Süddeutsche Zeitung

Wohnungsnot in München:Bürger sollen Leerstand melden

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Von Thierry Backes

Ob Till Hofmann geahnt hat, wo das alles mal hinführt? Vor zwei Jahren steckte der Kleinkunstmanager und Aktivist der Satireorganisation Goldgrund Mehmet Scholl, Dieter Hildebrandt und die Sportfreunde Stiller in Gorillamasken, ließ sie eine städtische Wohnung an der Müllerstraße renovieren und stellte ein Video davon ins Netz. Er setzte damit ein Thema, das die SPD bei der Kommunalwahl in die Enge trieb. Zu lange hatte sich die Verwaltung nicht um ihre ungenutzten Immobilien gekümmert - und das in einer Stadt, die unter dem Druck steigender Mieten ächzt.

Die freie Journalistin Lisa Rüffer, Jahrgang 1981, erstellte wenig später die Facebook-Seite "Leerstandsmelder München", mit dem Ziel, vakante Wohnungen aufzuspüren. Daraus ist nun eine Webseite entstanden, oder, wie Rüffer es nennt, "ein bürgerjournalistisches Projekt". Unter www.leerstand089.de können Nutzer seit Donnerstagnachmittag Adressen in eine Karte eintragen und Fotos hochladen; ein Team von gut einem Dutzend ehrenamtlichen Helfern prüft dann, ob die Häuser und Wohnungen tatsächlich ungenutzt sind, und dokumentiert die Recherche.

Dazu gehöre auch, die Eigentümer Stellung nehmen zu lassen und ihnen ein Widerspruchsrecht einzuräumen, sagt Rüffer. Leerstand sei ja meist ungewollt und durch anstehende Renovierungen zu erklären, durch langsame Behörden oder ausgebuchte Handwerker: "Das Bild vom bösen Eigentümer, das ist in der Regel falsch."

Warum alle Einträge nochmals überprüft werden

Auch deshalb wolle man niemanden an den Pranger stellen, betont Rüffer: "Wir müssen hier eine schwierige Abwägung treffen zwischen Eigentums- und Persönlichkeitsrechten auf der einen Seite und dem Recht auf öffentliche Meinungsbildung auf der auf der anderen. Das erfordert eine gewisse Sorgfaltspflicht." Insbesondere, weil jeder Eintrag sofort sichtbar ist, wenn auch zunächst als unbestätigte, unkommentierte Meldung.

Als Rüffer zusammen mit Maximilian Heisler vom "Bündnis Bezahlbares Wohnen", dem Designer Max Brandl und dem Programmierer Magnus Hartl den Leerstandsmelder entwickelte, hatte sie vor allem die Verwaltung im Visier: "Ich war wütend, weil mir das alles nicht schnell genug ging mit der Beseitigung des Leerstands." Heute sagt sie, die Stadt verstehe zwar immer noch nicht ganz, "wie Bürgerbeteiligung funktioniert", aber sie erkennt die Fortschritte der Verwaltung durchaus an.

Welche Auswirkungen die Aktion bisher auf die Politik hatte

Offiziellen Schätzungen zufolge stehen 17 000 Wohnungen in München leer, davon gehört allerdings nur ein Bruchteil der Stadt. Zum Stichtag 31. März blieben 313 städtische Wohnungen länger als sechs Monate ungenutzt, Ende September 2014 waren es noch 576. Die Politik hat das Problem offenbar identifiziert, die Verwaltung lässt jetzt Flüchtlinge in ihren Wohneinheiten unterkommen oder vermietet sie an Künstler; außerdem beeilt sie sich bei anstehenden Renovierungen.

Trotzdem müsse noch mehr passieren, findet Lisa Rüffer. Sie versteht ihren Leerstandsmelder als Instrument der Bürgerbeteiligung, aber auch als Denkanstoß für die Politik. Sie klingt kämpferisch, doch eigentlich wünscht sie sich von ihrem Projekt vor allem eines: "Es geht nicht darum, Leerstand zu sammeln, sondern das Thema langfristig auf die Agenda zu setzen."

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Quelle:
SZ vom 10.07.2015
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