Wohnungsmarkt:Ein Zimmer, sechs Bewohner, 2970 Euro Miete

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Das Wohnhaus an der Dachauer Straße brannte im November 2016. Mittlerweile wird das Vordergebäude saniert. (Foto: Stephan Rumpf)

Migranten haben es schwer, in München eine Bleibe zu finden. Manche Vermieter nutzen ihre Verzweiflung aus - und schröpfen dabei auch die Stadt.

Von Thomas Anlauf, München

Die Briefkästen in der Hofeinfahrt sind verbeult, Namen von Menschen stehen darauf, die längst nicht mehr hier wohnen. Am Türrahmen kleben drei aufgebrochene Polizeisiegel - immer noch, fast eineinhalb Jahre nach dem schrecklichen Brand in der Dachauer Straße, bei dem ein Vater und seine zwei Töchter ums Leben kamen. Derzeit läuft der Prozess gegen einen 43-jährigen Mann, der beschuldigt wird, in der Nacht zum 2. November 2016 eine Matratze im Treppenhaus angezündet zu haben. Ein Zeuge, der mit seiner Frau und seinem Baby im Hinterhaus wohnt, schilderte vor Gericht die Zustände dort: dreckig, eng, Wäscheständer im Gang, zwölf Quadratmeter für 500 Euro, bar zu zahlen. Ein einziges Zimmer ohne Küche, eine Etagendusche und zwei Toiletten für zehn Menschen. Er habe auf dem Wohnungsamt Fotos von dem Haus gezeigt, "wir wollten unbedingt umziehen, aber keiner hat uns geholfen".

Das Haus an der Dachauer Straße ist den Mitarbeitern im Sozialreferat nur zu gut bekannt - und beileibe kein Einzelfall in München. Edith Petry spricht von "prekären Wohnverhältnissen". An der Dachauer Straße, wo zum Zeitpunkt des Brandes 97 Menschen gemeldet waren, überprüfte das Referat im vergangenen September sogar, "ob der Kinderschutz für die dort lebenden Kinder gewährleistet ist". Zum damaligen Zeitpunkt konnte "keine Gefährdungslage" festgestellt werden. "Dies bedeutet umgekehrt aber auch nicht, dass die Kinder in der Wohnunterkunft nicht in beengten Verhältnissen leben würden."

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Das bestätigt auch Nedialko Kalinov. "Dort herrschen keine menschlichen Wohnverhältnisse", sagt der Sozialpädagoge und Theologe, der bei der Caritas Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien berät. Das Haus an der Dachauer Straße, in dem zum Tatzeitpunkt vor allem Menschen aus den beiden südosteuropäischen Ländern lebten, sei fast schon Normalität in diesem Bereich der Unterbringung. "In 70 Prozent der bekannten Wohnheime sind die Bedingungen katastrophal", sagt Kalinov. "Und die Stadt kennt die Zustände."

Er berichtet von einem Fall aus der Landsberger Straße, wo eine Familie mit vier Kindern in einem Zimmer eines Wohnheims lebt. Für diesen einen Raum zahle sie 2970 Euro im Monat. Der Vater ist berufstätig, aber mit seinem Lohn kann er die Miete nicht bezahlen, eine andere Wohnung für sich und seine Familie findet er nicht. Also springt das Sozialreferat ein, damit die Familie nicht auf der Straße sitzt, und zahlt monatlich 2000 Euro Aufstockung.

Das Problem: Trotz aller Bemühungen der Stadt, auch günstigen Wohnraum zu schaffen, gibt es viel zu wenige freie Plätze. Mehr als 9000 Wohnungslose leben in München, viele kommen bei Bekannten oder Verwandten vorübergehend unter, andere in Clearinghäusern der Stadt. Da auch das nicht reicht, gibt es zur Not noch Pensionen und Wohnheime. Natürlich seien die Kapazitäten, Wohnungslose irgendwo unterzubringen, "auf Kante genäht", sagt Frank Boos vom Sozialreferat. Doch es müsse niemand auf der Straße schlafen. Dafür zahlt die Stadt viel Geld.

