Immobilienmisere:Aus Wohnungsnot ins Kloster

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Kloster Schlehdorf: Wohnen in historischem Ambiente. (Foto: Corinna Guthknecht)

Not macht erfinderisch: Weil die Grundstückspreise in München ins Unermessliche steigen, weichen Genossenschaften zunehmend ins Umland aus.

Von Anna Hoben, München

Ein bisschen gefährlich ist es schon, als Münchner an einem strahlenden Frühlingstag hinauszufahren zum Kloster Schlehdorf am Kochelsee. Könnte nämlich passieren, dass man nicht mehr zurückkommen und gleich den Umzug aufs Land planen will. Peter Schmidts Elektroauto surrt die Landstraße entlang, links stakst ein Storch über die Löwenzahnwiese, vorne leuchten die Berge. Schmidt, Vorstand der Münchner Wohnungsbaugenossenschaft Wogeno, setzt den Blinker und folgt der Straße, die eine kleine Anhöhe hinauf zum Klostergebäude führt.

Wogeno, das scheint plötzlich für "Wo geht noch was?" zu stehen. Wo also noch etwas geht, heute, da die Grundstückspreise in München ins Unermessliche steigen und für Genossenschaften nahezu unbezahlbar sind: bestenfalls im Umland. Natürlich baut die Wogeno auch weiter Wohnungen in München. Ungefähr 200 sind zurzeit im Entstehen, im Prinz-Eugen-Park und bei zwei Projekten in Riem. In Freiham hat die Genossenschaft den Zuschlag für ein Grundstück bekommen, auf dem 80 Wohnungen entstehen können. Doch zusätzlich schaut sie nun auch über den Münchner Stadtrand hinaus. Drei Projekte im Umland sind zurzeit in Planung, wobei Umland weit gefasst ist: in Wörthsee, in Bad Aibling und eben in Schlehdorf.

Seit Juni 2018 läuft der Probebetrieb: Peter Schmidt, Vorstand der Wogeno, in seinem Zimmer in dem ehemaligen Kloster. (Foto: Corinna Guthknecht)

Der dortigen Ordensgemeinschaft der Missions-Dominikanerinnen war das Kloster schlicht zu groß geworden. Also stand es irgendwann für 4,2 Millionen Euro zum Verkauf, 50 Interessenten gab es zwischenzeitlich, nach diversen Verhandlungen blieben die Schwestern mit der Wogeno in Kontakt. Deren Konzept eines sogenannten Co-Hauses gefiel ihnen: ein Haus zum Wohnen und Arbeiten, für kurze und lange Aufenthalte, ökologisch, sozial und gemeinschaftlich orientiert. So wie die Schwestern es ja auch waren und sind.

Man teile gemeinsame Werte, sagt Peter Schmidt. "Für ökologisches Wohnen, so heißt es bei uns in der Satzung; bei den Schwestern ist es eben die Bewahrung der Schöpfung." Seit Juni 2018 läuft das Co-Haus im Probebetrieb, die Ordensschwestern haben sich auf ihrem Grundstück ein neues, kleineres Haus gebaut. Voraussichtlich im Herbst wird sich entscheiden, ob die Wogeno das Kloster tatsächlich kaufen und das Projekt dauerhaft weiterführen wird.

Amelie Sperl, 56, und Richard Brockbank, 73, sitzen auf Stühlen im Flur, weil dort das Wlan besser ist, beide haben Laptops auf den Knien. Sie ist Psychologin, er arbeitet als Künstler mit Holz. Beide kennen das Kloster gut, Brockbank hat hier früher mit den Nonnen meditiert. Im vergangenen Sommer haben sie Arbeitsräume gemietet, im Februar dann ihre Wohnung ins Kloster verlegt. Sie sind in zwei sogenannte Atelierzimmer gezogen, eines ist Wohnzimmer mit Küche, eines Schlafzimmer mit Bad. Sperls Tochter sagte: "Das ist aber nur vorübergehend, oder?" Dann kam sie zu Besuch - und war begeistert. Genau wie Sperl und Brockbank. Nicht isoliert zu leben, aber die Intensität des Kontakts zu den anderen Bewohnern selbst bestimmen zu können, das sei ideal für sie, sagt Amelie Sperl.

