Wohnungssuche in München:"Es ist zum Verzweifeln"

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Schon bei mehr als 200 Wohnungsannocen in München hat sich der Suchttherapieverein Prop gemeldet - bislang ohne Erfolg. (Foto: dpa-tmn)

München - Weltstadt mit Herz? Ein Hilfsverein verzweifelt daran, in der bayerischen Landeshauptstadt Wohnungen für ihre WGs mit trockenen Alkoholikern zu finden. Selbst Makler schwanken in ihren Ablehnungen zwischen Unverschämtheit und Unverfrorenheit. Doch wer kann helfen?

Von Beate Wild

Willi Weber hat mit seinem alten Leben gebrochen. Er hat seinen Job gekündigt, ist in eine andere Stadt gezogen und hat den Kontakt zu seinen alten Freunden gekappt. Ein radikaler Schnitt. Doch er war notwendig, um ein neues Leben anzufangen. Ein Leben ohne Alkohol.

Sieben Monate später sitzt Weber, der eigentlich anders heißt, in Arbeitsklamotten am Küchentisch in seinem neuen Zuhause. Er wohnt jetzt in einer betreuten Wohngemeinschaft von Prop, einem Verein für Prävention, Jugendhilfe und Suchttherapie. Weber hat Glück gehabt - im Gegensatz zu vielen anderen Suchtkranken in München.

Denn andere Ex-Alkoholiker finden keinen Platz mehr in einer Wohngemeinschaft. Seit neun Monaten sucht Prop nach einer weiteren Vier-Zimmer-Wohnung, um darin Menschen nach der Entziehungskur für ein Jahr unterzubringen. Mehr als 200 Wohnungsangebote haben die Therapeuten geprüft, doch sie bekommen immer nur Absagen. "Es ist zum Verzweifeln", sagt Marlene Dietrich, Sozialtherapeutin bei Prop, "keiner will uns haben, die Vorurteile sind wohl zu groß."

"Was wir uns anhören müssen, ist unglaublich"

Da in München fast alle zu vermietenden Wohnungen über Immobilienmakler angeboten werden, stoßen die Therapeuten oft gar nicht vor bis zum Vermieter. Die Reaktionen der Makler auf die Anfrage von Prop reichen von nett-verdruckst bis hin zu unverschämt-beleidigend, berichtet Dietrich, die sich nun mit dem Problem an die SZ gewandt hat. "Was wir uns zum Teil anhören müssen, ist unglaublich", erzählt die Sozialpädagogin. Während ein Vermittler etwa entgegnete: "Das ist eine ruhige Wohngegend, da passt so eine WG nicht rein", wurden andere gleich deutlicher: "Spinnen Sie eigentlich!" und "Solche Problemfälle wollen wir nicht!" waren die Antworten der Münchner Makler.

Es ist geradezu paradox: In einer Stadt, die so gerne feiert, die stolz ist auf ihre Biergärten und in der das größte Bierfest der Welt jährlich Millionen Besucher aus aller Welt anlockt, sind Menschen, die sich von der Sucht lossagen, offenbar unerwünscht. Die Menschen hätten eben das Bild eines abgestürzten Penners im Kopf, wenn sie an Ex-Alkoholiker denken, glaubt Dietrich. Dass die therapeutischen WGs überhaupt keinen Alkohol im Haus haben und die Bewohner bei jedem Besuch der Betreuer zur Kontrolle in einen Alkomaten blasen müssen, interessiert weder Makler noch Vermieter.

"Oft bekommen wir auch zu hören, dass die Nachbarn keine Problemfälle im Haus haben wollen", sagt Dietrich. Dabei gehe es in jeder Studenten-WG sicherlich lauter zu als in den Prop-WGs. Bei einer Wohnung im Hasenbergl bekam sie zu hören, dass die WG mit Ex-Alkoholikern dem Bild des Stadtviertels schaden würde. Prop sucht nicht nur im Zentrum, sondern im gesamten S-Bahn-Gebiet nach Wohnungen, doch auch im Münchner Umland war die Suche bislang ergebnislos.

