. Die rund 1,1 Millionen Euro teure Neukonzeption ist mittlerweile zwar fast beendet. Ende 2020, Anfang 2021 soll die Ausstellung, die sich über drei Etagen erstreckt, fertiggestellt sein und dann im Frühjahr auch offiziell eingeweiht werden. Als sie vor acht Jahren anfing, hatte Hinterstocker jedoch eine Sisyphosaufgabe vor sich.

Auf dem Speicher im Museum und im Depot in der Südschule lagen jede Menge Exponate herum, die von Tölzern stammten, aber nie erfasst worden waren. Die Inventarisierung, sagt Hinterstocker, sei "wahnsinnig viel Arbeit" gewesen - "das muss man schon sagen". Hätte sie jeden Knopf einzeln aufführen müssen, wäre sie noch immer nicht fertig. So bildete sie Konvolute: Fünf Kilo Nägel, die zusammengehören, haben zum Beispiel nur eine Inventarnummer. Mehr Spaß bereitete der Kunsthistorikerin und Restauratorin die Recherche. "Die detektivische Arbeit, das ist das Spannende und das Schöne." Nur eines von vielen Beispielen: Sie stieß auf eine silberbestickte Jacke, von der sie mutmaßte, sie sei etwas Besonderes. Und in der Tat: Sie fand heraus, dass es sich um die Livree eines Pagen von König Ludwig II. handelt. Auf den drei Stockwerken im Stadtmuseum gibt es manche solcher Fundstücke.

Frühgeschichte

Am Anfang steht ein Ende: Der Rundgang fängt für den Besucher mit einer Grabstätte an. Im ersten Zimmer, das noch Ausstellungsmacher Peter Syr konzipiert hat, liegt in einer gläsernen Kammer das 1,46 Meter lange Skelett des sogenannten "Ascholdinger Mädchens", das um 40 nach Christus mit 14 Jahren gestorben war und zum Stamm der Heimstettener Gruppe gehörte.

Dem schließt sich eine geologische Sammlung an, die vor allem auf der Kollektion aus dem ehemaligen Weinhaus Höckh fußt. Seeigel und Haifischzähne, der Backenzahn eines Mammuts, versteinerte Fische und Korallen. In der Marktstraße, sagt Hinterstocker, habe es einige Hausbesitzer gegeben, die passionierte Sammler waren und dabei auch einen intellektuellen Anspruch hatten. An einigen Stücken fasziniert die Museumschefin, dass die Menschen schon in der Steinzeit offenkundig das Bedürfnis nach Schmuck hatten, ihren Töpfen verschiedene Muster gaben, Armreife oder Spiralanhänger herstellten. Eine Besonderheit der Schau ist auch eine bronzezeitliche Säge.

Leben an der Isar

Das große Modell eines Floßes darf nicht fehlen, wenn es um den einstmals wichtigsten Wirtschaftszweig in Tölz geht - im Stadtmuseum kann man denn auch eines besichtigen. Die Transporte auf der Isar trugen dazu bei, dass manche Tölzer Händler zu großem Reichtum gelangten. "Da braucht man nur an die Kyreins zu denken", sagt Hinterstocker. Einige von ihnen waren sogar in der deutschen Handelszentrale in Venedig zu finden. Eng verbunden mit der Flößerei war das holzverarbeitende Handwerk. Ein "Holzerkobel" zeigt, wie Arbeiter gewohnt haben, wenn sie im Wald mehrere Tage lang Holz schlugen: in einer Mini-Hütte in Pyramidenform. Andere Exponate stammen aus dem Leben der Zimmerer und Schreiner, in einem langen Schaukasten ist ein Modell der früheren Holzfabrik Moralt aufgebaut, mit Spanplattenhaus, mit Pressen-Haus, mit Sägewerk. Gründer August Moralt sei kein Tölzer gewesen, sondern aus der italienischen Schweiz zugezogen, erzählt Hinterstocker. "Er war einer der ersten erfolgreichen Gastarbeiter."

Tölzer Möbel

Das Zimmer im Erdgeschoss erinnert ein wenig an ein Möbelhaus: Bunt bemalte Schränke und Truhen stehen aufgereiht an den Wänden. Tölz war einmal berühmt für seine Kästen und Kisten. Sie wurden an die Dynastie der Fugger in Augsburg verkauft, nach Tirol, nach Böhmen, nach München. Diese Möbel, sagt die Museumsleiterin, "waren deutsche Spitze". Da alleine das Holz arg teuer war, wurden sie nur für auserwählte Kunden angefertigt. Aus dem Jahr 1649 stammt zum Beispiel ein erdtonfarbener Schrank mit Intarsienarbeiten. Diese Einlagen oder auch die Bemalungen zeigen häufig Pflanzen wie Nelke oder Rose, die symbolisch für Jesus oder die Gottesmutter Maria stehen.

