Süddeutsche Zeitung

Amtsgericht:Haftstrafe für brutalen Vater

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Weil er seinen Sohn jahrelang mit eiskalten Bädern und warmen Duschen bestraft hat, wurde ein 59-jähriger zu zwei Jahren und neun Monaten Gefängnis verurteilt.

Von Benjamin Engel, Wolfratshausen

Es muss ein Martyrium gewesen sein: Wiederholt hatte ein Familienvater seinen Sohn im Grundschulalter zur Bestrafung in eine eiskalte Badewanne gesteckt. Anschließend hatte er ihn mit warmem Wasser abgeduscht. "Das war so brutzelheiß", schilderte der heute zwölfjährige Bub in einer Videovernehmung. "Mir war immer total schwindelig." Sein Vater habe nur geantwortet, dass so "gut" sei. Die Mutter hatte von allem gewusst. Sie hatte ihren inzwischen nach Baden-Württemberg gezogenen Mann angezeigt.

Schon am ersten Verhandlungstag vor dem Wolfratshauser Amtsgericht hatte der 59-jährige Vater die Vorwürfe eingeräumt. An Dienstag verurteilte ihn Richter Urs Wäckerlin zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen.

Mit den Bestrafungsaktionen hatte der Vater begonnen, als sein Sohn etwa sieben Jahre alt war. Wie der Bub in der im Gerichtssaal abgespielten Videovernehmung schilderte, könne er sich an den Anfang gut erinnern. Denn damals sei sein Vater für einige Monate arbeitslos geworden. In die eiskalte Badewanne habe ihn der Einzelhandelskaufmann immer dann gezwungen, wenn er "Mist gebaut habe".

Kleinigkeiten reichten wohl, um diese Reaktion auszulösen. Der Bub berichtete davon, dass er einmal in die von seinem Vater "heiß geliebte" CD-Sammlung gefallen sei. Ein Exemplar sei kaputt gegangen. Ein anderes Mal habe er ein Geschütz seiner Playmobil-Ritterburg auseinandergebaut. Sein Vater habe gemeint, dass er es kaputt gemacht hätte. "Manchmal habe ich auch gar nicht verstanden, warum ich bestraft werde", sagte der Bub. Manchmal habe ihm sein Vater mit der Polizei gedroht. "Da habe ich immer Schiss gehabt."

Das Kind musste nackt in die Badewanne steigen. Wenn sich der Bub nicht auszuziehen wollte, schlug ihm der Vater mit der flachen Hand auf den Rücken oder ins Gesicht. Nach längerer Zeit in der Badewanne mit kaltem Wasser habe ihm alles wehgetan, berichtet das Kind. Seine Mutter sei oft arbeiten gewesen. War sie aber zu Hause, habe sie ihn "befreit". Ein einziges Mal sei sie selbst so wütend gewesen, dass sie zum Vater nur "weiter so" gesagt habe.

Vor Gericht zeigte sich der Vater reuevoll. Was passiert sei, tue ihm aufrichtig leid, erklärte er. Dass er einen großen Fehler gemacht habe, sehe er ein. "Das war eben total verkehrt", sagte er. "Ich weiß." Seine Taten seien nicht zu rechtfertigen, ergänzte seine Verteidigern im Plädoyer. Der Angeklagte habe sich jedoch um einen Täter-Opfer-Ausgleich bemüht. Zudem sei die Mutter nicht ganz unschuldig gewesen. Das Kind habe "keine bleibenden Schäden" erlitten. Die eigentliche Bestrafung sei, dass der Vater seit eineinhalb Jahren keinen Kontakt mehr zu Frau und Sohn habe, sagte die Verteidigerin. Sie hielt eine eineinhalbjährige Bewährungsstrafe für ausreichend. Ihr Mandant sei als Kind selbst geschlagen worden und brauche eine Therapie.

Weil beide Eltern arbeiteten, betreute oft eine Tagesmutter das Kind. Der Polizei hatte sie berichtet, dass sich der Bub auffällig verhalten habe. Er habe etwa ihre Katze über die Balkonbrüstung ihrer Wohnung im ersten Stock geworfen. Im Vorjahr hatte die Mutter das Jugendamt eingeschaltet, der Bub kam in ein Kinderheim. Er lebt heute wieder mit der Mutter zusammen. Laut Abschlussbericht der Jugendhilfeeinrichtung blieb er weiterhin auffällig. So habe er einen Mitschüler im Unterricht geohrfeigt. Er habe Angst gehabt, seinem Vater zu begegnen, bis dieser im April 2018 weggezogen sei. Die auffälligen Reaktionen des Buben sind wohl auch durch die schwierigen Familienverhältnisse zu erklären. Eine Kriminalpolizistin berichtete, dass sich die Eltern häufig gestritten hätten. Die Auseinandersetzungen habe der Bub mitbekommen. In der Videovernehmung erinnerte sich dieser selbst, dass seine Eltern einmal mit Bratpfannen aufeinander eingeschlagen hätten.

Als "deprimierend" bezeichnete Richter Wäckerlin die häusliche Verhältnisse in der Familie. Sie seien durch Gewalt gegenüber dem Buben, aber auch der Eltern untereinander geprägt worden. "Seine Entwicklung wurde durch das häusliche Umfeld massiv gestört", sagte der Richter. Ausschlaggebend sei auch der lange Zeitraum, in dem es zu den Übergriffen gekommen sei. "Im Grundschulalter gibt es in zwei Jahren eine unglaubliche Entwicklung." Körperlich und auch psychisch verändere sich bei Kindern in diesem Alter sehr viel.

Schwer tat sich Wäckerlin, den genauen Tatzeitraum einzugrenzen. Der Endzeitpunkt stehe nicht genau fest, sagte er. Der Bub habe berichtet, dass die Vorfälle in der vierten Jahrgangsstufe aufgehört hätten. Das könne sich auf den Anfang oder das Ende des Schuljahres beziehen. Daher ging der Richter von einem Zeitraum von mindestens zwei Jahren mit mindestens 24 Fällen aus. Somit wich er von der Anklage mit 39 Fällen ab und blieb unter dem Strafmaß der Staatsanwältin, die drei Jahre und vier Monate Gefängnis gefordert hatte. Wie Wäckerlin sagte, habe der Angeklagte durch den Wegzug seinen Beitrag geleistet, dass der Bub sicher aufwachsen könne.

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Quelle:
SZ vom 19.12.2018
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