Und das, obwohl die Miete für die betreuten Wohngemeinschaften garantiert ist. Pro Person bezahlt der Staat 447,50 Euro an Mietzuschuss, das macht bei einer Vier-Zimmer-Wohnung 1790 Euro Miete - kalt, denn die Nebenkosten werden gesondert bezuschusst. Das ist viel Geld für eine Vier-Raum-Wohnung, selbst im teuren München. Hauptmieter wäre zudem Prop. Die Bewohner bekommen nur Untermietverträge, der Verein überweist die Miete und kümmert sich um alles. Am Geld kann die Ablehnung nicht liegen.

"Vorauseilendem Gehorsam"

"Mich überrascht das Problem überhaupt nicht", sagt Stephan Kippes, Professor für Immobilienmarketing an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und Geschäftsführer des IVD Instituts - Gesellschaft für Immobilienmarktforschung und Berufsbildung mbH beim IVD Süd, dem Immobilienverband der Makler und Immobilienverwalter in Süddeutschland. "München ist Mietbrennpunkt, da haben schon normale Leute Probleme bei der Wohnungssuche." Bei einem derart geringen Angebot könne sich der Vermieter nun mal aussuchen, an wen er vermiete. Dass die Makler aus "vorauseilendem Gehorsam" die Anfragen von Prop nicht einmal an die Wohnungseigentümer weitergeben, sei durchaus möglich. "Es ist nicht auszuschließen, dass sich die Makler nicht trauen, eine therapeutische WG dem Vermieter vorzuschlagen", sagt Kippes.

Die Mietsituation, wie sie sich derzeit in München gestaltet, bedeute, dass sozial Schwache eigentlich kaum noch Chancen hätten, eine Wohnung zu mieten. Zudem werde sich das Problem in den kommenden Jahren noch verschärfen, warnt Kippes. Bis 2030 werde die Bevölkerung in München geradezu explodieren. "Da kommt in etwa eine Stadt wie Augsburg dazu", sagt Kippes. Wenn diese Menschen alle eine Wohnung brauchen, werde es noch zu schwerwiegenden Problemen kommen.

Willi Weber wohnt nun seit drei Monaten in der therapeutischen WG von Prop. Er wusste, wenn er zurückgeht in seine Kleinstadt, wieder alleine in seinem Appartement wohnt, weitermacht in seinem Beruf als Lagerarbeiter, in dem er bereits 14 Jahre im Schichtdienst geschuftet hat, und wieder mit den alten Kumpels abhängt, dann wird er es nie schaffen. 20 Jahre lang hat er getrunken - mal mehr, mal weniger. Schon einmal hat er probiert, vom Alkohol wegzukommen. Ohne Erfolg. "Nach vier Wochen hatte ich einen Rückfall", sagt Weber. Die Kollegen hatten ihn mitgenommen zum Feiern.

In Deutschland sind 1,3 Millionen Menschen alkoholabhängig, allein in München gelten 20.000 Menschen als alkoholkrank. Nach einem Entzug schafft es nur etwa ein Drittel der Suchtkranken, trocken zu bleiben. Allein, ohne therapeutische Begleitung, ist es kaum zu bewältigen. "Wer in sein Umfeld zurückkehrt, fällt schnell wieder in das alte Verhaltensmuster", sagt Marlene Dietrich. Gerne würden Dietrich und ihre Kollegen noch weiteren Suchtkranken helfen, in einer betreuten Wohngemeinschaft langsam wieder auf die Beine zu kommen.

Doch München scheint diesen Menschen keine Chance geben zu wollen. "München - Weltstadt mit Herz". Der Slogan der Stadtwerbung war ab 1962 gültig. 2005 ist er abgelaufen. Jetzt heißt er "München mag Dich". Doch gültig scheint er nicht für alle zu sein.

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