Der Performance-Künstler Wolfgang FlatzMit dem „Blumenduett“ zurück ins Leben

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Der Aktionskünstler Wolfgang Flatz im Sommer 2022 in seinem damaligen Skulpturendachgarten in der Kistlerhofstraße 70 in Sendling.
Der Aktionskünstler Wolfgang Flatz im Sommer 2022 in seinem damaligen Skulpturendachgarten in der Kistlerhofstraße 70 in Sendling. (Foto: Stephan Rumpf)

Das „Blumenduett“ aus der Oper Lakmé von Léo Delibes hat der Künstler Wolfgang Flatz früh in seinen Performances benutzt. Nach einem schweren Unfall gewann es eine andere emotionale Tiefe für ihn.

Von Evelyn Vogel

„Mehr als 30 Knochenbrüche, neun oder zehn OPs, sieben Monate Krankenhaus, Fixiergestelle, Rollstuhl, Krücken, Reha – da bleibt viel Zeit, nachzudenken“, sagt Wolfgang Flatz rückblickend. Im Mai 2012 wurde der Künstler, der sich nur FLATZ nennt, als Fußgänger in München von einem Auto erfasst und schwerst verletzt. „Ich habe wohl nur überlebt, weil an der Ampel zufällig ein Rettungswagen stand“, ist er überzeugt. Keiner wusste anfangs, ob Flatz, der wegen seines radikalen künstlerischen Umgangs mit dem eigenen Körper auch gern als „Schmerzensmann“ bezeichnet wird, überleben würde. Und wenn ja, wie.

Nachdem er seine sieben Sinne wieder halbwegs beisammen hatte, blieb viel Zeit, um nachzudenken und um Musik zu hören. Bestimmt auch die eigene, die Elektro-, Punk- und Technoeinflüsse hat. Denn der seit Jahrzehnten in München lebende Österreicher ist nicht nur Performer, er ist auch Installationskünstler, Filmemacher – und Musiker. In seine Performances arbeitet er mit Klängen, Geräuschen, Stille. „Musik hat mich mein Leben lang begleitet“, sagt Flatz, der seinen musikalischen Begriff im Sinne des US-Minimalisten John Cage definiert: „Jeder Ton kann Musik sein.“ 1994 wurde er dafür sogar zu den Donaueschinger Musiktagen eingeladen.

Was also hat er in jenen Monaten besonders oft gehört? Was hat ihm Zuversicht gegeben? Da muss er nicht lange überlegen: „Das Blumenduett aus Lakmé. Es ist eines der schönsten Duette aus einer Oper überhaupt“, schwärmt er, „gemütsaufhellend, obwohl die Geschichte hinter der Oper ja eine Tragödie ist“.

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Der scheinbar beinharte Kerl mit den dicken Ringen und den vielen Tatoos auf der Haut, die er als Kunstaktion auch schonmal zu Markte trägt, und ein liebliches Duett? „Lakmé“ von Léo Delibes erzählt von zwei Menschen aus zwei Kulturkreisen (Indien zur Kolonialzeit), die sich verlieben, aber an den gesellschaftlichen Zwängen scheitern. „Das ist für mich so ein bisschen wie ,Romeo und Julia‘, sagt Flatz. Während die Oper selbst hierzulande wenig gespielt wird, hat es das Duett zwischen Lakmé, der Tochter eines Brahmanenpriesters, und ihrer Dienerin Mallika als Soundtrack in zahlreiche Filme und bis in die Werbung geschafft.

Richtig kennengelernt habe er das „Blumenduett“ durch eine Sopranistin, mit der er oft zusammenarbeite, erzählt Flatz. Erstmals verwendet hat er es 1992 in seiner Performance „Demontage XIV“. Da war er bei der Documenta IX in Kassel eingeladen. Im 3. UG der Tiefgarage beim Fricericianum sangen zwei, von einem Symphonieorchester begleitete Sopranistinnen das Lied, während nach und nach mehr als 60 vor ihnen geparkte Harley Davidson (Flatz ist Motorradfan) gestartet wurden und sich ihren Weg durchs Publikum bahnten. „Das war ein besonderes akustisches, visuelles und olfaktorisches Erlebnis“, erzählt er. Und kann sich ein Lachen nicht verkneifen. „Da war die Hölle los.“

Radikale Dekonstruktion der Erwartungshaltung  – das ist Flatz’ Arbeitsprinzip. In seinen Performances gibt er körperlich alles: etwa Silvester 1991/92 im georgischen Tiflis, als er sich kopfüber nackt aufgehängt wie ein Glockenschwengel zwischen zwei Stahlplatten hin- und herschlagen ließ. Auch schon 1979, als er sich nackt als lebende Dartscheibe präsentierte und jedem, der traf, 500 Mark versprach.

Der Vorarlberger, den sie wegen seiner Aktionskunst in den 1970er-Jahren mal ins örtliche Gefängnis und ein andermal in eine Nervenheilanstalt steckten, „emigrierte“ nach München – und wurde international bekannt. Kürzlich hat ihn die Pinakothek der Moderne ausgestellt, im OK Linz ist derzeit eine große Restrospektive zu sehen (bis 5. Oktober). Seine Heimatstadt Dornbirn hat ihm 2009 ein eigenes Museum gewidmet, sein Geburtsland kürzlich das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verlieh. Flatz’ trockener Kommentar dazu: „Erst wollten sie mich ans Kreuz schlagen, jetzt haben sie mir ein Kreuz verliehen.“

Lange wohnte und arbeitete Flatz auf der Praterinsel in München, bis ihn der neue Besitzer hinausklagte. Was sich natürlich sofort in einem Kunstprojekt „So nicht, Herr Brunner“ niederschlug. Vergangenes Jahr musste er, ebenfalls nach einem Besitzerwechsel, auch sein Atelier und den großen Kunst-Dachgarten „Heaven 7“ in der Kistlerhofstraße aufgeben, dem ihm sein Mäzen Hirmer lange kostenfrei zur Verfügung gestellt hatte.

Inzwischen hat der Künstler, der nach dem Motto lebt „Mut tut gut“, ein neues Domizil gefunden, wo er nicht nur selbst arbeitet, sondern auch ein Kunstzentrum aufbauen will. Demnächst wird Flatz, der seinen Körper immer noch performativ einsetzt, 73. Körperbetont und begeisterungsfähig ist er wie eh und je. Das „Blumenduett“ begleitet ihn weiterhin.

In der SZ-Serie „Ein Stück Hoffnung“ empfehlen Künstler aus München und Bayern Werke, die sie optimistisch stimmen.

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