Süddeutsche Zeitung

Wohnungsbau in München:Genossenschaften kapitulieren vor den Münchner Grundstückspreisen

  • Im Neubauviertel in Freiham sollen 1000 genossenschaftliche Wohnungen entstehen.
  • Bisher hat sich jedoch keine einzige Genossenschaft beworben, da die Grundstückspreise zu hoch sind.
  • Das Konzept des Konzeptionellen Mietwohnungsbaus soll die Preise für den Wohnungsbau eigentlich dämpfen, doch es scheint überholt.

Von Anna Hoben

Baugenossenschaften bieten dauerhaft bezahlbaren Wohnraum, ohne sie wird die Wohnungsnot nicht in den Griff zu kriegen sein. Die Stadt hat das längst erkannt, 20 bis 40 Prozent ihrer Grundstücke in den großen Entwicklungsgebieten will sie deshalb an Genossenschaften vergeben. So auch in Freiham. In dem neuen Stadtteil, der im Münchner Westen entsteht, sollen insgesamt etwa 1000 genossenschaftliche Wohnungen entstehen. Für den ersten Realisierungsabschnitt hatte das Planungsreferat sechs Grundstücke ausgeschrieben, alle zur Vergabe ausschließlich an Genossenschaften. Nur hat sich bisher keine einzige beworben. Wie kann das sein?

Dem Bewerbungsstart hatten die Genossenschaften noch entgegengefiebert. Im Februar wurde die Ausschreibung veröffentlicht, die Preise bewegten sich zwischen 2,9 Millionen Euro für ein Grundstück, auf dem 36 Wohnungen entstehen sollen, und 13,6 Millionen Euro für ein Grundstück mit 147 Wohnungen. Auf allen Flächen soll gemäß der Münchner Mischung ein Mix aus EOF-Wohnungen (einkommensorientierte Förderung), München-Modell (für Menschen mit mittleren Einkommen) und Konzeptionellem Mietwohnungsbau (KMB) entstehen.

Bei Letzterem liegt der Knackpunkt. Es ist kein Förderprogramm, sondern greift ausschließlich bei frei finanzierten Wohnungen. Die Stadt vergibt ihre Grundstücke zum gängigen Verkehrswert, den das städtische Bewertungsamt ermittelt. Wohnungen dürfen 60 Jahre lang nicht in Eigentum umgewandelt werden. Die Mieten der Wohnungen, für die jeder sich bewerben kann, orientieren sich am Mietspiegel. All diese Vorgaben sollen sich eigentlich dämpfend auf die Grundstückspreise auswirken, so die Idee hinter KMB. Vor ein paar Jahren hat das noch funktioniert, mittlerweile reicht der Dämpfer nicht mehr aus. Und so bewarb sich auf die explizit für Genossenschaften ausgeschriebenen Flächen in Freiham bis zum Bewerbungsschluss im März keine einzige Genossenschaft. Da half auch eine Fristverlängerung bis Mitte April nicht.

Georg Reisner leitet die Abteilung Wohnungs- und Städtebauförderung im Planungsreferat, wirklich überrascht hat ihn das nicht. Auch am Schwabinger Ackermannbogen seien vor einigen Jahren die Grundstückspreise so hoch gewesen, dass sie keine Genossenschaft bezahlen konnte. Damals löste man das Problem, indem man den Konzeptionellen Mietwohnungsbau erfand. Und genau dieses Modell scheint nun überholt zu sein. Da die Preise für den Wohnungsbau weiter steigen und steigen. Es bestehe die Gefahr, schreiben die Grünen im Stadtrat in einem Antrag "dass in Freiham kein genossenschaftlicher Wohnungsbau stattfinden wird. Dies widerspräche dem Ziel der Landeshauptstadt München, eben diesen zu fördern".

"So wie sich die Grundstückspreise entwickeln", sagt Christian Stupka, "kann ich keiner Genossenschaft empfehlen, sich zu bewerben und zu bauen - das könnte direkt in die Insolvenz führen."

Stupka berät bei der Stattbau München GmbH junge Genossenschaften, allein in den vergangenen drei Jahren haben sich neun neu gegründet. Ein "ernsthaftes Problem", so Stupka, seien aber auch die wegen des derzeitigen Baubooms enorm gestiegenen Baukosten. Angebote von Baufirmen lägen um bis zu 40 Prozent höher als die auf bisherigen Erfahrungswerten beruhenden Kostenberechnungen der Genossenschaften.

"Zu den Preisen, die derzeit am überhitzten Markt für Grundstücke aufgerufen werden, kann keine Genossenschaft bauen", räumt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) ein. Die Schwierigkeit liege darin, dass die Stadt Grundstücke nicht einfach unter Wert verkaufen dürfe. Er habe die Verwaltung beauftragt zu prüfen, inwieweit hier nachjustiert werden könne.

Das Bewertungsamt ist nun dabei, die Flächen in Freiham neu zu bewerten, zunächst indem es an einzelnen Stellschrauben dreht und auch die aktuellen Baukosten miteinbezieht. Im Planungsreferat wartet man gespannt auf die neuen Zahlen. Wenn die Preise signifikant niedriger sind, könnte es eine neue Ausschreibung geben. Ansonsten müsse sich der Stadtrat mit einer Änderung des KMB-Modells befassen, so Referatssprecher Ingo Trömer.

"Die Frage ist, ob wir überhaupt noch mit Verkehrswerten arbeiten können", sagt Abteilungsleiter Reisner. Er würde eine Lösung bevorzugen, die feste Grundstückswerte definiert. Man müsse zusammen mit dem Wohnungs- und Bauministerium prüfen, ob die Bayerische Gemeindeordnung dies ermögliche. Eine andere Lösung wäre, den Konzeptionellen Mietwohnungsbau zu einem Fördermodell weiterzuentwickeln, bei dem für Wohnungsbewerber feste Einkommensgrenzen gelten. Fest stehe, dass man das Modell von bestimmten Marktentwicklungen dauerhaft unabhängig machen müsse. "Denn so, wie es jetzt ist, bietet man Genossenschaften keine Perspektive."

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SZ vom 20.06.2018/amm
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