Auf der Flinthöhe:Reine Formsache

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Nach neun Jahren Pause öffnet das Tölzer Landratsamt den ehemaligen Kasernenhof wieder für die Kunst. Neun Bildhauer laden zum Dialog - jeder in einer ganz eigenen Sprache.

Von Stephanie Schwaderer

Otto Süßbauer hat in der Kugel "die absolute Form für Anfang und Ende" gefunden. (Foto: Manfred Neubauer)

Selten, dass man bei einem Besuch des Landratsamts so viele gute Bekannte trifft: Gleich hinter der Einfahrt begrüßt einen der "Grünschnabel", ein mächtiger Metallvogel, der gewöhnlich vor Hans Kastlers Atelier in Happerg wacht. Schräg gegenüber rekelt sich Hans Neumanns "Sonnenanbeterin" in der Wiese. Sie hat über die Jahre einen tiefbraunen Teint bekommen, streckt aber unverdrossen kokett ihr dickes Füßchen in den Himmel. "Bürokratie meets Bildhauerei" ist die Freilichtausstellung überschrieben, die den Behördengang im Monat Juli zu einem anregenden Ausflug werden lässt.

Dass viele der Skulpturen im Landkreis schon zu sehen waren, trübt das Vergnügen nur wenig. Auf dem großzügigen Areal entfalten sie eine ganz andere Wirkung als in den Innenstädten von Geretsried und Wolfratshausen. Zudem haben die meisten Künstler gleich mehrere Arbeiten angeliefert und neu arrangiert. Sieben Männer und zwei Frauen hat Kuratorin Gertrud Kell, eine Mitarbeiterin von Landrat Josef Niedermaier, eingeladen. Alle neun sind Bildhauer im klassischen Sinn, keiner von ihnen ist unter 50, jeder von ihnen hat einen ganz eigenen Weg eingeschlagen auf der Suche nach der idealen Form.

Eher sinnlich als übersinnlich sind die Kräfte, die von Ramon van Puttens "Geist" ausgehen. (Foto: Manfred Neubauer)

Der Münsinger Holzbildhauer Ernst Grünwald zum Beispiel hat drei seiner lebensgroßen, erdigen Mannsbilder mitgebracht. Neu ist der "Minotaurus" - ein ebenso wuchtiger wie drolliger Kerl, der ein bisschen an die Figuren von Janosch erinnert. Ihn würde man am liebsten ermuntern, vom Sockel zu steigen und mit einem das Labyrinth der Behörden zu ergründen.

Auf der anderen Seite des Formenspektrums: Sechs gegenstandslose Stahlkonstruktionen der Bildhauerin Gabriela von Habsburg. Sie setzt auf reine Komposition, wobei sie den Zwischenräumen in ihren Arbeiten die gleiche Bedeutung zumisst wie dem geformten Metall. Otto Süßbauer hat in der Kugel "die absolute Form für Anfang und Ende" gefunden. Gleich drei seiner zentnerschweren und doch federleicht anmutenden Skulpturen liegen in der Wiese, wie Murmeln, die einem Riesen aus der Hosentasche gefallen sind.

Gertrud Kell (links), hier im Gespräch mit Marianne Süßbauer, hat die Kunstausstellung im einstigen Kasernenhof organisiert. (Foto: Manfred Neubauer)

Sebastian Heinsdorff hat seine Liebe zum Windspiel auf die Spitze getrieben: Sein "Halm" ist nicht nur optisch ein Höhepunkt der Schau. Die pfeilschlanke Metall-Pyramide, ragt bei Windstille neun Meter in die Höhe. Regt sich ein Lüftchen, kippt die Spitze weg, dreht und bewegt sich nach allen Seiten, um sich immer wieder aufzurichten. Genauso faszinierend: Seine kinetische Skulptur "Tomalewitsch", eine Reminiszenz an das Schwarze Quadrat des Malers Kasimir Malewitsch, wie Heinsdorff bei der Vernissage erläuterte.

"Es ist nicht üblich, dass ein Künstler Reden hält - wir sind dazu nicht geeignet", hatte Kulturpreisträger Hans Kastler bei der Eröffnungsrede gesagt - um wenig später mit Genuss und sprödem Charme seine Arbeitsweise zu erklären: "Ich mach' aus Natur was anderes, aber am Ende schaut's wieder aus wie natürlich." Auch die anderen Künstler ließen sich darauf ein, die etwa 100 Gäste durch die Ausstellung zu führen und ihre Werke zu erläutern - Matthias Gangkofner mit sichtlichem Vergnügen, Ramon van Putten eher mit Unbehagen. Während er sich noch wand ("Ich bin Bildhauer geworden, weil ich dann alleine mit mir bin"), nahm seine Skulptur "Geist" von sich aus den Dialog mit den Gästen auf. Diese ignorierten reihenweise die "Nicht-berühren-Schilder", um der sinnlichen Skulptur die Rundungen zu streicheln.

Sebastian Heinsdorff hat seine Liebe zum Windspiel auf die Spitze getrieben: Sein "Halm" ist nicht nur optisch ein Höhepunkt der Schau. (Foto: Manfred Neubauer)

Marianne Süßbauer hat eine "Muttergottheit" mit Blick auf das "Tor der Hoffnung" platziert, ein Weidentor, das sie bei der letzten Ausstellung 2004 gepflanzt hat und seither pflegt. "Ich freue mich, dass dieser schöne Platz wieder belebt wird", sagt sie. Bleibt zu hoffen, dass die nächste Kunstschau nicht neun Jahre auf sich warten lässt - und dass sich unter den Künstlern auch wieder einmal ein neues Gesicht findet. Dazu müsste die Bürokratie der Bildhauerei womöglich mehr anbieten als die Übernahme der Transportkosten.

Bürokratie meets Bildhauerei, bis 1. August 2013, Landratsamt Bad Tölz

© SZ vom 04.07.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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