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Kritik: Nur, wer sich ändert, bleibt sich treu - Wolf Biermann im Hubert-Burda-Saal des jüdischen Gemeindezentrums München.

Nur, wer sich ändert, bleibt sich treu - Wolf Biermann im Hubert-Burda-Saal des jüdischen Gemeindezentrums München.

(Foto: Stephan Rumpf)

Wolf Biermann hält im jüdischen Gemeindezentrum Zwiesprache mit Heinrich Heine.

Von Dirk Wagner, München

Das Wort "Liedermacher" habe er erfunden, sagt Wolf Biermann im vollen Hubert-Burda-Saal des jüdischen Gemeindezentrums am St.-Jakobsplatz. Das ärgere ihn mittlerweile, weil jeder, der nicht Gitarre spielen könne und schlecht singe, sich seitdem Liedermacher nennt. Dabei beweist sein ausgefeiltes Gitarrenspiel, dass die von ihm gemachten Lieder mehr sind als "drei Akkorde und die Wahrheit". Mehr bräuchte ein Protestsänger nämlich nicht, hatte einmal Woody Guthrie behauptet. Entsprechend greift es zu kurz, Biermann als Protestsänger zu bezeichnen, auch wenn er ein protestierender Sänger ist. Doch sein Protest nutzt musikalische Raffinessen, eine kluge Dichtkunst und ein literarisches Bewusstsein, das es Biermann auch ermöglicht, im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Zwiesprachen zwischen gestern und heute" des Kulturzentrums der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern und der Münchner Volkshochschule am eigenen Werk das des Dichters Heinrich Heine spannend zu erläutern.

Nur einen kurzen Spaziergang vom jüdischen Gemeindezentrum entfernt hatte Heine von November 1827 bis Juli 1828 unter anderem im jetzigen Radspielerhaus in der Hackenstraße 7 gewohnt. "Können Sie sich vorstellen, was aus Heine geworden wäre, wenn er Professor in München geworden wäre?", fragt Biermann und bedankt sich beim bayerischen König Ludwig I., der damals Heines Einstellung abgelehnt habe. Immerhin habe das der Nachwelt den Dichter bewahrt, dessen Werk mitunter auch die Gegenwart kommentiert.

Was Biermanns Zwiesprache mit Heine besonders amüsant macht, ist die Chuzpe des 1976 wegen seiner unbequemen Haltung von der DDR ausgebürgerten Liedermachers, das Vorbild Heine eben nicht nur zu vergöttern, sondern auch zu kritisieren. Wer so pathetisch einen Kampf beschreibt wie Heine in "Hymnus", sei eben nicht dabei gewesen, sagt Biermann zum Beispiel, der dann aber auch die eigene Person kritisch betrachtet. In seinen Texten sei er schon weiter gewesen als in seinem Kopf, habe ihm ein Freund einmal gesagt, als Biermann noch den Kommunismus trotz seiner Erfahrungen in und durch die DDR zu verteidigen versuchte. Immerhin hatte auch sein jüdischer Vater für den Kommunismus gekämpft, bevor er 1943 im KZ Auschwitz ermordet wurde. Doch nur, wer sich ändert, bleibt sich treu, zitiert Biermann, und verlangt solche Änderung aktuell zur Unterstützung der Ukraine von den Pazifisten: "Ein Friedenstauber, wer das heut noch ist, wie falsch tut der jetzt seine Friedenspflicht!"

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