Eine Institution im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen:„Der Respekt vor der Justiz hat abgenommen“

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Adelinde Gessert-Pohle war von 2020 bis 2024 Direktorin des Amtsgerichts Wolfratshausen. (Foto: Hartmut Pöstges/Hartmut Pöstges)

Adelinde Gessert-Pohle war zwischen April 2020 und Januar 2024 Direktorin am Wolfratshauser Amtsgericht. In ihren 36 Jahren im Justizdienst hat sich viel verändert – von der Digitalisierung bis zum Umgangston, der rauer geworden ist.

Interview von Benjamin Engel, Wolfratshausen

36 Jahre lang war Adelinde Gessert-Pohle im Justizdienst tätig, ehe sie Ende Januar dieses Jahres als Direktorin am Wolfratshauser Amtsgericht in den Ruhestand ging. Zu Beginn ihrer Berufskarriere war die Juristin Staatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft München I. 1996 wurde sie Richterin am Landgericht München I, ehe sie sich zum 1. Oktober 1997 an das Wolfratshauser Amtsgericht versetzen ließ und blieb. Seit Februar 2020 hatte sie für vier Jahre das Amtsgericht Wolfratshausen geleitet, zunächst kommissarisch und ab April 2020 als Direktorin. Im Oktober 2024 wurde Adelinde Gessert-Pohle offiziell in den Ruhestand verabschiedet. Im Gespräch gegenüber der SZ äußert sie sich darüber, was an der Tätigkeit für die Justiz so herausfordernd ist und wie sich der Beruf innerhalb einer Generation verändert hat.

SZ: Frau Gessert-Pohle, mit Ihrer Nachfolgerin Christiane Serini hat das Wolfratshauser Amtsgericht nun die vierte Direktorin in Folge. Wie frauenfreundlich ist eigentlich der Justizdienst? Und was hat Wolfratshausen womöglich anderen Standorten voraus?

Adelinde Gessert-Pohle: Der Justizdienst ist nach wie vor auf allen Qualifikationsebenen äußerst attraktiv für Frauen. Dies liegt neben der interessanten Tätigkeit und dem Umgang mit vielen Menschen an der Vielzahl von möglichen Teilzeitarbeitsmodellen. Auf der Ebene der Geschäftsstellen, also quasi im Sekretariatsbereich, arbeiten überall weit überwiegend Frauen. Aber auch auf der Entscheiderebene stellen sie vielerorts schon die Mehrheit. So sind beim Amtsgericht Wolfratshausen auf Richterebene derzeit nur vier Männer beschäftigt, aber neun Frauen. Während die männlichen Kollegen alle in Vollzeit arbeiten, sind von den neun Richterinnen sechs in Teilzeit beschäftigt. Die Wohnortnähe spielt für die Attraktivität des Arbeitsplatzes eine sehr große Rolle. Nach wie vor haben in Deutschland die Frauen das Gros der Familienarbeit zu stemmen. Auch in der Justiz wirkt sich diese Tatsache als Karrierehindernis aus. Je höher man in der Hierarchie schaut, desto geringer wird leider der Frauenanteil.

Wie sehr hat sich denn der Arbeitsalltag in der Justiz während der 36 Jahre Ihrer Berufstätigkeit verändert?

Durch die Digitalisierung und die Einführung der Computer hat sich viel verändert. Die Staatsanwälte und die Richter hatten ja immer ihre dicken Gesetzbücher vor sich liegen. Formulare mussten handschriftlich ausgefüllt werden. Richter haben ihre Entscheidungen diktiert, was dann in den Büros geschrieben werden musste. Das hat sich komplett verändert. Es gibt umfassende EDV-Programme und die elektronische Akte.

Bei Ihrer Verabschiedung hat der Wolfratshauser Bürgermeister Klaus Heilinglechner betont, wie gut das Amtsgericht die elektronische Akte handhabe. Sein Rathaus kämpfe mit der Digitalisierung. Ein Lob, das Sie gerne annehmen?

Wir kämpfen schon auch. In unserer Verwaltungsabteilung gibt es die elektronische Akte ja schon seit 2017. Das war ein großer Fortschritt. Am Amtsgericht Wolfratshausen sind wir damit ansonsten aber ziemlich spät dran. Die einzelnen Verfahren wurden von Pilotgerichten entwickelt und dann nach und nach landesweit eingeführt. In Wolfratshausen haben wir die elektronische Akte für Zivil- und Familiensachen seit Oktober 2023. Ab Januar 2024 kamen dann die Grundbuchangelegenheiten, Zwangsversteigerungen, Betreuungssachen und Insolvenz dazu.

