Süddeutsche Zeitung

30 Jahre "Hinterhalt":"Die Kunst gerät in die Defensive"

Assunta Tammelleo sieht sich mit ihrer Kulturbühne in Gelting nicht nur den coronabedingten Einschränkungen ausgesetzt. Das Gebäude an der Leitenstraße ist zudem ein Dauerproblem.

Von Wolfgang Schäl

Die Räumlichkeiten der Kulturbühne "Hinterhalt" an der Geltinger Leitenstraße sind zweigeteilt. Links führt eine Tür ins heimelige Kellerlokal, in dem Lesungen und Konzerte stattfinden, rechts vom Eingang herrscht reines Baustellenchaos. Hier stapeln sich allerlei Gerätschaften, herausgerissene Kloschüsseln, die Fließen in der ehemaligen Damentoilette sind heruntergeschlagen und geben den Blick frei auf offenliegende Wasserleitungen. Hinter alledem liegt das Büro der Chefin Assunta Tammelleo, die umgeben von wild herumliegenden Papieren, Programmheften und Ordnern darüber nachdenkt, ob und wie sich in all dem Durcheinander weiterhin Kultur am Leben erhalten lässt - trotz anhaltender Gebäudeschäden, trotz Pandemie und der damit einhergehenden finanziellen Probleme.

SZ: Frau Tammelleo, ein großer Teil des Hinterhalt-Kellers ist von eindringender Nässe betroffen. Ist ein Ende der Sanierungsarbeiten in Sicht?

Punk, Jazz und eine Weltpremiere

Zum 30. Jubiläum hat die Kulturbühne "Hinterhalt" ein großes Programm aufgelegt, das mit prominenten Besuchern begonnen hatte - Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau und Kabarettist Christian Springer waren da. Die Jubiläumsreihe wird fortgesetzt mit The O'Reillys and the Paddy Hats (Freitag, 23. Juli, 20 Uhr, Live-Stream). Sean und Dwight O'Reilly mischen Rock- und Punk in ihre irische Musik, daraus haben sie, so heißt es, einen einzigartigen Sound entwickelt, der sie auf Bühnen in ganz Europa brachte. Sie spielten auch sieben Mal auf dem Wacken-Open-Air. "Hinterhalt"-Techniker Thorsten Thane konnte kaum glauben, dass diese Band aufgrund seiner Einladung erstmals nach Gelting kommt.

Peter Wegele und die Jazz All Stars geben ein Konzert am Samstag, 24. Juli, Beginn 20 Uhr. An diesem Abend präsentiert sich die Unglaubliche Jazzband der Musikschule Geretsried, die seit mehr als zehn Jahren unter Wegeles Leitung zusammen spielt. Die Band ist bereits zweimal in der Geretsrieder Partnerstadt Chamalières aufgetreten und hat mit den französischen Kollegen mehrere Projekte realisiert, darunter das viel beachtete Video "Hip Hoppa".

Krönung des Programms ist schließlich eine Weltpremiere: Der intellektuelle Kabarettist Max Uthoff und der poetische Liedermacher Konstantin Wecker treten erstmals gemeinsam auf (Dienstag, 27.Juli, 20 Uhr ). Wider den Gehorsam" heißt die musikalisch umrahmte Lesung. Zu diesem besonderen Abend lädt die Schulgründungsinitiative Demokratische Schule München in Kooperation mit dem Kulturverein Isar Loisach (KIL) ein. Mehr unter www.hinterhalt.de/events/

Assunta Tammelleo: Eher nicht. Probleme mit Wasserschäden in der gesamten Bausubstanz gibt es seit 30 Jahren; seitdem ich vor 13 Jahren hier angefangen habe, hatte ich damit zu tun. Ebenso schon der frühere Wirt Hias Röttig. Die Ursachen dafür sind multipel und noch immer unerklärbar. Bei allen früheren Versicherungen, die solche Schäden übernehmen könnten, ist die Eigentümergemeinschaft irgendwann wegen Schadenshäufung rausgeflogen.

Gibt es keine wirklich guten Spezialisten für solche Aufgaben?

