Noch ist es ein Blick in die Zukunft, aber einer, der vielen nicht gefallen dürfte: Das Fieber kommt, die Schmerzen oder der Schüttelfrost, und zwar zur unpassendsten Zeit, nämlich am Wochenende oder am Feiertag. Wenn Krankheitssymptome einen Wolfratshauser oder Ickinger zum Beispiel an Weihnachten des kommenden Jahres erwischen und er zum Arzt muss, wird es zwar noch einen Bereitschaftsdienst geben. Doch die Anfahrtswege werden für den Erkrankten signifikant weiter sein als bisher: Statt nach Wolfratshausen in eine Praxis zu fahren wird er sich dann auf den Weg nach Agatharied oder Bad Tölz machen müssen, um einen behandelnden Bereitschaftsarzt zu finden. Von Oktober 2018 an soll nämlich die von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB) beschlossene, neue Bereitschaftsdienstverordnung in Kraft treten.
Bislang gibt es im Landkreis drei Bereiche, in denen jeweils ein ärztlicher Bereitschaftsdienst organisiert und vorgehalten wird, nämlich im Nordlandkreis, in der Mitte (Geretsried) und im Südlandkreis. In diesen Bereichen steht ein Mediziner von 18 Uhr bis 8 Uhr am folgenden Tag, mittwochs und freitags von 13 bis 8 Uhr und an den Wochenenden sowie den Feiertagen 24 Stunden für Behandlungen und Untersuchungen bereit. Die Ärzte bieten die Sprechstunden in der eigenen Praxis an.
Nach der Reform werden jedoch die Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach zu einem einzigen Bereich zusammengefasst - so dass es nur noch Bereitschaftsdienstpraxen in Agatharied und Bad Tölz geben soll sowie einen zusätzlichen Fahrdienst für Hausbesuche. In Wolfratshausen und Geretsried wird dann keine Versorgung mehr vorgehalten.
Doch gegen die Pläne formiert sich Widerstand, und zwar sowohl von Seiten der Hausärzte im Nordlandkreis wie auch von Patienten. "Denn die Reform bedeutet für die Mehrzahl der Landkreisbewohner eine massive Verlängerung der Fahrzeit, bis sie in ärztliche Behandlung kommen", sagt Dr. Klaus Röttger, Internist und Betriebsmediziner aus Wolfratshausen, der auch für Kollegen im Norden des Landkreises spricht. Aus ärztlicher Sicht sei die Reform deshalb "eine fehlgeleitete Planung und für die Patienten ein Ärgernis." Dabei gehe es doch um das Wohl der Menschen, "und die Versorgung muss entsprechend gewährleistetbleiben", betont Röttger.
Nicht zu verwechseln ist der Bereitschaftsdienst mit der notärztlichen Versorgung. Dieser kommt immer dann zum Einsatz, wenn ein akuter medizinischer Notfall, wie etwa bei einem Unfall, anliegt. Patienten, die jedoch eine ärztliche Versorgung außerhalb der regulären Sprechzeiten benötigen, rufen die Rufnummer 116 117. Die dortige Zentrale nennt dann den jeweiligen Arzt, der gerade Bereitschaftsdienst hat.
Der Grund für die Neuordnung des Bereitschaftsdienstes ist nach Angaben von Röttger der massive Rückgang von Hausärzten. Und der betreffe mitnichten nur strukturschwache Gegenden Bayerns. Auch in der Metropolregion und dem sogenannten Speckgürtel von München werden die Hausärzte ihm zufolge weniger. Höre ein Kollege auf, stehe immer auch im Raum, die Praxis ganz zu schließen, weil sich nur mehr schwer Nachfolger finden ließen. Deshalb ist es laut Röttger unumgänglich, dass die Bereitschaftsdienste anders organisiert werden, damit die Ärzte nicht noch öfter nach den Praxisöffnungszeiten sowie an Sonn- und Feiertagen für diese Aufgabe herangezogen werden. Grundsätzlich hält er eine Reform also für unumgänglich, damit trotz zurückgehender Ärztezahl in ländlich geprägten Gebieten eine gute bereitschaftsdienstärztliche Versorgung gewährleistet werden kann. Aber: "Die angestrebte Umstrukturierung beachtet die Besonderheiten der Region nicht", kritisiert er. Zu dieser Besonderheit zähle eben auch, dass mehr Menschen im Nordlandkreis wohnen als im Süden. "Deshalb darf ein Bereitschaftsstandort hier im Norden nicht einfach unter den Tisch fallen", fordert er.
