42-Jähriger gibt sich im Chat als Zwölfjähriger aus:Tatort Internet

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Amtsgericht Wolfratshausen verurteilt Mann wegen sexuellen Missbrauchs an Kindern zu zwei Jahren auf Bewährung

Kathleen Hildebrand

Als die Polizei im März 2012 mit einem Durchsuchungsbefehl vor seiner Tür stand, fühlte sich Michael K. (Name von der Redaktion geändert), als sei er aus einem Albtraum erwacht. Doch dieser Albtraum war sein Leben und seine Taten waren für insgesamt 14 junge Menschen längst bittere Realität, die vermutlich noch lange nachwirken wird.

Der 42-Jährige musste sich am Dienstag wegen sexuellen Missbrauchs und wegen des Erwerbs von kinder- und jugendpornografischen Schriften vor dem Amtsgericht Wolfratshausen verantworten. Er wurde zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung mit einigen Auflagen verurteilt.

Sein Tatort war das Internet. Die Chat-Plattform, die er nutzte, wirbt heute auf ihrer Startseite mit dem Bild einer jungen Frau in gelbem Top, attraktiv und rothaarig. Lächelnd legt sie den Finger auf ihre Lippen. Was hier passiert, ist geheim, scheint sie zu sagen. Zwischen 2007 und 2012 chattete Michael K. dort regelmäßig mit elf Kindern im Alter von neun bis 13 Jahren und mit drei Jugendlichen im Alter zwischen 14 und 18. In seinem Chat-Profil gab er sich als zwölfjähriger Junge aus, gelegentlich auch als Mädchen.

Im Lauf der virtuellen Unterhaltungen forderte er die Kinder und Jugendlichen irgendwann auf, sich vor ihrer eingeschalteten Webcam auszuziehen, Genitalien und Brust zu entblößen und sich sexuell zu berühren. Zuvor hatte er ihnen angebliche eigene Nacktaufnahmen geschickt. Diese hatte er von anderen jungen Chat-Partnern oder aus dem Internet.

Mit seiner Digitalkamera fotografierte Michael K. die Kinder vom Bildschirm ab, filmte ihre sexuellen Handlungen. Die Bilder habe er "wie Pornografie" benutzt, sagte er am Dienstag - was das heißt, fragte niemand. Seine Psychotherapeuten konnten bei Michael K. jedenfalls keine pädophile Neigung feststellen.

Die 15-jährige Baden-Württembergerin, die ihn schließlich anzeigte, hatte ihn nach längerem Kontakt im Chat gesperrt. Daraufhin schrieb Michael K. eine ihrer Mitschülerinnen an und schickte ihr Nacktfotos des Mädchens. Jedoch nicht, um sie bloßzustellen, sagte K., sondern um zu beweisen, dass er sie kenne. Nichtsdestoweniger kursierten die Bilder bald in ihrer gesamten Jahrgangsstufe.

Während K. ruhig und gefasst von seinen Taten sprach und sie restlos zugab, musste er sich an anderer Stelle immer wieder unterbrechen. Er weinte und schluchzte, als er seine von einer schweren Krankheit durchzogene Lebensgeschichte erzählte. Neben seiner Arbeit als Schleifer habe K. keinerlei soziale Kontakte gehabt, sagte sein Anwalt Jost Hartmann-Hiller, der oft für seinen Mandanten sprechen musste. Im Tatzeitraum habe sich das Freizeit-Leben seines Mandanten auf seine Chat-Aktivitäten beschränkt. Ein Kriminalbeamter beschrieb die Wohnung von Michael K. als "am Rande der Vermüllung". Seit seiner Entdeckung ist K. in psychiatrischer Behandlung, die er laut Urteil fortsetzen muss. "Ich hätte vor Jahren schon Hilfe suchen müssen. Dann wäre es nie so weit gekommen", sagte er in seinem Schlusswort.

"Dieses Verfahren öffnet die Augen und macht schlaflose Nächte", sagte Richterin Barbara Treeger-Huber am Schluss: "Man kann Kinder nicht alleine in Chatrooms lassen, weil es Menschen gibt, wie Sie einer sind."

© SZ vom 20.03.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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