Süddeutsche Zeitung

Arbeit in Bad Tölz-Wolfratshausen:Wenn das Geld nicht reicht

Immer mehr Landkreisbürger brauchen einen Zweitjob

Etwa 6500 Menschen im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen haben neben ihrer regulären Stelle noch einen Minijob. Damit stieg die Zahl der Zweitjobber innerhalb von zehn Jahren um 43 Prozent, wie die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) mitteilt. Die Gewerkschaft beruft sich hierbei auf neue Zahlen der Arbeitsagentur. Danach sind Zusatz-Jobs in Restaurants, Gaststätten und Hotels im Kreis besonders verbreitet: In der Branche gab es im Juni 2019 rund 1200 Zweitjobber - das sind 67 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor.

Gewerkschafter Georg Schneider spricht von einer Schieflage auf dem Arbeitsmarkt: "Im Schatten des Booms der vergangenen Jahre sind viele sozialversicherungspflichtige Stellen entstanden, die oft kaum zum Leben reichen. Nebenjobs müssen dann die Haushaltskasse aufbessern. Aber wer auf einen Zweitjob angewiesen ist, der arbeitet meist am Limit - auf Kosten von Familie, Freunden und Freizeit", so der Geschäftsführer der NGG Rosenheim-Oberbayern.

Dabei treffe der Boom bei den Nebenjobs auch die heimische Wirtschaft. "Gastronomen und Bäckermeister, die über Fachkräftemangel klagen, aber gleichzeitig auf 450-Euro-Kräfte setzen, schneiden sich ins eigene Fleisch", sagt Schneider. Minijobber können keine Fachleute ersetzen. Doch die gewinne man nur mit guten Löhnen - "so hoch, dass die Beschäftigten keinen Zweitjob mehr brauchen". Außerdem müssten sich die Arbeitgeber stärker um Nachwuchs kümmern. "Eine Lehre im Lebensmittelhandwerk oder im Gastgewerbe kommt für Schulabgänger nur infrage, wenn der Lohn und die Ausbildungsbedingungen stimmen", so der Gewerkschafter.

Die NGG sieht allerdings auch die Politik in der Verantwortung. Die Zunahme der Zweitjobs sei mit das Ergebnis einer verfehlten Arbeitsmarktpolitik. "Mit einer Reform könnte die Bundesregierung Minijobs voll in die Sozialversicherung einbeziehen. Allerdings sollten die Arbeitgeber den größten Teil der Beiträge zahlen. Das macht reguläre Stellen attraktiver und verschafft den Minijobbern heute eine bessere Absicherung", so Schneider.

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Quelle:
SZ vom 22.02.2020 / cjk
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