Amtsgericht:Narzisstische Züge

Mann wegen Titel-Missbrauchs zu einer Geldstrafe verurteilt, spricht ihn aber vom Sozialbetrugs-Vorwurf frei

Von Benjamin Engel, Geretsried

Für den 62-jährigen Angeklagten ist die Verhandlung vor dem Wolfratshauser Amtsgericht am Mittwoch bereits in die zweite Runde gegangen. Der Geretsrieder Industriekaufmann und Kommunikationswissenschaftler unterstützt mit seinem Verein ehrenamtlich Erwerbslose bei Behördengängen. Einem seiner Klienten soll er 2015 zu Sozialleistungen verholfen haben, obwohl er wusste, dass der in der Schweiz arbeitete. Gleichzeitig schmückte sich der Angeklagte mit akademischen Ehrentiteln, die er in Deutschland nicht führen durfte. Er stritt das ab. Noch im April hatte seine Verteidigerin am ersten Verhandlungstag auf einem medizinischen Gutachten zur Steuerungsfähigkeit ihres Mandaten bestanden.

Nun brach der Vorwurf des Sozialbetrugs vor Gericht in sich zusammen. Nach Aussage eines Mitarbeiters war dem Tölzer Jobcenter 2015 gar kein Schaden entstanden, sondern nur in früheren Jahren. Der Angeklagte wurde wegen Betrugs und Beihilfe dazu freigesprochen. Für den Titel-Missbrauch verhängte Amtsrichter Helmut Berger eine Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu 15 Euro. Der Angeklagte gab sich uneinsichtig. "Meines Erachtens trage ich die Titel zurecht", erklärte er.

Schon 2015 hatte ihm das Landgericht München untersagt, einen akademischen Titel zu führen. Weiterhin unterzeichnete er Briefe und Mails mit dem Zusatz "Professor Dr. h. c." und "c. Yale University". Die Titel, so sagte er, seien ihm in den USA rechtmäßig verliehen worden. Eine Urkunde konnte er aber nicht vorlegen. Einen Kauf im Internet stritt er ab. Dort findet sich der verwendete Ehrentitel "Dr. h. c. of Ministry" laut Amtsrichter Helmut Berger zum Preis von 49 Euro. Der Angeklagte bestand darauf, sich beim bayerischen Justiz- und Kultusministerium kundig gemacht zu haben, die Titel führen zu dürfen.

Diese Reaktion könnte wohl mit seinem Charakter zusammenhängen. Nach Einschätzung des Gutachters ist der Angeklagte steuerungs- und einsichtsfähig. Er bescheinigte dem Mann aber narzisstische Persönlichkeitszüge. Ihn zeichne ein Gefühl innerer Wichtigkeit aus. Ersuche nach Bestätigung. Derartige Persönlichkeiten seien überzeugt, besser und schlauer zu sein als der Rest der Welt. Sie reagierten gekränkt, wenn die Umwelt ihre Leistungen nicht anerkenne. "Der Typ kommt bei Managern und Hochstaplern häufig vor", erklärte der Gutachter. Die Frage sei, ob jemand kriminelle Methoden anwende.

Häufige Berufswechsel prägen die Erwerbsbiografie des Angeklagten. Laut Gutachter betrieb er ein Lokal, arbeitete in der Musik-, Werbe- und Immobilienbranche. Er managte einen Eishockeyverein und übernahm die PR-Arbeit für einen weiteren. Von langer Dauer war keines der Engagements. 2008 kam der Wendepunkt. Wie der Gutachter erklärte, bezog der Angeklagte seitdem Sozialleistungen. Wenig später habe er den Verein gegründet. Damit habe der Mann seiner "sozialen Ader", anderen Menschen helfen zu wollen, freien Lauf gelassen.

Schon seit 2011 hatte der spätere Klient des Angeklagten Arbeitslosengeld bezogen. Das Jobcenter wusste, dass sich der Mann zur Jobsuche in der Schweiz aufgehalten hatte. Die Behörden begannen zu ermitteln. Laut dem zuständigen Mitarbeiter hatte der Klient von August 2011 bis Ende 2012 sowie im Juni 2013 Sozialleistungen bezogen, obwohl er in der Schweiz arbeitete - fast 16 000 Euro. "2015 hat es keine Überzahlung gegeben", sagte er. In diesem Jahr hat der Angeklagte zweimal im Namen des Klienten Sozialleistungen beantragt und eine Wohnadresse in Geretsried angegeben. Zweimal hatte die Polizei den Wohnsitz überprüft und keinen Hinweis auf die Anwesenheit des Klienten gefunden. Doch laut Jobcenter-Mitarbeiter wurde nicht weiter in der Schweiz ermittelt. Es komme öfter vor, dass Erwerbslose keinen festen Wohnsitz hätten. Dann akzeptiere die Behörde etwa die Angabe der Caritas als Wohnadresse, um Geld auszuzahlen.

Amtsrichter Helmut Berger musste den Angeklagten vom Vorwurf des Sozialbetrugs freisprechen. Er ging nicht auf den Vorschlag des Angeklagten ein, die akademischen Ehrentitel nicht weiterzuführen und dafür straffrei zu bleiben. Das verstand der Mann nicht. "Ich habe das immer nur für andere benutzt", sagte der Mann.

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