Der Arbeitsalltag hat sich durch die Digitalisierung auch am Wolfratshauser Amtsgericht verändert. Seit 2017 gibt es dort die elektronische Akte. (Foto: Hartmut Pöstges)

Während der Pandemie hat sich gezeigt, wie viel Digitalisierung möglich ist. Am Wolfratshauser Amtsgericht haben zeitweise 61 Prozent der Mitarbeiter von zuhause aus gearbeitet – ein Spitzenwert unter den Gerichten im Freistaat. Gleichzeitig sind die gesellschaftlichen Debatten hitziger und unversöhnlicher geworden. Ist das auch am Amtsgericht spürbar?

Der Respekt vor der Justiz hat in den jüngsten Jahren abgenommen. Der gesellschaftliche Umgangston ist viel rauer geworden. Angriffe richten sich nicht nur gegen Mandatsträger, sondern auch gegen Justizangehörige. Das reicht von Beschimpfungen bis Drohungen. Früher gab es ab und an einmal Dienstaufsichtsbeschwerden. Das hat sehr stark zugenommen. Manche versuchen mit ewig langen Eingaben die Justiz regelrecht zu blockieren.

„Die Sicherheitsvorkehrungen sind viel strikter geworden“

Und das lässt sich nicht verhindern?

Wir lassen uns nicht einschüchtern. Die Sicherheitsvorkehrungen sind viel strikter geworden. Seit ein Angeklagter 2012 während einer Verhandlung einen Staatsanwalt erschossen hat, gibt es strenge Einlasskontrollen. Adressen von Mitarbeitern werden keinesfalls weitergegeben.

Das klingt nicht sehr angenehm. Wie sehr ist eigentlich die Justiz und insbesondere das Amtsgericht Wolfratshausen vom Fachkräftemangel betroffen, der allenthalben beklagt wird?

Wir müssen um den Nachwuchs kämpfen. Da geht es uns nicht anders als allen anderen Arbeitgebern. Bei den Richtern sind wir in Wolfratshausen relativ gut aufgestellt. Aber es gibt ja auch noch Rechtspfleger, die Geschäftsstellen mit Beamten und Angestellten und den Sicherheitsdienst. Insgesamt ist es für die Justiz schwierig, genügend Personal auszubilden oder zu gewinnen. Gerade in einer Hochpreisregion wie rund um München können Gerichte mit ihren Verdienstmöglichkeiten mit anderen Arbeitgebern oft nicht mithalten. Es werden immer wieder gute Leute abgeworben.

Heißt das, dass es regelmäßig unbesetzte Stellen gibt?

Es gibt immer wieder Vakanzen. Problematisch ist es etwa, wenn ein Rechtspfleger geht. Die Rechtspfleger schließen ihre Ausbildung jeweils im August eines Jahres ab und werden jeweils zum 1. September eingestellt. Wenn unterjährig einer abspringt, ist das eine große Herausforderung. Dann müssen oft für den Rest des Jahres die übrigen Mitarbeiter die zusätzliche Arbeit schultern.

Bedeutet dies, dass Verfahren länger dauern können?

Wenn dauerhaft Personal fehlen sollte, könnte das schon sein.

Wie ließe sich aus Ihrer Sicht am besten gegensteuern?

Eine bessere Vergütung wäre sicher wünschenswert. Aber der Finanzminister setzt der Justiz im Haushalt ihre Grenzen. Seit ein, zwei Jahren gibt es für den Geschäftsstellenbereich aber schon andere Tarifstrukturen.

Sie sind jetzt bereits ein Dreivierteljahr im Ruhestand. Bei der Verabschiedung wurde Ihre Leidenschaft für Opern- und Konzertbesuche hervorgehoben. Haben Sie die Zeit dafür bereits genutzt?

Mit meinem Mann war ich schon in einigen Opern und Konzerten. Ich singe ja auch in einem Laienchor. Das habe ich jetzt intensiviert. Ich gehe aber auch oft und gerne in die Berge zum Wandern.

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