Abschied von Andreas Wagner:Die letzte Party

Bundestagswahl 2021

Es war einmal ein Wahlkreisbüro: In den Räumlichkeiten der Linken am Kirchplatz in Geretsried wird bald etwas anderes als Politik stattfinden.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Die Linke in der Region wird im neuen Bundestag nicht mehr vertreten sein. Das Büro der Partei in Geretsried ist deshalb bald Geschichte

Von Kathrin Müller-Lancé

Schon vom Bürgersteig aus lässt sich erahnen, dass dieses Schaufenster kein ganz gewöhnliches ist: Eine Puppe in OP-Kleidung guckt Richtung Straße, die Scheibe ist zugepflastert mit Plakaten. Das Wahlkreisbüro der Linken ist eine Besonderheit im christsozial dominierten Landkreis, nicht nur optisch, sondern auch politisch. Vier Jahre lang war es Anlaufstelle für Linke zwischen Miesbach und Weilheim. Das wird bald vorbei sein.

Andreas Wagner, der bei der vergangenen Wahl überraschend über die Landesliste in den Bundestag eingezogen war, trat in diesem Jahr nicht mehr an. Sein Nachfolger und bisheriger Mitarbeiter Erich Utz stand nicht auf der Landesliste und hätte ein Direktmandat gewinnen müssen, um Abgeordneter zu werden. Er holte jedoch nur 1,97 Prozent der Erststimmen. Die Wahlparty am Sonntagabend war also zugleich eine Abschiedsparty - das Wahlkreisbüro wird schließen müssen.

Ob es am Trennungsschmerz liegt oder den mauen Wahlergebnisse der Linken, so richtig Stimmung will an diesem Abend nicht aufkommen. Auch wenn die Infrastruktur eigentlich da wäre: ein gutes Dutzend Leute hat sich eingefunden, auf Großleinwand werden die aktuellen Hochrechnungen übertragen. Die Tische sind gedeckt mit Chips, Erdnüssen, Bierflaschen.

"Es ist schade, dass es schon wieder vorbei ist", sagt Erich Utz. Er steht neben seinem Noch-Chef Wagner in der Küche des Büros und backt Tiefkühlpizzen auf für die Gäste. Wagner trägt ein T-Shirt der Punkband Anti Flag, es zeigt zerbrochene Gewehre. An der Wand: Ein Papier mit der Aufschrift: "Auch Du hältst die Küche sauber, Genosse!" Historische und aktuelle Wahlplakate, Bücher mit Titeln wie "Verkehrspolitik" oder "Soziologie der Parlamente" zeugen von der Arbeit der vergangenen Jahre. Im Regal liegt ein Boxhandschuh mit dem Logo der Linken. Zur Eröffnung des Büros sei damals sogar der CSU-Bürgermeister Michael Müller gekommen, erzählt Wagner ein bisschen stolz. "Das hätte vor zehn, zwanzig Jahren auch niemand geglaubt." Sein Kollege Utz sagt: "Die Linke ist durch dieses Büro in Geretsried angekommen und als politische Kraft respektiert worden."

Bis Ende Oktober soll das Büro ausgeräumt und neu vermietet werden. Was dann in den Räumen stattfinden wird, will Wagner noch nicht sagen. Auf die Frage, ob ihn der Abschied wehmütig mache, antwortet er: "Ich habe mich immerhin darauf einstellen können." Tatsächlich hatte der 49-Jährige schon früh angekündigt, dass er nicht mehr kandidieren wolle. Vor drei Jahren hatte er sich wegen Überlastung eine Auszeit genommen. "Ich hätte das gerne weitergemacht, wenn ich das gesundheitlich hinbekommen hätte", sagt Wagner heute. Die Arbeit im Bundestag habe ihn immer mehr ermüdet: Entscheidungen treffen, ohne genug Zeit zu haben, sich in Themen einzuarbeiten. Vor Fernsehkameras Statements im Politiker-Sprech abgeben. "Das bin nicht ich."

Ab dem kommenden Jahr will Wagner wahrscheinlich wieder bei seinem alten Arbeitgeber einsteigen, der Lebenshilfe Tölz. Sein Nachfolge-Kandidat Erich Utz hat noch keine konkreten Pläne. "Ich bin ja ausgebildeter Tanzlehrer, vielleicht intensiviere ich das."

Als die ersten enttäuschenden Hochrechnungen auf der Großleinwand auftauchen, sagt Wagner noch: "Ich hoffe, dass die Prozente steigen." Er meint damit das Wahlergebnis. Auf dem Nebentisch stehen aber auch Ouzo und Wodka.

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