Medikamentenmangel in Apotheken:"Die Lage wird sich verschlimmern"

Medikamentenmangel in Apotheken: Christopher Hummel, Sprecher des Bayerischen Apothekerverbandes im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, beklagt ein "hausgemachtes Problem".

Christopher Hummel, Sprecher des Bayerischen Apothekerverbandes im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, beklagt ein "hausgemachtes Problem".

(Foto: Harry Wolfsbauer)

Apotheken im Landkreis haben noch immer mit Lieferengpässen zu kämpfen. Nun droht die Rücknahme einer pandemiebedingten Ausnahmeregelung das Problem weiter zu verschärfen.

Von Sophia Coper, Bad Tölz-Wolfratshausen

"Gut, dass sie anrufen. Ich bin stinksauer", mit diesen Worten eröffnet Christopher Hummel das Gespräch. Hummel ist Filialleiter der Michaelis-Apotheke in Gaißach und Pressesprecher des Bayerischen Apothekerverbandes im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen. Sein schon länger schwelender Ärger habe frischen Aufwind bekommen, sagt er. Seit Monaten gibt es Lieferengpässe bei Medikamenten, die SZ Bad Tölz-Wolfratshausen berichtete Anfang Januar über die angespannte Situation in den Apotheken im Landkreis. Nun, rund zwei Monate später, sieht die Lage nicht besser aus - im Gegenteil.

"Die Grundproblematik ist immer noch dieselbe", sagt Hummel. Viele medizinische Wirkstoffe und Hilfsmittel würden in China und Indien produziert, europäische Hersteller für Pharmaka gebe es nur noch vereinzelt. Die Auslagerung sei durch günstigere Kosten und Preise begründet worden, doch seien in den vergangenen drei Jahren die Schattenseiten der globalen Arbeitsteilung sichtbar geworden. Wer die Auswirkungen unterbrochener Lieferketten erleben will, braucht nur in die leeren Regale von Apotheken zu schauen.

Heruntergefahrene chinesische Fabriken sind laut Hummel aber nur ein Teil des Problems, dessen Fundament hausgemacht sei. Die Abhängigkeit vom asiatischen Markt sei Folge der Sparpolitik deutscher Krankenkassenanbieter. Speziell ausgehandelte Rabattverträge, die den billigsten Hersteller begünstigen, hätten die Produktion für weitere Anbieter unrentabel gemacht und somit den Anteil an europäischen Marktteilnehmern sukzessiv verkleinert.

An den tröpfelnden Lieferungen könne man erstmal nichts ändern, sagt Hummel, "doch jetzt reißen uns die neuen Vorschläge zusätzlich den Boden unter den Füßen weg". Um den Engpässen etwas entgegenzusetzen, feilt das Bundesgesundheitsministerium unter Karl Lauterbach (SPD) an einem neuen Gesetzesentwurf, dessen erste Version Mitte Februar veröffentlicht wurde. Das sogenannte Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) sehe zwar unter anderem vor, dass Krankenkassen in Zukunft europäische Standorte berücksichtigen müssen - "das ist auf jeden Fall der richtige Weg", so Hummel. Zugleich werde jedoch die Flexibilität von Apotheken erheblich eingeschränkt.

Aufgrund der speziellen Rabattverträge sind Apotheken in der Pflicht, bei der Ausgabe von Medikamenten sich streng an die Vorgaben der jeweiligen Krankenkassen der Kunden und Kundinnen zu halten. "Für das Bluthochdruckmittel Candesartan muss ich allein zehn verschiedene Firmen auf Lager haben, nur um die Hauptkassen bedienen zu können", entrüstet sich Hummel, "und trotzdem kann es sein, dass ich jemandem nicht weiterhelfen kann, da ein elfter Hersteller benötigt wird." Mit dem Ausbruch der Pandemie sei diese Regelung aufgeweicht worden. Apotheker und Apothekerinnen bekamen die Möglichkeit, Artikel nach dem Wirkstoff und nicht nach der Firma auszuwählen - eine Freiheit, die nun wieder eingeschränkt werden soll.

"Wir sind dafür qualifiziert, Medikamente einschätzen und auswählen zu können", betont Apothekerin Marietta Klemme aus der Bad Heilbrunner Kur-Apotheke. "Mit der Rücknahme der Ausnahmeregelung sind wir gezwungen, Alternativen nicht anwenden zu dürfen und Patienten nach Hause zu schicken, obwohl wir einen passenden Wirkstoff in der Schublade hätten. Die Verordnung strebt keiner Sinnhaftigkeit hinterher."

Medikamentenmangel in Apotheken: Noch immer sind viele Medikamente in den Apotheken nicht verfügbar.

Noch immer sind viele Medikamente in den Apotheken nicht verfügbar.

(Foto: Jan Woitas/picture alliance/dpa)

Hummel und Klemme stimmen überein, dass nur die pandemiebedingte Ausnahmeregelung die Lieferengpässe auffangen konnte, und sind gleichermaßen verärgert, dass die Einhaltung der Rabattverträge wieder verschärft werden soll. "Wir sind wirklich guten Willens", sagt Klemme, "aber über unserer Situation hängt ein Damoklesschwert." Je mehr von oben reglementiert werde, desto schwieriger sei es für Kunden und Kundinnen Medikamente zu erhalten.

"Die Lage wird sich nur verschlimmern", bestätigt Christopher Hummel. "Wir wollen definitiv, dass die Ausnahmeregelung bestehen bleibt." Die vom ALBVVG angestrebte Produktion in Europa sei wichtig, dauere aber bestimmt noch ein paar Jahre, bis sie wirklich Entlastung bringen könne. Bis dahin seien immer noch die Apotheken gefragt, die angespannte Situation auszubalancieren.

Klemme sagt: "Man entreißt uns das letzte Handwerkszeug, dem Mangel zu begegnen." Sie sehe "ein Gewitter am Horizont aufziehen".

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