Sie und ihr Partner haben es mit den beiden hohen und geräumigen Zimmern recht komfortabel; die meisten Zimmer, die man als Dauerbewohner oder Gast mieten kann, sind zwischen zwölf und 14 Quadratmeter groß und klösterlich schlicht eingerichtet. Um die 50 Menschen wohnen zurzeit im Kloster, 15 davon permanent. Lehrerinnen und Kommunikationsdesigner, Therapeuten, Erzieher, Buchhalter, eine Arbeitsrichterin.

Als Amelie Sperl und Richard Brockbank ins Kloster Schlehdorf zogen, fragte ihre Tochter: "Das ist aber nur vorübergehend, oder?" Inzwischen sind alle Zweifel gewichen, bei der Psychologin und dem Künstler ebenso wie bei der Tochter. (Foto: Corinna Guthknecht)

Auch Maximilian Güntner gehört dazu, ein 28 Jahre alter Softwareentwickler. Er sehe das Kloster, "auch wenn es augenscheinlich alt ist, in der Architektur als ziemlich zukunftsweisend". In Klöstern sei schließlich die Balance zwischen Privatsphäre und öffentlichem Raum über lange Zeit ausprobiert worden. "Für bestimmte Lebenssituationen ist das optimal", sagt Güntner. "Es ist quasi ein Studentenwohnheim für Erwachsene", eine große WG.

Er kann von überall aus arbeiten - warum sollte er also eine teure Wohnung in München mieten? Der Kontakt zwischen den Bewohnern ergebe sich schon durch die vielen geteilten Räume, und so ergäben sich wiederum neue Ideen und Projekte, zum Beispiel das Klosterkino, in dem sie gemeinsam Filme schauen. Für die Hausgemeinschaft gibt es eine App, mit der Informationen geteilt werden können - ein digitales schwarzes Brett.

Maximilian Güntner kann in seinem Beruf von überall aus arbeiten - warum nicht in einem Kloster? (Foto: Corinna Guthknecht)

In einem Raum soll eine Freizeit-Gym eingerichtet werden, mit Fitnessgeräten, Billardtisch, Tischtennis und Kicker. Es gibt einen großen Festsaal, es gibt Räume für Seminare, und es gibt noch viele weitere Pläne. Noch ist nicht ausgemacht, dass das Projekt ein dauerhaftes werden kann, aber ein Termin am Mittwoch im zuständigen Landratsamt in Bad Tölz sei "ein guter Schritt in Richtung Planungssicherheit" gewesen, so Schmidt. Es geht in den Gesprächen mit Behörden nun viel um Brand- und Denkmalschutz; aber auch um die Frage, ob wirklich für jeden Bewohner einer solchen Riesen-WG ein Auto-Stellplatz zur Verfügung gestellt werden muss.

Zuletzt hatte die Wogeno von sich reden gemacht, weil die Vielzahl der Beitritte sie zu überrollen drohte. Im Februar verhängte sie deshalb einen Aufnahmestopp für neue Mitglieder. Verhältnismäßig günstige Mieten und Sicherheit durch ein lebenslanges Wohnrecht - es ist kein Wunder, dass das Genossenschaftsmodell in München immer beliebter wird. 6000 Mitglieder hatte die Wogeno Ende 2018, davon wohnte jedoch nur jeder Fünfte auch in einer Wohnung der Genossenschaft.

Dieses Verhältnis soll nun wieder ausgeglichener werden - auch durch die Projekte außerhalb Münchens. Etwa 130 Wohneinheiten sind dort zurzeit insgesamt in Planung. Neben 40 im Kloster Schlehdorf könnten etwa 30 in Bad Aibling entstehen; außerdem 60 in Wörthsee, auch dort sind die Pläne schon recht konkret. Eine Gruppe Einheimischer hatte sich zusammengetan, um ein gemeinschaftlich orientiertes Wohnprojekt auf die Beine zu stellen, als Gegenmodell zum üblichen Einfamilienhaus. Sie entschieden, keine eigene Genossenschaft zu gründen, sondern das Projekt mit der Wogeno zu entwickeln.

Die Resonanz in der Mitgliederschaft auf die neue Umlandtätigkeit sei übrigens "überraschend positiv", sagt Schmidt. Manche fänden zwar schon, die Wogeno solle sich auf ihr Kerngebiet München konzentrieren. Der Großteil aber sage: "Wenn der Druck im Kessel so hoch ist, muss man eben auch nach draußen ziehen."

© SZ vom 26.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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