Süddeutsche Zeitung

Wohnungsbau:München wächst - und das bringt Probleme

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Von Dominik Hutter

Was kann man eigentlich tun, wenn München nicht weiter wachsen soll? Christian Stupka hat für diese Frage ein altes Foto an die Wand geworfen, es zeigt eine mittelalterliche Straße in München. Damals gab es eine Stadtmauer, und die in der Stadt unerwünschten Tagelöhner mussten abends wieder abziehen, wenn sie ihre Arbeit geleistet hatten. Will man sich an einer solchen Gesellschaftsform orientieren? Und ist nicht Freizügigkeit eine der wichtigsten Errungenschaften dieser Gesellschaft? Stupka, Sprecher der Initiative für soziales Bodenrecht sowie von "Pro SEM", sieht zum ebenso unerwünschten wie unrealistischen Prinzip Stadtmauer nur eine Alternative: das Wachstum gestalten. Allgemeinverträglich und fair.

Dafür, da ist sich die Initiative "Pro SEM" einig, gebe es nur ein sinnvolles Planungsinstrument: die vor allem bei den örtlichen Grundstücksbesitzern heftig umstrittene Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme (SEM), mit der die Stadt den Münchner Nordosten überplanen will. Eigentlich sei das eine ganz normale und faire Sache, beteuert die frühere Stadtbaurätin Christiane Thalgott am Mittwochabend bei einer "Pro SEM"-Veranstaltung im Casino der Arbeiterwohlfahrt. Nichts, "wo man Gespenster an die Wand malen muss". Was die in der Initiative "Heimatboden" zusammengeschlossenen SEM-Gegner ganz anders sehen. Schon wegen der Enteignungen, die als Ultima Ratio im Raum stehen.

Allerdings, und da wird "Pro SEM" sehr deutlich, hat auch die Stadt schlimme Fehler begangen. "Nicht sehr zielstrebig" sei das Rathaus vorgegangen, bemängelt Stupka, eigentlich sogar "desaströs". Denn natürlich müsse man frühzeitig das Gespräch suchen, über das Prinzip der SEM aufklären. Aber auch klar machen, dass sich im Interesse des Allgemeinwohls niemand verweigern darf. Deshalb gebe es ja das Druckmittel der Enteignung. Das man nicht einfach aus der Hand legen dürfe, warnt der Genossenschafts-Profi. Dass die Stadtspitze die SEM im Münchner Norden "leichtfertig zurückgezogen" habe, sei keine Meisterleistung gewesen.

Denn ohne SEM, davon ist Thalgott überzeugt, lässt sich ein großes Gebiet nicht sinnvoll überplanen. Man dürfe beispielsweise Grünflächen nicht wie Petersilie auf die Suppe streuen, nur weil der Zuschnitt der Grundstücke ungünstig ist. Lediglich zusammenhängende größere Gebiete dienten wirklich der Erholung und auch der Ökologie. Es muss also alles in einer Hand liegen, damit später ein gutes Wohnquartier herauskommt. Auch für Thalgott ist wichtig: Man muss die Grundstücksbesitzer frühzeitig einbeziehen. Und zwar in Einzelgesprächen, nicht in Form einer Versammlung. Weil die Interessen einfach sehr unterschiedlich sind.

Die SEM habe aber auch noch einen anderen, in München ganz wesentlichen Vorteil, erläutert Stupka: Sie ermögliche einen sehr hohen Anteil an bezahlbaren Wohnungen und einen erklecklichen Beitrag der Grundstückseigentümer zur sozialen und verkehrlichen Infrastruktur. Viel mehr, als bei der immer wieder diskutierten Alternative, städtebaulichen Verträgen mit jedem einzelnen Grundstückseigentümer, jemals zusammenkommen kann. Dann nämlich käme das Prinzip der sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) zur Anwendung: 40 Prozent der Wohnungen müssen zu bezahlbaren Preisen vermietet werden, die Hälfte davon als Sozialwohnungen. Stolze 60 Prozent dagegen sind frei finanziert. Also: so teuer, wie es der Markt hergibt.

Bei der SEM hingegen dürfen nur zehn Prozent frei vermietet werden. Die übrigen 90 Prozent sind preisgebunden, ein Drittel davon für Sozialmieter. 40 Jahre lang gelten diese Vorgaben, für einen Teil der Wohnungen sogar 60 Jahre. Bei der Sobon hingegen darf der Investor schon nach 25 Jahren auf marktübliche Preise wechseln.

Thalgott findet zudem, dass die Profiteure neuen Baurechts, also die Grundstückseigentümer, durchaus für die Allgemeinheit zur Kasse gebeten werden dürfen. Nur: Eine U-Bahn, wie sie für die Erschließung des Nordostens im Gespräch ist, könne man nur über eine SEM aus den Planungserlösen finanzieren. Genauso wie weiterführende Schulen. Bei der Sobon seien Schienen-Verkehrsmittel nicht vorgesehen, und der Beitrag zur Bildung beschränke sich auf Grundschulen. Was wiederum bedeutet: Den sehr großen Rest müsste die Stadt zuschießen. Beispiel Parkstadt Schwabing: Dort gebe es nur deshalb eine Trambahn, weil die Stadt die Strecke aus Stellplatzablösegeldern finanziert habe. Die Investoren hätten nichts dazu beigetragen. Infrastruktur ist teuer, betont Thalgott. Das einzige jüngere Sobon-Gebiet, wo die Stadt nichts zuschießen musste, sei die Theresienhöhe gewesen. Weil dort von U-Bahn bis Park und Tiefgarage alles schon vorhanden gewesen sei.

Dass München wächst, ist keineswegs ein neues Phänomen, erinnert Stephan Reiß-Schmidt, der frühere Stadtdirektor im Planungsreferat. Vor 100 Jahren umfasste die besiedelte Fläche nur einen kleinen Teil des heutigen Umfangs, jeder der damals 500 000 Einwohner hatte statistisch acht bis zehn Quadratmeter für sich. Heute sind es knapp 40. Es handle sich um die "Erzählung einer Stadt, die auf der Sonnenseite der Entwicklung steht", betont Reiß-Schmidt. Andere Städte schrumpften. Das schaffe dann noch einmal ganz andere, viel gravierendere Probleme.

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SZ vom 08.03.2019
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