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Alfred Fraas im Porträt:Der König der Luftschlösser

Lesezeit: 4 min

Alfred Fraas hat Wolfratshausen schon viele visionäre Ideen beschert. Umgesetzt wurde davon zwar noch nichts. Das hält den CSU-Politiker aber nicht davon ab, sich unermüdlich für seine Heimatstadt zu engagieren.

Von Konstantin Kaip, Wolfratshausen

Alfred Fraas könnte zufrieden sein. Schließlich hat sich seine Mühe gelohnt: Sein alternativer Entwurf für die Sanierung und Erweiterung der Wolfratshauser Hammerschmiedschule, an dem er von Januar bis Juni gearbeitet hat, soll laut mehrheitlichem Stadtratsbeschluss nun geprüft werden, um ihn mit den Planungen des beauftragten Architekturbüros zu vergleichen. Der CSU-Stadtrat hatte sich, nachdem die Kosten für das größte kommunale Bauprojekt Anfang des Jahres zu explodieren drohten, kurzerhand in seiner Freizeit selbst eine Schule ausgedacht - mit Neubau aus Holz, Glaspyramide, Turnhalle und Garage. Das mag andernorts unvorstellbar erscheinen. In Wolfratshausen aber kennt man Alfred Fraas.

Der 68-Jährige hat die Loisachstadt bereits mit vielen Ideen bereichert, die er mit beeindruckender Akribie ausgearbeitet und präsentiert hat. Dazu gehört etwa eine Parkhausbrücke mit 264 Stellplätzen über der Loisach, eine Vision, mit der er im Februar 2017 für Furore sorgte. Oder ein Tunnel unter Farchet hindurch, der für geschätzte 160 Millionen Euro eine Querverbindung zwischen Garmischer und Salzburger Autobahn schaffen sollte. Nach einem Murenabgang im Bergwald infolge eines Starkregens im Sommer 2016 präsentierte Fraas schon tags darauf seine Lösung für einen Entwässerungswall am Golfplatz-Plateau, den er selbst mit dem Bagger anlegen wollte. Und seine Pläne für eine Reaktivierung der Floßrutsche am Kastenmühlwehr erläuterte er nicht nur im Sitzungssaal des Rathauses. Der Stadtrat, der mit seinem rauschigen Bart und seiner gern zum Mini-Dutt gebundenen Langhaarfrisur auch optisch Akzente setzt, erklärte seine Idee der "erlebbaren Flößerstadt" auch in der BR-Sendung "quer". Der Schulentwurf, den Fraas mit einem 36-seitigen Exposé samt grober Kostenschätzung und in einer 3D-Animation präsentierte, ist also nur sein neuester Streich, keineswegs sein erster. Seine Antwort nach dem Warum für derlei Mühen gilt dann auch für alle anderen seiner Vorschläge. "Mir ging es darum, aufzuzeigen, dass es eine Lösungsmöglichkeit gäbe", sagt Fraas. Und fügt hinzu: "Ich handle grundsätzlich für Wolfratshausen, nicht für mich."

In den Stadtrat kam Fraas 2009, zunächst noch als parteiloses Mitglied der CSU-Fraktion. Er wollte etwas gegen die damals im Zuge der S-Bahn-Verlängerung geplante Schranke an der Sauerlacher Straße tun, gegen die er schon mit einer von ihm gegründeten Bürgerinitiative gekämpft hatte. "Ich bin in die Politik gegangen, weil ich gesagt habe: Ich will mich engagieren." Die Schranke ist längst kein Thema mehr, das S-Bahngleis soll bekanntlich in einem Tunnel unter der Straße hindurchgeführt werden. Fraas' Engagement gilt seitdem anderen Dingen, etwa seinem Posten als Kulturreferent. In seinem ersten Bericht vergangenes Jahr hat er anhand von Balkendiagrammen dargestellt, dass er in dieser Funktion in drei Jahren insgesamt 900 Stunden unterwegs war. Seine Stadtratskollegen zeigten sich beeindruckt, genauso wie von seiner Powerpoint-Präsentation zum "Kulturleitbild" der Stadt, an dem er seit 2015 herumwerkelt, und dem minutiös ausgearbeiteten Programm zum Internationalen Flößertag, für den sich die Stadt auf Fraas' Initiative hin bewirbt. Auch außerhalb seines Ressorts gab er Impulse, etwa mit dem Antrag zur Förderung von Elektrorädern.