Landrat Josef Niedermaier (FW) kann dazu derzeit noch keine Stellungnahme abgeben. Zwar sei das Thema Bereitschaftsdienstreform "virulent", doch er wolle zunächst die Informationsveranstaltung abwarten, die die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns für den 15. Dezember in München angesetzt hat.
Die Reformpläne der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns sehen derzeit zwar vor, dass Patienten eine Praxis in maximal 30 Minuten erreichen sollen. Für die Bewohner der beiden Landkreise Bad Tölz-Wolfratshausen und Miesbach soll es künftig gar nur maximal 25 Minuten dauern, die Bereitschaftspraxen in Bad Tölz oder Agatharied zu erreichen. Doch das ist eine Zeitangabe, die Röttger für nicht realistisch hält. Zum einen, weil sie voraussetzen, dass jeder Patient über ein Auto verfügt: "Mit öffentlichem Nahverkehr sind solche Zeiten jedenfalls nicht zu erreichen, vor allem nicht zu den Zeiten der Bereitschaft, also an Feiertagen, Wochenenden und nachts." Zum anderen entfalle bei solch weiten Strecken auch mehr und mehr die Chance, dass der Bereitschaftsarzt den Patienten und seine Vorgeschichte bereits kenne. Durch die zusätzlichen, bis zu vier Fahrzeuge für die Hausbesuche steige nach Röttgers Ansicht die Dienstbelastung sogar, statt dass sie weniger werde. Doch das sei nicht der Grund für den Protest: "Uns geht es darum, dass jemand nicht mit dem Auto bis nach Tölz oder Agatharied fahren sollte, wenn wir doch in Wolfratshausen eine Kreisklinik haben." Er sieht hier den umgekehrten Fall der Diskussion um die Geburtshilfe. Während bei diesem Thema die Kreisklinik als Standort gestärkt wurde, in Bad Tölz hingegen um eine Lösung gerungen wird, ist es mit dem Bereitschaftsdienst nun anders herum. Auf die schriftliche Forderung der Nordlandkreisärzte habe der Vorsitzende der KVB, Dr. Wolfgang Krombholz, zwar bereits geantwortet. Er sieht keinen Bedarf für einen weiteren Standort für eine Bereitschaftspraxis in Wolfratshausen. Doch Röttger und seine Kollegen wollen weiter für eine Änderung kämpfen. In ersten Gesprächen mit Kollegen der Kreisklinik sei ihnen auch schon signalisiert worden, dass dort Räume zur Verfügung gestellt werden könnten. Und um den Standort auch personell stemmen zu können, schlägt Röttger vor, ihn alternierend mit Bad Tölz zu besetzen. Eine Fortsetzung des Bereitschaftsdienstes in den Praxen der Nordlandkreisärzte sei hingegen nicht möglich: "Auch wenn wir das wollten - es wird uns strikt verboten mit der Reform", sagt Röttger.
Mit ihrer Forderung nach dem Erhalt des Standorts Wolfratshausen stehen die Ärzte des Nordlandkreises nicht allein. Auch zahlreiche Landkreisbürger haben sich gegen die Pläne ausgesprochen. In den Arztpraxen liegen Unterschriftenlisten aus, um die Reform doch noch den lokalen Gegebenheiten anzupassen und den Standort Wolfratshausen zu erhalten.