Süddeutsche Zeitung

Artenschutz in Dietramszell:Eine tierische Bereicherung

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In Hechenberg hält Barbara Wandinger zwei Exemplare der selten gewordenen Schwarzen Alpenschweine. Die beiden Eber sind nicht nur klug und fit im steilen Gelände, sondern helfen auch bei der Wühlmausplage.

Von Anja Brandstäter, Dietramszell

Sie sind wahre Feinschmecker: Äpfel, Birnen, Quitten, Bucheckern und Eicheln gehören zu ihren Leibspeisen. Es darf auch mal ein Hühnerei, gekochte Kartoffeln oder frische Biomolke sein. Gemeint sind Ernie und Bert, die beiden Schwarzen Alpenschweine von Barbara Wandinger aus Hechenberg in der Gemeinde Dietramszell. Ihr abschüssiges Grundstück ist ein Eldorado für diese alteingesessene Schweinerasse, die vom Aussterben bedroht ist.

Seit Mai dieses Jahres haben die beiden die etwa 5000 Quadratmeter große Obstbaumwiese, die an einen Wald grenzt, durchgearbeitet. Mit ihrem ausgesprochen feinen Geruchssinn spüren sie Würmer, Wurzeln und Wühlmäuse auf. Und wegen dieser Plage hat sie Barbara Wandinger aus Nantesbuch geholt. "Mein Zwetschgenbaum war von einem Tag auf den anderen kaputt. Er hatte die besten Zwetschgen weit und breit und war immer übervoll", sagt sie. Die Wühlmausplage ist auch in ihrem Gemüsegarten zu erkennen. "Nur Stangenbohnen mögen sie nicht, die konnte ich ernten", erzählt sie.

Schnell stellte sie fest, dass die beiden Tiere eine wahre Bereicherung sind. Kaum haben sie einen erblickt, kommen sie fröhlich grunzend den steilen Hang hinauf galoppiert. Für das alpine Gelände sind sie wie geschaffen. "Wenn ich die Schweine aus der Hand füttere, sind sie ganz vorsichtig. Sie wissen genau, dass sie nichts bekommen, wenn sie zu stürmisch sind", erzählt Wandinger. "Sie sind richtige Persönlichkeiten mit einer Rangordnung. Ernie schafft an, so dass ich das Futter immer in zwei Eimern herrichte. Bert würde sonst nie etwas abbekommen". Freudig schmatzen und grunzen sie dann. Überhaupt strahlen sie gute Laune aus.

"Sie sind weder dreckig noch dumm", stellt die Besitzerin klar. Ihren Schlafplatz, einen zeltförmigen Holzverschlag, der vorne offen und mit einem Blechdach gedeckt ist, halten sie stets penibel sauber. Auf den Holzboden hat Barbara Wandinger Stroh eingestreut. Wenn es dunkelt, ziehen sich die Alpenschweine dorthin zurück.

Für ihre Schweine hatte Barbara Wandinger eine Suhle im oberen Bereich der Weide angelegt, doch Ernie und Bert haben sie nie benutzt. Schnell fanden die Schweine heraus, dass es im unteren Teil des Grundstücks unterirdisch Wasser gibt und haben sich dort selber ein Schlammbad gegraben. "Da Schweine nicht schwitzen, wälzen sie sich in dem feuchten Schlamm. Das hält sie gesund und befreit sie von Parasiten", so Barbara Wandinger.

Als die beiden Tiere im Mai 2020 nach Hechenberg kamen, waren sie sechs Monate alt, ein Alter, in dem Mastschweine bereits geschlachtet werden. Seither laufen sie tagein tagaus, bergauf bergab. Mit ihrem Rüssel tasten sie den Boden ab, graben und wühlen sie, schieben Steine zur Seite und stecken oft bis zu den Ohren im Schlamm. Ihre Körper sind eher muskulös als fett und ihre dunkle Haut mit schwarzen Borsten bewahrt sie vor Sonnenbrand. Sie sind robust, wachsen langsam und setzen wenig Fett an. Mit den Bedingungen, die sie auf der steilen Obstbaumwiese vorfinden, würden Mastschweine gar nicht zurechtkommen. Wandinger achtet nicht nur auf die artgerechte Haltung, sondern auch auf gutes Futter. So bekommen Ernie und Bert zum Beispiel keine Essensreste. So ist die Schweinehalterin auch schon gespannt, wie das Fleisch dieser extensiv gehaltenen Weideschweine schmecken wird. Das wird sie schon bald wissen, denn, so sehr ihr die Tiere ans Herz gewachsen sind, Barbara Wandinger kann ihre Schweine nicht überwintern.

Zumindest Anhaltspunkte für die Fleischqualität gibt es. Denn früher waren Weideschweine im Alpenraum verbreitet. Nicht nur Kühe, sondern auch sie verbrachten die Sommermonate auf der Alm. Die große Artenvielfalt der inhaltsreichen und aromatischen Gräser und Kräuter gaben dem Fleisch einen einzigartigen Geschmack. Darüber hinaus war das Alpenschwein ein ausgezeichneter Verwerter der Molke, die bei der Käseherstellung auf den Almen abfiel. Durch die ständige Bewegung und das langsame Wachstum der Tiere verteilt sich das Körperfett gleichmäßiger, so dass das Fleisch wunderbar marmoriert ist. Durch die artgerechte Haltung ist die Gabe von Medikamenten nicht nötig.

Heute kümmert sich die Organisation Pro Patrimonio Montano um die Erhaltung vom Aussterben bedrohter Nutztierrassen wie dem Schwarzen Alpenschwein. Als Dachorganisation, die verschiedene regionale Gruppen und Züchterorganisationen vereint, hat es sich Pro Patrimonio Montano zum Ziel gesetzt, die genetische Vielfalt der Bergwelt in den Zentral- und Ostalpen zu bewahren, und zwar grenzüberschreitend in Deutschland, Österreich, Schweiz, Liechtenstein und Italien.

"Bevor Ernie und Bert zu mir kamen, habe ich zufällig in der Zeitung gelesen, dass die Tierärztin Annett von Selzam einen guten Platz für zwei Eber sucht, die in Nantesbuch geboren wurden. Da habe ich mich gemeldet. Mit dem Schwarzen Alpenschwein hatte ich schon lange geliebäugelt", so Wandinger. Um diese Rasse zu halten, musste Barbara Wandinger einige Vorgaben erfüllen: Ein fester Holzzaun friedet die gesamte Weide ein. Mit einem Elektrozaun kann sie die Weidefläche langsam vergrößern. "Die Schweine sind sehr neugierig und würden wegen Bucheckern oder Eicheln ausbrechen", sagt sie. Beim Landratsamt musste die Haltung der Tiere gemeldet und genehmigt werden.

Das Schwarze Alpenschwein könnte einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leisten. Die Verbreitung dieser Rasse wäre ein wichtiger Schritt in Richtung nachhaltige Landwirtschaft. Auch der österreichische Landwirt Sepp Holzer, bekannt durch seine Erfolge bei der Umsetzung von Permakultur, kennt die Vorzüge der Schweine: Er setzt sie zur Bodenvorbereitung ein. Der von den Schweinen umgepflügte Boden bietet dann ideale Anwachsbedingungen für Pflanzen.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2020
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