Der gelernte Ingenieur für Holztechnik hat sich 1980 mit einer Softwarefirma selbständig gemacht. Seit den frühen Neunzigerjahren seien sämtliche Schulämter in Bayern mit seinen Programmen ausgestattet, sagt Fraas stolz. "Wir machen die gesamte Personalplanung für die bayerischen Grund- und Mittelschulen mit ihren rund 80 000 Beschäftigten." Deswegen kenne er sich mit den Schülerzahlen aus, fügt er mit Blick auf die Kritiker seines Schulentwurfs hinzu. Anders als das von der Stadt beauftragte Architekturbüro karlundp, dessen Planungen bereits 700 000 Euro gekostet haben, habe er "kein fix und fertiges Projekt mit Leistungsstufe eins hingestellt", sagt Fraas, "sondern eine Idee, die in gewisser Weise für eine Kostenschätzung belastbar ist. Die muss man halt jetzt näher prüfen."

Seine Hemdsärmeligkeit kann überfordern. Und immer wieder muss er sich dem Vorwurf einer gewissen Naivität stellen. Dass seine kühnen Projekten bislang allesamt Luftschlösser geblieben sind, kann er trotzdem nicht nachvollziehen. "Ganz und gar nicht", sagt er. "Ich habe den Eindruck, wenn ein Vorschlag nicht von der richtigen Seite kommt, wird er abgelehnt." In der vergangenen Legislaturperiode ist Fraas der CSU auch formell beigetreten, weil er dort mehr Unterstützung bekomme als anderswo, wie er sagt. Dass er bereits die dritte Amtszeit als Stadtrat bestreitet, habe aber mit der Partei nichts zu tun. "Ich bin ja nicht deshalb gewählt worden, weil ich bei der CSU bin", sagt Fraas, "sondern weil man gesehen hat: Der setzt sich ein, der tut was."

Wenn man seine Fleißarbeit nicht würdigt, kränkt das Fraas sichtlich. Als Bürgermeister Klaus Heilinglechner (Bürgervereinigung Wolfratshausen) etwa nach dem Murenabgang 2016 nicht auf seinen Wall-Vorschlag einging und stattdessen ein Rückhaltebecken am Golfplatz-Plateau errichten ließ, strengte der CSU-Stadtrat eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Rathauschef wegen Verschwendung von Steuergeldern an. Das Landratsamt sah jedoch keine Veranlassung zur Rüge.

Für seinen Einsatz außerhalb des Stadtrats erhält der rastlose Tüftler indes viel Anerkennung von den Bürgern. Im Stadtbild ist Fraas der Lichtbringer, der er im Stadtrat gerne wäre - und zwar im Wortsinn: mit den Feuerwerken, die er seit seiner Zusatzausbildung zum Pyrotechniker beim Sommerfest der Musikschule regelmäßig durchführt; mit der Beleuchtung der Loisachfontäne, die er auf Eigeninitiative installiert hat; und mit der Lichtshow auf dem Sebastianisteg zur Adventszeit. Die Installation, bei der er ein von Grundschülern gestaltetes Mobile mit aufwendig programmierten Licht- und Tonfolgen gekonnt in Szene setzt, ist bei den Wolfratshausern ein beliebtes Highlight in der dunklen Jahreszeit. "Wenn man Freude schenkt, hat man selbst eine Freude daran", sagt Fraas dazu.

Weil die Koproduktion in diesem Jahr ausfällt, hatte er sich etwas Besonderes als Ersatz überlegt: Er wollte auf die Ostfassade des Rathauses mit drei Beamern ein großes Video projizieren. Vier Wochen habe er mit seiner Firma am Inhalt gearbeitet, sagt Fraas. Wegen der hohen Corona-Infektionszahlen im Landkreis hat er sich aber dann am vergangenen Mittwoch entschieden, das Spektakel abzusagen. "Meine Installation sollte die Bevölkerung erfreuen", sagt Fraas. "Sie soll aber auf keinen Fall zur Verbreitung der Krankheit beitragen."

Statt am Loisachufer Vorbereitungen zu treffen, bleibt er also zu Hause in seinem Wohn- und Firmensitz an der Sauerlacher Straße, dessen Renovierung er vor einigen Jahren natürlich selbst in die Hand genommen hat. Seine Frau Gayle, mit der er zwei erwachsene Söhne hat, dürfte das freuen. Sie sei zwar an seine Rastlosigkeit gewöhnt, frage aber schon hin und wieder, warum er sich neben Arbeit und Amt auch in andere Projekte noch so reinknien müsse, räumt Fraas ein. "Dann muss ich schauen, dass ich eine Balance herbeiführe." Doch die US-Amerikanerin, die auch Geschäftsführerin der familieneigenen Software-Firma ist, unterstütze ihn sehr und berate ihn auch. Die Grundsatzfrage, wie sich das Phänomen Fraas erklärt, braucht sie ihm nicht mehr zu stellen. "Mich reizt das Problemlösen", sagt der 68-Jährige dazu nur. Als Softwareproduzent gehöre das schließlich zu seinem Alltag. "Es ist mein tägliches Brot."

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SZ vom 30.11.2020
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