Im Fall der Familie aus der Landsberger Straße ist das völlig korrekt. Erwerbstätige EU-Bürger, die in München gemeldet sind, haben mit ihrer Familie einen Anspruch auf aufstockende Leistungen: Es wird Arbeitslosengeld II ergänzend zum Verdienst gezahlt, um den Lebensunterhalt bestreiten zu können. Da es sich im Fall der Landsberger Straße um ein privates Arbeiterwohnheim handelt, könnten die Wohnkosten von knapp 3000 Euro nicht mit einer Miete verglichen werden, erklärt Edith Petry vom Sozialreferat. Umgerechnet auf sechs Familienmitglieder koste die Nacht pro Person 16,50 Euro. Die monatlichen Ausgaben im Wohnheim gelten demnach "als tatsächliche Anwendung für die Unterkunft und werden entsprechend angerechnet", so Petry.

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Nedialko Kalinov schüttelt den Kopf. "Warum zahlt das die Stadt?" Er weiß natürlich um die Wohnungsnot in München. Wenn das Sozialreferat dem Vermieter sagen würde, 3000 Euro Miete sei zu viel, würde der eben antworten: Sucht euch etwas anderes. Dem Wohnungsamt will er keine Schuld geben, "das ist in Deutschland spitze", doch das Referat sei angesichts der Wohnungsknappheit "überfordert, es kann die Bedürfnisse nicht abdecken". Für den Sozialpädagogen steht deshalb die Politik in der Verantwortung, so schnell wie möglich Tausende günstige Wohnungen zu bauen, in denen auch Arbeitsmigranten, die ganz regulär hier leben, einen menschenwürdigen Platz zum Leben erhalten. Doch die Realität sieht oft anders aus.

Ein Fall aus dem Bahnhofsviertel: Ein Mann zahlt 300 Euro für ein Zimmer, bar natürlich. Dafür erhält er einen Wohnungsschlüssel. Als er gerade im neuen Zuhause sitzt und sich ein Bier öffnet, öffnet sich die Tür, ein anderer Mann kommt herein und herrscht ihn an: "Was machst du in meiner Wohnung?" Der vermeintliche Vermieter ist da schon längst weg. "Die Leute leiden", sagt Kalinov. Sie sind ohne Geld nach München gekommen, und dann werden sie oft Opfer von Kriminellen." Menschen, die neu in der Stadt sind, zahlen oft viel Geld nur für vermeintliche Informationen: 2000 Euro dafür, dass es unter einer bestimmten Adresse ein Zimmer gibt, bis zu 7000 Euro Provision unter der Hand, wenn der Deal für das Zimmer zustande kommt.

Mietverträge für Arbeitsmigranten gibt es meist nicht, weiß Kalinov: "Wegen der Steuer." Die Eigentümer vermieten also schwarz, was zur Folge hat, dass der Mieter nicht einmal seine Adresse angeben darf. Also mietet er sich einen Briefkasten, macht 80 Euro im Monat. "Das Prinzip ist sehr verbreitet in München, ich kenne viele, die so leben", sagt Kalinov.

Auch Maximilian Heisler kennt viele Fälle, in der Menschen unter illegalen oder prekären Verhältnissen leben. So hat sich der Vorsitzende des Bündnis Bezahlbares Wohnen um eine Mieterin gekümmert, die im Brandhaus an der Dachauer Straße lebte. Sie hatte laut Heisler monatlich 550 Euro für etwa zwölf Quadratmeter gezahlt - für einen teilmöblierten Raum mit Bett und Matratze, einem kniehohen Tischchen und ein kleines Waschbecken.

Zwei Tage nach dem Brand sei der Hausmeister gekommen und habe die Bewohner gedrängt, Auflösungsverträge zu unterzeichnen. "Anfangs waren es neun Personen, die sich in der Sache helfen lassen wollten", sagt Heisler. Viele seien dann aber anderweitig untergekommen, da das Haus nach dem Brand als nicht mehr bewohnbar galt. Doch der einen Frau konnte geholfen werden. Dank Heisler und seinen Mitstreitern vom Bündnis erhielt sie einen Sozialberechtigungsschein und eine neue bezahlbare Wohnung. Mit einer Klage wegen Mietwuchers blieb Heisler jedoch erfolglos. Der Staatsanwalt stellte fest, dass der Preis für das Zimmer ortsüblich sei, so Heisler.

Johann Hölzl, der Eigentümer des Brandhauses, will zu all dem nichts mehr sagen. Mittlerweile wird das Vordergebäude an der Dachauer Straße saniert, "da san ma dabei", sagt der Bäcker- und Konditormeister. "Sonst keine Auskunft."

© SZ vom 11.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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