Amtsgericht Wolfratshausen:Hickhack vor Gericht

Landgericht Essen

Die Strafprozessordnung regelt, wie eine Gerichtsverhandlung ablaufen soll. Die Turbulenzen in Wolfratshausen verhinderte sie nicht.

(Foto: Volker Hartmann/dpa)

Rechtsbeugung, Befangenheit, Diktatur: Mit harten Worten kritisiert ein Verteidiger den Richter. Zwei Jahre nach der Tat findet die Verhandlung endlich ihren Abschluss.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Der Staatsanwalt will eben sein Schlussplädoyer beginnen, da rastet der Rechtsanwalt des Angeklagten aus. Er schreit: "Das ist Rechtsbeugung", springt auf und stürmt auf den Staatsanwalt zu. "Ich hindere Sie am Plädieren", ruft er. "Wir sind nicht in einer Diktatur!" Für Rechtsbeugung hält er, dass der Staatsanwalt einen Befangenheitsantrag des Verteidigers gegen Strafrichter Helmut Berger durch sein Schlussplädoyer verhindern wolle. Rüde stößt der Verteidiger den Tisch des Staatsanwalts beiseite. Er setzt sich nur widerwillig, als der Richter die Beweisaufnahme für abgeschlossen erklärt.

Die Szene ist der Kulminationspunkt eines turbulenten Gerichtsverfahrens am Wolfratshauser Amtsgericht. Seit Ende Juni 2014 wird verhandelt - vorige Woche zum fünften Mal. Unablässig hat der Verteidiger die Verhandlungsführung von Richter Berger gerügt und einen Befangenheitsantrag nach dem anderen gestellt. Alle Anträge wurden abgewiesen. Von Richter Berger selbst.

Denn seiner Auffassung nach verfolgten die Anträge verfahrensfremde Zwecke. Das Prozessverhalten des Verteidigers sei nicht als übliche, sachbezogene und prozessual zulässige Verteidigertätigkeit einzustufen. Unter anderem brachte dieser vor, dass der Richter lüge. Sein Handeln lasse als einziges Ziel erkennen, das Hauptverfahren zu sabotieren, entgegnet der Richter. Deshalb seien die Befangenheitsanträge unzulässig, und wenn das der Fall sei, könne ein Strafrichter ihn selbst ablehnen, erklärt Berger mit Verweis auf die Strafprozessordnung. Der Verteidiger ist damit nicht zufrieden und beschuldigt den Richter der Willkür.

Berger sagt, ein solches Verfahren habe es vor dem Wolfratshauser Amtsgericht noch nicht gegeben. Den Verteidiger loswerden kann der Richter aber auch nicht. Die Strafprozessordnung gebe dem Gericht keine Möglichkeiten, gegen einen Anwalt vorzugehen.

Dabei ist gar nicht so ungewöhnlich, was da verhandelt wird und endlich auch zum Abschluss kommt - zwei Jahre nach der Tat. Doch unter all dem Hickhack ist die fast untergegangen. Der 25 Jahre alte Beschuldigte steht wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht. Er soll in der Wohnung seiner früheren Freundin randaliert haben, als er das gemeinsame Baby abholen wollte und die Mutter es ihm nicht übergeben wollte. Das Gericht verurteilt den Mann letztlich zu einer Geldstrafe in Höhe von 4800 Euro wegen Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung, vorsätzlicher und versuchter Körperverletzung. Eine Aussage machte der Angeklagte nicht.

Die Beziehung zwischen dem Mann und seiner Freundin scheiterte bereits während der Schwangerschaft. Am zweiten Weihnachtsfeiertag 2013 wollte er sein Baby bei ihr abholen. Beide teilten sich das Sorgerecht. Doch die Freundin wollte ihm das Kind nicht geben, öffnete ihre Wohnungstür nur einen Spalt breit. Da soll der Mann die Tür gewaltsam aufgedrückt, seine frühere Freundin geschlagen und an den Haaren gezogen haben. Laut Anklage flüchtete sie mit ihrem Baby ins Wohnzimmer und versteckte sich hinter dem Couchtisch. Im Laufe der Auseinandersetzung wollte sie die Polizei rufen, der Mann soll Gegenstände geworfen und in der Wohnung gewütet haben. Körperlich sei sie nicht verletzt worden, sagte die Frau, wohl aber emotional. Inzwischen sei das Verhältnis wieder entspannt.

Es wurden eine Reihe von Zeugen gehört, darunter die Großmutter des Angeklagten, die behauptet, die Mutter des Kindes habe dem Vater das Besuchsrecht für sein Kind nehmen wollen. Die Frau bestreitet das. Als der Rechtsanwalt einen weiteren Befangenheitsantrag stellt und die Verhandlungsführung des Richters kritisiert, bricht die 75-jährige Frau in Tränen aus.

Zwei weitere Zeuginnen können zunächst nicht befragt werden. Als der Richter die erste aufruft, ruft der Verteidiger hinein: "Ich stelle einen weiteren Befangenheitsantrag." Der Staatsanwalt erklärt, der Verteidiger müsse den Befangenheitsantrag stellen, wenn der Richter ihm das Wort erteile. Der Richter stellt fest, die Zeugin könne nicht ordnungsgemäß vernommen werden und entlässt sie aus dem Gerichtssaal, ebenso die zweite.

Trotz der schwierigen Beweisaufnahme ist für den Staatsanwalt am Ende klar: Was die frühere Freundin des Angeklagten sagt, ist glaubhaft. Sie hätte dem Vater ihres Kindes mehr vorwerfen können, wenn sie ihm wirklich das Umgangsrecht hätte entziehen wollen. Dass der Mann das Umgangsrecht hatte und das Kind abholen wollte, rechtfertige nicht, dass er gewaltsam in die Wohnung eingedrungen sei. Der Verteidiger fordert Freispruch, denn die Aussagen der Mutter des Kindes seien unglaubwürdig und widersprüchlich.

Der Richter zeigt zwar Verständnis für den jungen Vater. Doch er habe falsch reagiert, als er handgreiflich geworden sei. Deshalb verurteilt er den Angeklagten zu einer Geldstrafe.

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