Luzern ist eine schöne Stadt. Knuffige Altstadt, schicke Seepromenade, und die Berge sieht man auch. Erst recht, wenn man auf einem 40 Meter hohen Kran steht. Der Wind zerrt da zwar ein wenig am Helm, der Klettergurt ist auch nur mittelbequem, aber die Aussicht wie gesagt: von berückender Schönheit. Unschön wird es erst, wenn einem jemand ein Seil in die Hand drückt und meint, das müsse man jetzt nur noch vorne einhängen. Vorne, das heißt am Ende des 45 Meter langen Auslegers. Da, wo der Kran aufhört und das luftige, bodenlose Nichts anfängt. Das ist der Moment, an dem man wissen muss, wann es genug ist. Peter Schiefer wusste: "Das tue ich mir nicht an. Das überlasse ich dem Profi."
Man muss schließlich nicht alles können, auch als Chef nicht. Und Schiefer kann eine ganze Menge, sonst hätte es in Luzern nie einen roten Kran gegeben. Beim neuen World-Trade-Center-Komplex in New York auch nicht, an der Moschee in Mekka ebenso wenig wie am SZ-Hochhaus in Steinhausen oder bei der Skigondel in Ischgl, und am bald tausend Meter hohen Jeddah Tower erst recht nicht. Aber der Reihe nach.
Peter Schiefer ist Besitzer und Geschäftsführer von Wolffkran, dem ältesten Kranhersteller der Welt, gegründet 1854 in Heilbronn, noch als Eisengießerei. 1913 stellte Wolff auf der Leipziger Messe den ersten fahrbaren Turmdrehkran mit Wippausleger vor. Heute gehört das Unternehmen zu den Weltmarktführen in Sachen Herstellung und Vermietung von Kranen. Eigentlich will man Kräne sagen, was wohl genauso korrekt ist wie Krane, meint Schiefer: "Aber die Architekten sagen Krane."
Mehr als 700 hat Schiefer im Angebot, zum Mieten oder Kaufen, je nach Bedarf. Da ein Kran im Schnitt aus 160 bis 200 Tonnen Stahl besteht, kann man behaupten, dass Schiefers Firma an die 140 000 Tonnen schwer ist. Um mal nachvollziehen zu können, wie man so ein Ungetüm in die Vertikale bekommt, holte Schiefer Geschäftsleitung und Management zusammen und meinte: "Wir bauen jetzt mal selbst einen Kran auf! Ihr sollt erleben, wie das den Mitarbeitern ergeht, mit welchen Problemen die zu kämpfen haben."
Ein, zwei Experten, die wirklich wissen, wie es geht, nahm er dazu, alles lief prima - bis am Ende einer der Experten meinte, er, der Chef, könne dann jetzt vorne das Hubseil einfädeln. Schiefer meinte nur: "Ihr seid ja wahnsinnig! Da geh' ich nicht raus!" Dennoch war der Ausflug über die Dächer von Luzern ein Erfolg, denn: "Jetzt wissen alle, wie es geht."
Der Elektroingenieur kam durch Zufall zu seinem Unternehmen
Mit Peter Schiefer einen Termin zu vereinbaren, ist schwierig. Der Mann aus Grünwald ist ständig unterwegs: zur Zentrale in die Schweiz, zu den Fertigungswerken in Heilbronn und Luckau (Brandenburg), zu den Standorten in USA, Kanada, Dubai, Belgien, Hongkong oder Saudi-Arabien, zu den Brexit-Sorgenkindern nach Sheffield oder zum neuen Markt Frankreich. Irgendwann erwischt man ihn doch - in der Jochen-Schweizer-Arena in Taufkirchen, im Anschluss an eine Pressekonferenz zum ATP-Challenger-Turnier in Ismaning: den Wolffkran-Open.
Ein Kranbauer als Tennis-Sponsor? "Hätte ich auch nicht gedacht, dass ich so was mal mache", sagt Schiefer und grinst. Der Bayerische Tennisverband suchte einen Geldgeber für das Nachwuchsturnier und wusste über Schiefers talentierten Sohn von dessen Begeisterung für Tennis. Mit 15 war er zum MTTC Iphitos gekommen, heute könnte er trotz seines jugendlichen Aussehens bei den Herren 50 spielen, doch dazu fehlt die Zeit. Das Geschäft mit den Kranen brummt.
Dass es den smarten Rheinländer in die Welt der Laufkatz- und Wippkrane verschlagen würde, war nicht absehbar. Elektrotechnikstudium, Promotion mit 25, mit 33 als Siemens-Manager im Silicon Valley, in München und Erlangen für 1200 Mitarbeiter und 1,2 Milliarden Mark Umsatz verantwortlich. Danach Investmentbanker bei Goldman Sachs, Private Equity, was 2005 zum Kauf von Wolffkran geführt hat. "Ich habe das Produkt von Anfang an gemocht, konnte mich auch in die Technik reindenken", erzählt Schiefer.
