An der Realschule Geretsried:Teile und schmecke

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Was ist gerecht? Wenn jede und jeder ein gleich großes Stück vom Kuchen bekommt? Damit sollten die Realschüler sich auseinandersetzen. (Foto: Hartmut Pöstges)

In einem Workshop lernen und erproben junge Leute "Fair Share". Kuchen dienen als Symbole

Von Felicitas Amler, Geretsried

Die Jugendlichen, die in kleinen Gruppen an vier Tischen eines Raums der Realschule Geretsried sitzen, sind ungeduldig. Sehr ungeduldig. "Warum diskutieren wir noch?", ruft einer nach vorn. Die Antwort ist einfach: Weil es in dem Workshop, an dem sie teilnehmen, um wichtige Werte geht - um Gerechtigkeit und um Demokratie. Die jungen Leute aber wollen endlich die Kuchen anschneiden, die vor ihnen stehen.

Die Realschule Geretsried hat sich nach dem letzten Zeitzeugengespräch des Auschwitz-Überlebenden Max Mannheimer in ihrem Haus einem fächerübergreifenden Projekt verschrieben: "Gegen das Vergessen, für die Demokratie". Sie fühlten dies als Auftrag, den der inzwischen verstorbene Mannheimer ihnen hinterlassen habe, erklärt Christine Venus-Michel, die stellvertretende Rektorin. Das Projekt beginnt jeweils in der 9. Jahrgangsstufe im Fach Geschichte mit einem ganztägigen Workshop im Max-Mannheimer-Haus Dachau und einem Besuch der KZ-Gedenkstätte mit Nachbereitung in den Fächern Kunst und Deutsch. In der 10. Jahrgangsstufe wird der Faden in Sozialkunde wieder aufgenommen. Ansprechpartnerin ist die Geschichtslehrerin Sigrid Roik-Heindl.

Erstmals hat die Schule nun externe Fachleute dazu ins Haus geholt: Zwei Mitarbeiterinnen des vom fernsehbekannten Politik-Professor Werner Weidenfeld gegründeten Centrums für angewandte Politikforschung an der Uni München, Eva Feldmann-Wojtachnia und Basira Beutel, gestalteten Workshops zum Thema "Fair Share in der Gesellschaft". Dazu ließen sie die Jugendlichen zunächst theoretisch erarbeiten, was diese unter Gerechtigkeit verstehen. Als symbolisches Mittel der Umsetzung einer gerechten Verteilung gab es anschließend Kuchen. Ein Himbeer-, ein Kirsch-, ein Käse- und ein Schokokuchen wurden per Los den vier Tischen zugeteilt. Und nun sollten die jungen Leute sich auf ein Verfahren einigen, wie die Kuchen - entsprechend ihren eigenen zuvor festgehaltenen Maßstäben für Gerechtigkeit - aufzuteilen waren. Darauf gab es je nach Workshop unterschiedliche Antworten. In einem kam die Idee eines Kuchenbüfetts für alle auf, in einem anderen siegte die Lust auf Kuchen über die Freude an Gerechtigkeit. Jeder Tisch solle seinen Kuchen gleichmäßig an die Gruppenmitglieder verteilen, und wer dann einen anderen wolle, könne ja jemanden zum Tauschen suchen, hieß es da.

Feldmann-Wojtachnia hielt der Gruppe deren eigene Kriterien gerechten Verteilens vor: Bedürfnisse abfragen, Chancengleichheit, jeder soll Zugang zu allen Ressourcen haben, Wahlfreiheit, Respekt. Die Gruppe verzichtete. Und musste sich später sagen lassen, dass das Wesen der Demokratie nicht die schnelle Lösung sei. Was, so die Frage der Moderatorinnen, wenn es nicht um Kuchen ginge, sondern wenn alle Schiffbrüchige mit unterschiedlichen Ressourcen wären? Fragen wie diese konnten am Ende wieder in Gruppen vertieft werden.

© SZ vom 27.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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