A cappella:Herrscherlob und Sinnenlust

A cappella: Schule des Hörens: Das Ensemble "vox nova" unter der Leitung von Christian Seidler bei seinem Gastspiel in der Wolfratshauser Kirche St. Michael.

Schule des Hörens: Das Ensemble "vox nova" unter der Leitung von Christian Seidler bei seinem Gastspiel in der Wolfratshauser Kirche St. Michael.

(Foto: Hartmut Pöstges)

Der Münchner Chor "vox nova" beleuchtet in Wolfratshausen das Hofleben zu Zeiten des Königs Maximilian I.

Von Paul Schäufele, Wolfratshausen

Es passiert nicht alle Tage, dass ein habsburgischer Staatsmann in einer evangelischen Kirche gewürdigt wird, noch dazu, wenn sein Ableben ein halbes Jahrtausend zurückliegt. Zu einem Requiem für den vor 500 Jahren verstorbenen Maximilian I. aber hat am Sonntag der Münchner Chor vox nova in die Wolfratshauser Kirche Sankt Michael eingeladen. Unter Leitung von Christian Seidler erklang Musik vom Hof Maximilians.

Die musikalischen Miniaturen Ludwig Senfls, Sänger an der maximilianischen Kapelle, sind konzentriertes Hofleben. In ihnen spiegeln sich in nuce privates und politisches Leben von Souverän und Untertan. Letzterer bekommt in Senfls Motette "Kein Höhers lebt" das Wort und schwört darin dem Monarchen Treue. Diese Haltung durchzieht die Werke des ganzen Abends. In ruhig fließenden Melodien, oftmals abwärts gerichtet und so die Verbeugung vor dem Kaiser musikalisch nachvollziehend, gestaltet der 2010 gegründete Chor den vierstimmigen Satz. Ganz anders klingt schon das folgende "Hoscha, wenn wöll' wir fröhlich sein", ein schwungvoll interpretierter Aufruf zum unbeschwerten Weingenuss und ein gesungener Trostspruch für alle, die am Folgetag unter einem schweren Kopf leiden. Geistlichen Trost sucht das Lied "Mag ich Unglück nit widerstahn" zu spenden. Für dieses Stück von der Vergänglichkeit irdischer Güter wählt der Chor einen düsteren, dennoch plastischen Klang und hat bereits in den ersten drei Werken den richtigen Ton für Aspekte gefunden, die am Hofleben an der Grenze vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit von Bedeutung waren: Herrscherlob, Sinnenlust und dabei Bewusstsein um die Endlichkeit des eigenen Lebens.

Eine Verbindung des politischen und theologischen Anspruchs, dem die Hofmusik des "letzten Ritters" zu genügen hatte, stellt die Staatsmotette "Virgo prudentissima" Heinrich Isaacs dar. Isaac, Hofkapellmeister Maximilians und Lehrer Senfls, hat das Werk wohl für die Bestätigung der Kaiserwürde Maximilians auf dem Konstanzer Reichstag von 1507 komponiert. In monumentaler Sechsstimmigkeit verbinden sich hier Marienfrömmigkeit und Kaiserverehrung. Diesen Beitrag zum politischen Theater vollziehen die knapp zwanzig Sängerinnen und Sänger von vox nova im Halbkreis des Altarraums aufgestellt, mit Sinn für klangliche Differenzierung: Eher nach innen gekehrte, sparsam besetzte Passagen wechseln mit vollchörigen - Demut und Repräsentation gehen hier Hand in Hand. Den intrikaten Stimmkreuzungen kann man gespannt zuhören, da die mittlere Größe des Chores zu klanglicher Durchsichtigkeit führt und erlaubt, sich auf die Klangkombinationen dieser selten gehörten Musik einzulassen. So wird die Gedenkstunde für den "Vater der Landsknechte" zur Schule des Hörens.

Dass der vom Rittertum begeisterte Maximilian sich auch für die kulturellen Fortschritte seiner Zeit interessierte, zeigt sich etwa am Austausch mit dem Humanisten Konrad Celtis, dessen Aktivitäten zur Wiederbelebung der Antike er tatkräftig unterstützte. In diesem Kontext sind auch die metrischen Vertonungen lateinischer Texte zu sehen, die sein Hoforganist Paul Hofhaimer anfertigte. In beschwingtem Tempo, simpler Homophonie und einfach nachvollziehbaren Melodien entfaltet sich ein munteres Parlando etwa über den freigebigen König Maecenas oder das Schiff des Aeneas. In diesem lateinischen carmen, das von der Kühnheit menschlicher Unternehmungen spricht, kommt Seidlers Wille zur Textausdeutung besonders zum Tragen: Mit Nachdruck lässt er seine Sängerinnen und Sänger das wiederholte "audax" (kühn) intonieren. Das klingt direkt frech.

Wohl mit Blick auf den nahenden Frühling folgen drei Lieder Senfls, die auf humorvolle Weise Spielarten der Liebe in Musik übersetzen: Das sehnsuchtsvolle "Ach Elslein", ein Schlager des frühen 16. Jahrhunderts, den Senfl auf kontrapunktisch interessante Weise mit "Es taget vor dem Walde" verwoben hat. Das Ensemble lässt auch hier bei klanglicher Ausgewogenheit zu, die einzelnen Liedverläufe nachzuverfolgen, wie in dem Brautwerbelied "Mag ich, Herzlieb, erwerben dich", dessen schöne Melodien auch heute noch überzeugen. Wenig Spielraum für romantische Mehrdeutigkeit lässt hingegen eine Zeile aus Senfls derbem "Im Maien" wie "Ich kumm', ich kumm', ich kumm'". Wer hier an nichts Ungehöriges denkt, denkt falsch.

Ein Angebot zur Seelenhygiene macht dann Thomas Stoltzers Vertonung von Psalm 86. Die Vertonung der Worte "Herr, neige deine Ohren und erhöre mich; denn ich bin elend und arm" ruft das demütige Ende des kriegslustigen, heldenverehrenden, bisweilen liebestollen Kaisers in Erinnerung - mit innigen, runden Klängen, die das Publikum zu rühren vermögen, wie auch das als Zugabe gebrachte "Innsbruck, ich muss dich lassen". Man verlässt die Kirche um einige musikalische Erfahrungen reicher und in der Hoffnung, nicht bis zum nächsten Jubiläum warten zu müssen, um die Stücke aus dem Umfeld Max I. hören zu können.

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