Im 19. Jahrhundert waren die Schränke nicht mehr so exquisit. "Sie waren oft reine Dienstbotenmöbel", sagt Hinterstocker. Interessant sei, dass manche nach Typen mit Holzdübeln zusammengebaut werden konnten, eine Art frühes Ikea-System also. Um sie zu verkaufen, zogen Vertreter mit ersten Warenkatalogen und kleinen Miniaturmodellen übers Land. "Das war ein sehr kluges System", findet die Museumschefin. In einem Zimmer mit Himmelbett, Schrank und Kommode zeigt sie auf eine alte Wiege. Die hat oben einen Bügel zum Tragen, der verstellbar ist. Früher nahmen die Frauen darin ihr Baby mit aufs Feld, über den Bügel konnten sie ein Tuch wie eine Sonnenmarkise legen.

Brauer, Schmiede und Hafner

Ein kleines Bräustüberl zeugt davon, dass Bad Tölz einmal 22 Brauereien beherbergte. In der Kupferabteilung ist unter anderem ein Werk von Saturn Kiene zu sehen, der auch die Kreuzigungsgruppe am Kalvarienberg geschaffen hat. Ausgestellt sind überdies Schlösser, detailverliebt verzierte Pudding- und Kuchenformen aus Messing, Gläser aus der Zeit, als Tölz noch eine Glashütte hatte. Und die Fayencearbeiten von Joseph Adam Hannong. Der aus Straßburg stammende Fabrikant belieferte im 18. Jahrhundert unter anderem den pfalz-bayerischen Kurfürsten Carl Theodor. In Tölz war er jedoch nicht gut gelitten und galt als "Freak". Deshalb, so Hinterstocker, "wurde er von den Tölzern rausgeekelt".

Die Marktstraße

Das Prunkstück dieser Abteilung ist die nachgebaute Tölzer Apotheke vom Ende des 18. Jahrhundert. Ein Hausapothekenbuch liegt aufgeschlagen da. Darin wird dem Leser geschildert, was er aus Holunder und Wacholder gegen diverse Beschwerden zubereiten kann. In der Marktstraße gab es auch immer schon Uhrmacher, wovon die Mannhardt'sche Turmuhr oder die Portaluhr von Joseph Rost zeugen. Hinter einer Glasscheibe sind wie in einem Setzkasten Wachsarbeiten drapiert: Bücher, Taschen, kleine Altäre, Kerzen.

Selbstbewusstes Bürgertum

Auf einer Holzbank im Historischen Sitzungssaal im zweiten Stock des Museums stehen fein verzierte Frauenschuhe in Reih und Glied. Auf den Tischen verbergen sich jede Menge Trachten unter Abdecktüchern. Auf einer solchen Plane liegen glasperlenbestickte Stutzen fürs Handgelenk. All dies ist für die Textil-Abteilung im dritten Stock gedacht, die noch eingerichtet werden muss. "Wir müssen einen Ausscheidungs-Contest machen", sagt Hinterstocker. "Wir haben so viele schöne Sachen." Ansonsten ist der zweite Stock längst fertig und zeugt vom Aufstieg des Bürgertums in Tölz. Da ist die Uniform des "Kirchenschweizers", eines weltlichen Zeremonienmeisters, der bei Messen oder Prozessionen mit Nachdruck aufpasste, dass sich die Leute andächtig benahmen. Da ist die Galerie mit Porträts von Tölzern in klassischer Malerei. Da sind die Zeugnisse des Hausknecht-Vereins, des Veloziped-Clubs, der Liedertafel aus dem 19. und 20. Jahrhundert. Als sich das Bürgertum in Tölz langsam aus der Adelsgesellschaft herausschälte, sei ihm vor allem die Schulbildung wichtig gewesen, sagt Hinterstocker. So ließ Ignaz Anton Niggl seine Kinder im 18. Jahrhundert beim Lernen porträtieren.

Der Adel in Tölz

Vom Leben das Adels erzählt vor allem die prächtige Sänfte der Familie des Maximilian Cajetan von Toerring Seefeld, die gerade von der Bayerischen Landesausstellung in Regensburg zurückgekehrt ist - eines der bedeutendsten Exponate im Stadtmuseum. Im Zimmer, das der "Jagd im Isarwinkel" gewidmet ist, steht die Badewanne aus dem königlichen Forsthaus in Vorderriß. Signalhörner und ein Handschuh des Hauptmanns Gondola sind Zeugnisse des Panduren-Einfalls im Jahr 1742 im Zuge des Österreichischen Erbfolgekriegs.