Wir haben alles unternommen, Leck-Ortungen, Kamerabefahrungen, Maßnahmen, die die Eigentümergemeinschaft Leitenstraße 40 allesamt einen Haufen Geld kosten. Wir haben in der Caterer-Küche und in der Künstlergarderobe alles an sanitären Anlagen rausgerissen, aber das Wasser sitzt fest in den Bodenplatten. Wahrscheinlich ist die Ursache bauartbedingt, es gibt Hinweise, dass auch Abwasserprobleme die Ursache sind. An zu hohem Grundwasser liegt es jedenfalls nicht, auch nicht an der nahen Isar und der Loisach. Wir haben schon so viel teilsaniert, aber einen geordneten Veranstaltungsbetrieb können wir trotzdem, allein schon wegen der fehlenden Toiletten, nach wie vor nicht anbieten. So fehlen uns die Einnahmen durch Tickets.

Wäre eine Totalsanierung sinnvoll oder nötig?

Das hängt wie ein Damoklesschwert über uns, zumal in den vergangenen Jahren ja so viel reingerichtet worden ist. Und wo sollten wir denn auch hin, wenn das Gebäude wegen einer Totalentkernung monatelang nicht zu betreten ist? Eine Firma, die Räume oberhalb hat, hilft uns sehr und erlaubt, dass wir und unsere paar Gäste ihre Toilette mitbenutzen. Aber das geht nicht monatelang. Und Säle für unsere Veranstaltungen können wir nicht bezahlen, es fehlt ohnehin an passenden Örtlichkeiten. Eine Entkernung des Gebäudes, das wäre für uns der Super-Gau.

Gibt es Augenblicke, in denen Sie alles hinwerfen möchten?

Über das alles kommt man selbst als kreativer Mensch zumindest ins Grübeln. Denn so gerät die Kunst ja in die Defensive. Jetzt überbrücken wir die Probleme mit unseren Livestream-Veranstaltungen, bei denen nur wenige Leute anwesend sind. Anders geht's nicht. Aber unser Finanzierungskonzept ist halt so, dass wir nicht nur die Eintrittsgelder im Hinterhalt selbst brauchen, sondern auch die Räume auf der rechten Kellerseite, die wir eigentlich für Partys, Gastronomie und Familienfeiern vermieten wollen. Das ist die Geschäftsidee. Diese Gelder fallen aber weg. Sarkastisch formuliert würde ich sagen: Vermieten wir den Keller doch am besten als Schwimmbad.

Das alles hört sich nicht gut an, was die finanzielle Lage des Hinterhalts betrifft, der heuer 30 Jahre besteht. Dabei war bis jetzt noch nicht mal von der Pandemie die Rede ...

Wie schon gesagt, ich sehe das Problem, dass nach Corona die Kunst insgesamt ins Hintertreffen gerät. Zur Zeit läuft auch bei uns ja alles nur online. Ich habe die Befürchtung, dass unter diesen Umständen das unmittelbare Live-Kulturereignis irgendwann gar nicht mehr vermisst wird, weil ganz einfach die Gewöhnung daran fehlt. Der Kabarettist Georg Ringsgwandl hat sehr zutreffend bemerkt: Die wesentlichen Dinge passieren noch immer analog, nicht digital. Und viele können sich den Eintritt in Veranstaltungen gar nicht mehr leisten. Wer mit seiner ganzen Familie mal was anschauen will, ist schnell mit 40 Euro pro Person dabei. Das ist ungerecht, wenn man sieht, wie ein elitärer Kunstbetrieb wie beispielsweise in Bayreuth mit riesigen Beträgen subventioniert wird, obwohl diejenigen, die in die Oper gehen, sich das meistens selbst leisten könnten. Und es ist schlimm, weil eine breiter angelegte Kultur so wichtig ist, um viele Menschen zusammenzubringen.

Regional findet ja dennoch immer noch vieles statt, wie gerade das Wolfratshauser Flussfestival. Wie wirkt sich die Konkurrenz aus?

Ich denke kaufmännisch, und bin der Meinung: Konkurrenz belebt das Geschäft. Je mehr los ist, desto lebendiger wird das Leben. Kultur ist immer Bereicherung. Und das ist wichtig, um die Menschen zur Kultur zurückzubringen. Also die Konkurrenz schadet uns sicher nicht. Und von vielen Künstlern und ehrenamtlichen Mitarbeitern erleben wir ja sehr viel Solidarität. So gesehen sind wir trotz allem immer noch Glückspilze. Insgesamt bleibe ich gemäßigt optimistisch, wenn auch sehr deutlich moderater als früher.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5357179
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 21.07.2021/aip
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.