MAN wollte die vernachlässigte Firma Wolffkran an einen guten Käufer abgeben, einen, der es nicht wie die Heuschrecken kauft und zerlegt, sondern langfristig weiterführt. Schiefer sagt: "Man hätte die Firma zerlegen können, aber ich habe dem Vorstand versprochen: ,Ich kaufe das Unternehmen, behalte es und entwickle es weiter, statt auszuschlachten und weiterzuschieben.'" Harzige Verhandlungsrunden waren das, fast ein Dreivierteljahr lang. "So ein Private-Equity-Deal stirbt mindestens einmal."
Seitdem fuhr das Unternehmen Wachstumsraten von zeitweise 30 oder 40 Prozent pro Jahr ein. Aus 30 Millionen Euro Umsatz sind 200 Millionen geworden, die Zahl der Mitarbeiter stieg von 190 auf 850. Schiefers Maxime: Internationalität und Innovation, raus in die Märkte! Jedes Jahr sollte mindestens ein neuer Markt dazukommen. Dazu das Miet-Business: "Früher war Vermietung eher ein Unfall: Was nicht verkauft wurde, endete in der Mietflotte."
Heute investiert er allein in diesen Geschäftsbereich bis zu 60 Millionen Euro pro Jahr. Das Prinzip: 30 000 Einzelteile, die je nach Anforderung der Baustelle zusammengebaut werden - eine Art angepasstes Lego-System mit regionalen Lagerplätze in Europa, USA und Dubai. Die Kosten: Normal große Krane wie die am Bogenhausener Tor kosten rund 400 000 Euro, der Kran am Three World Trade Center vor ein paar Jahren kostete knapp drei Millionen Dollar.
"Die hatten große Probleme: sehr alte Krane", erzählt Schiefer, "es gab Unfälle. Einer fiel sogar um." Die komplette Baustelle stand still - wegen der Krane. "Die Bauverwaltung von Manhattan lud die vier, fünf großen Hersteller zum ,Beauty Contest' ein. Stundenlang haben die uns mit 20 Leuten gegrillt, wir versprachen, unser US-Headquarter nach New York zu legen - und schließlich hatten wir den Job."
Verhandeln macht ihm Spaß, auch im Orient fühlt er sich wohl: "Mekka, Medina, Jeddah: Ich fahre da gern hin. Eine interessante Mentalität. Man muss sich immer auf viele Verhandlungen einstellen." Einmal hat er dort über Weihnachten einen sehr großen Auftrag geangelt - weil er und sein Team vor Ort waren und verhandelt haben, während die Konkurrenz unterm Christbaum saß.
Das höchste Gebäude der Welt wird mit Wolffkranen gebaut
Ach ja, die Konkurrenz: Fragt man den Herrn der Krane, warum die Dinger immer gelb sind, verfinstert sich seine Miene ein wenig: "Da muss ich wohl noch dran arbeiten." Seit Jahr und Tag sind Wolffkran-Krane rot und nicht gelb wie die eines schwäbischen Mitbewerbers. "Viele Baufirmen haben als Hausfarbe gelb und wollen auch die Krane in dieser Farbe lackiert haben", erklärt Schiefer, "wir lackieren unsere roten Krane in jeder Farbe, die der Kunde haben will. In Greenwich wurden Krane mal von Künstlern gestaltet, in allen möglichen Farben."
Am höchsten Gebäude der Welt leuchtet es dagegen Wolffkran-Rot: Der 1,2 Milliarden Dollar teure Jeddah Tower an der Westküste Saudi-Arabiens soll im kommenden Jahr fertig sein - 1007 Meter hoch. Wie - bitte schön - kommt denn da der Kran rauf? "Ganz einfach", sagt Schiefer, "der klettert von außen am Gebäude mit, stützt sich sozusagen auf dem Gebäude ab." Die Kunst sei es vielmehr, in 700, 800 Metern Höhe den Kran wieder abzubauen: Für eine Helikopter-Montage sind die Einzelgewichte zu groß, so dass alles mit kleineren Hilfskranen demontiert und Stück für Stück herunter gebaut werden muss - ein Himmel-Ballett, bei dem es sicher nicht schadet, schon mal selbst einen Kran aufgebaut zu haben, und sei es nur einen 40 Meter hohen in Luzern.
In der Event-Arena in Taufkirchen muss Peter Schiefer nun noch zum Fototermin mit den Tennis-Bossen. Beim Rüberschlendern sieht er die Indoor-Wellenreiter auf der stehenden Surf-Welle und sagt: "Das würde ich auch gern können." Sieht jedenfalls entspannter aus als die Nummer mit dem Hubseil.