Musik und Marionetten

Bad Tölz hatte mit dem Beginn der Neuzeit auch ein reiches Musikleben. Im Raum für Anton Krettner können Besucher auf Knopfdruck den Tölzer Schützenmarsch anhören, den er komponierte. Gleich daneben ist die Blasinstrumenten-Sammlung aus der Dorfkapelle Vögtle, die von einem aus Schwaben stammenden Schmied gegründet wurde. Und es gibt die Violine aus der Werkstatt von Andreas Jais sowie die Nonnengeige aus dem Kloster Reutberg.

Mit viel Hilfe der beiden Theaterleiter Karl-Heinz Bille und Albert Maly-Motta hat die Museumschefin den Raum fürs Marionettentheater gestaltet. In 3D sind Puppenstücke auf einem Bildschirm zu sehen, ein Bühnenbild stammt aus "Die verwunschene Mühle" - jenem Werk, mit dem Gründer Georg Pacher vor 112 Jahren das Marionettentheater eröffnete. Zu sehen sind viele Puppen, unter anderem von Oskar Paul. Außerdem haben Kinder die Gelegenheit, dort selbst das Spiel mit einer Marionette auszuprobieren.

Noch mehr Stadtgeschichte

Die deutsche Fahne der Burschenschaft, die alten Fotos von einer Leiter-Stoßtrupp-Übung des Feuerwehr in der Marktstraße, die vier Pferdepaare der alten Kraftpostlinie, die gleich nach der Aufnahme eingestellt wurde - all dies sind Stationen auf dem Weg ins 20. Jahrhundert. Vom finstersten Kapitel deutscher Geschichte zeugen das Modell der SS-Junkerschule in Bad Tölz oder auch Dokumente von der Aushebung der Spielhahnjäger, einer Division der Wehrmacht. In einer Vitrine liegt ein selbstgebastelter Kompass. Aus Angst davor, nach Russland verschickt zu werden, hatten deutsche Kriegsgefangene den provisorischen Wegweiser gebaut - mit einem Magneten, den sie in der Schusterwerkstatt gefunden hatten.

Volksglaube und Religiosität

Die Jungen konnten damit schon mal üben, wenn sie Pfarrer werden wollten: Im 19. und noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es "Spielaltäre". Ein Exemplar in gotischem Stil ist im dritten Stock des Museums ausgestellt. Klosterarbeiten, kleine Hausaltäre, Rosenkränze, Votivtafeln, Devotionalien und Fatschenkindl künden davon, welche Bedeutung der christliche Glaube im Leben der Tölzer hatte. Einen Platz hat in dieser Abteilung auch das Winzerer-Schwert gefunden, das um 1500 in der Stadtpfarrkirche entdeckt wurde. Außerdem gibt es noch einen Raum mit großen Krippen. Die Landschaften bauten Mitglieder des Tölzer Krippenvereins.

Dark Room

Ganz am Ende versteckt sich ein kleines Museum im Museum: schmal, schummrig beleuchtet, ein wenig gruselig. Dort hat Hinterstocker seltsame Funde versammelt, die sich nicht ohne Bruch in andere Abteilungen hätten einfügen lassen. Dazu zählt zum Beispiel das Totenbildnis von Johann Wilhelm von Herwart aus dem Jahr 1691, ein Wismut-Kästchen, ein Amulett mit einer Geburtshelferkröte, ein Hexenhemd. Dieses Kuriositätenkabinett sei "ein Faible von mir", bekennt Hinterstocker. Ins Auge fällt dort vor allem die Figur der Heiligen Notburga, die sich einst dem Besitz der Schauspielerin Elisabeth Flickenschild befand. "Das haben wir von einer Tölzerin geschenkt bekommen."

Die Textil-Abteilung, das Thomas-Mann-Zimmer, der Raum für den Münchner Architekten Gabriel von Seidl: Dafür wird im dritten Stock gerade renoviert. Für das Design der neue Ausstellung zeichnet das Münchner Atelier Hackel verantwortlich. Immer wieder hat Museumsleiterin Hinterstocker auch moderne Medien eingebaut: Bildschirme, über die man Fotos, Szenen und Informationen abrufen kann, Filmausschnitte, Tonbeispiele.

In ihrer Detektivarbeit in den vergangenen Jahren hat sie nach eigenem Bekunden viel Hilfe von Tölzern bekommen. Von Stadtarchivar Sebastian Lindmeyr, von Claus Janßen, dem Vorsitzenden des Historischen Vereins und Fachmann für Tölzer Kirchengeschichte, von Historiker Stephan Bammer aus Lenggries, von Museumskollegen aus München, aus Wien, aus England. Die gesamte Neugestaltung, sagt sie, sei "ein Gemeinschaftswerk". Dies gelte für das Stadtmuseum schon seit eh und je. "Es ist ja nicht von der Stadt, sondern von Tölzern für Tölzer entstanden."

www.bad-toelz.de

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